Doch keine Anzeige gegen "taz"-Journalistin
25. Juni 2020Tagelang herrschte Unklarheit darüber, ob der deutsche Innenminister Horst Seehofer tatsächlich eine Anzeige gegen eine Autorin der Tageszeitung "taz" stellen wird. Anlass war eine polizeikritische Kolumne. Allein die Ankündigung hatte zu Kritik an dem CSU-Politiker geführt und eine Diskussion über die Pressefreiheit in Deutschland ausgelöst. Nun ist klar: Seehofer macht einen Rückzieher und stellt doch keine Strafanzeige. Das hat das Bundesinnenministerium angekündigt.
In einer Mitteilung heißt es: "Mir geht es bei der von mir angestoßenen Diskussion nicht um Strafverfolgung einer Person und schon gar nicht um einen Eingriff in die Pressefreiheit." Stattdessen gehe es darum, "dass wir dringend eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und wo die Grenzen einer Auseinandersetzung sind."
Kritik am Text bleibt
Trotz der Entscheidung gegen eine Anzeige bekräftigte Seehofer seine Einschätzung der Kolumne als strafwürdig. "Schließlich bin ich der Auffassung, dass mit der Kolumne durch die menschenverachtende Wortwahl auch Straftatbestände erfüllt werden." Dazu lägen bereits Strafanzeigen vor. "Die Delikte sind teilweise bereits durch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu prüfen."
Die Kolumne mit dem Titel "All cops are berufsunfähig" war Mitte Juni in der linken "taz" erschienen. Darin ging es um ein Gedankenspiel, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Zum Schluss hieß es in dem Text: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."
Seehofer hatte in der "Bild"-Zeitung angekündigt, die Autorin anzuzeigen, dies dann aber doch nicht getan und weitere Prüfungen angekündigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach nach Angaben von Regierungssprechern mehrfach mit Seehofer über das Thema.
"taz" will mit Seehofer sprechen
Statt der Anzeige soll es nun ein Gespräch mit der "taz"-Chefredaktion geben. Dafür will Seehofer in sein Ministerium einladen. Die "taz" zeigt sich offen für ein solches Gespräch. Chefredakteurin Barbara Junge schränkte allerdings ein: "Ich halte aber das Bundesinnenministerium nicht für den richtigen Ort für dieses Gespräch." Stattdessen schlage sie einen Besuch der Polizeischule in Eutin in Schleswig-Holstein vor, die sich dem Netzwerk "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" angeschlossen habe.
Auch übte Junge noch einmal Kritik an Seehofer. "Die Ankündigung einer Anzeige gegen unsere Autorin war ein massiver Einschüchterungsversuch und ein beschämender Angriff auf die Pressefreiheit. Es ist bezeichnend, dass der Bundesinnenminister für eine solche Erkenntnis vier Tage gebraucht hat."
Neben dem Gesprächsangebot will sich der Innenminister auch an den Presserat als Selbstkontrolle der deutschen Presse wenden. Der hat bereits ein Verfahren gegen die "taz" eingeleitet. Grundlage dafür seien über 340 Beschwerden gewesen. Voraussichtlich Anfang September wird sich ein Beschwerdeausschuss mit dem Fall beschäftigen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) begrüßte Seehofers Entscheidung gegen eine Anzeige. "Das ist die einzig mögliche Entscheidung, um Schaden vom Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit abzuwenden", sagte der Bundesvorsitzende Frank Überall.
wo/as (dpa, epd, afp)