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Politik

Seehofer will EU-Flüchtlingspakt retten

3. Oktober 2019

Der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei wackelt. Deshalb reist Bundesinnenminister Horst Seehofer nach Ankara, dann nach Athen. Es geht um steigende Flüchtlingszahlen, überfüllte griechische Lager und viel, viel Geld.

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Bildergalerie Seehofer Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/M. Müller

Dass wieder mehr Migranten über die Ägäis auf die griechischen Inseln gelangen, macht dem Bundesinnenminister Sorgen. "Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen", sagte Horst Seehofer  vor seiner Reise in die Türkei und nach Griechenland. Begleitet wird der CSU-Politiker von EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos.

In der türkischen Hauptstadt Ankara stehen Gespräche mit Innenminister Süleyman Soylu und Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf dem Programm. Dabei wollen Seehofer, Castaner und Avramopoulos herausfinden, wo die Türkei der Schuh drückt und warum zuletzt wieder mehr Flüchtlinge illegal auf die griechischen Inseln übersetzen. Genau das soll der EU-Türkei-Flüchtlingspakt eigentlich verhindern.

Flüchtlingszahlen in Griechenland steigen wieder

Die Vereinbarung vom Frühjahr 2016 sieht vor, dass Griechenland Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln zurück in die Türkei schicken kann. Im Gegenzug sicherte die Europäische Union der türkischen Regierung finanzielle Unterstützung bei der Versorgung der Migranten zu, sowie bis zu 72.000 syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen. Dies führte zunächst zu einem starken Rückgang der Flüchtlingszahlen auf den griechischen Inseln.

Die Lage der Flüchtlinge auf Lesbos
Flüchtlinge aus Afghanistan kommen auf der Insel Lesbos anBild: DW/D. Tosidis

Seitdem die Türkei den Druck auf Migranten ohne gültige Papiere verstärkt hat, wagen wieder vermehrt Flüchtlinge die gefährliche Fahrt über die Ägäis. Befanden sich im April noch rund 14.000 Flüchtlinge und Migranten auf den griechischen Inseln, sind es mittlerweile mehr als 30.000, Tendenz weiter steigend. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Europa zuletzt mehrfach gedroht, den Flüchtlingen die Tore zu öffnen, wenn sein Land nicht mehr finanzielle Unterstützung erhalte.

Türkei: EU-Gelder fließen nicht wie vereinbart

Die Türkei habe für die Flüchtlinge schon mehr als 40 Milliarden Dollar ausgegeben, sagte Erdogan. Und das Geld aus der EU fließe einfach nicht so, wie es solle. Von den türkischen Gesprächspartnern will Seehofer wissen, wo es genau in der Zusammenarbeit genau hakt. "Die Vereinbarung mit der Türkei und der EU sieht ja auch Verpflichtungen der EU vor, nicht nur der Türkei. Und die scheinen nicht so umgesetzt zu sein bis heute, wie das in der Türkei erwartet wird" sagte Seehofer kürzlich. "Und darum muss man sich kümmern."

Griechenland: Die Hölle von Samos

Mit der EU sind im Rahmen des Flüchtlingspakts für die Jahre 2016 bis 2019 bisher zwei Tranchen von je drei Milliarden Euro zur Verbesserung der Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge in der Türkei vereinbart. Die türkische Regierung klagt jedoch, dass viel weniger Geld tatsächlich ausgezahlt worden sei. EU-Mitarbeiter in der Türkei halten dagegen, dass sie türkische Regierungsmitarbeiter immer wieder darauf aufmerksam machen müssten, dass Gelder - vertragsgemäß - projektbedingt flössen und nicht als Zuschuss für das Regierungsbudget gedacht seien.

Erdogan will mehr Geld

Bei der anstehenden Auszahlung der zweiten Tranche aus dem Unterstützungsprogramm hat sich die Türkei jedoch offenbar Vorteile erkämpft. Recherchen des "Handelsblatts" zufolge hat die EU die Modalitäten für die Verteilung der Gelder geändert. So sollen dem Bericht zu Folge künftig Hunderte zusätzliche Millionen Euro direkt an türkische Ministerien fließen, die beispielsweise Lehrer oder Sozialarbeiter ausbilden. Außerdem wurde offenbar auch eine Obergrenze für Verwaltungskosten festgelegt, die bei neuen Ausschreibungen de facto große internationale Organisationen wie UN-Zweige oder auch die deutsche staatliche Entwicklungshilfeorganisation GIZ von vorneherein ausschließt.

Die türkische Regierung will aber nicht nur die versprochenen Gelder schneller, sondern darüber hinaus zusätzliche Mittel - zum Beispiel für Erdogans neuestes Flüchtlingsprojekt: die Umsiedlung von Millionen Syrern aus der Türkei in eine sogenannte Sicherheitszone in Nordsyrien. Unmittelbar vor dem Besuch der Delegation mit Seehofer, Avramopoulos und Castaner konkretisierte er seine Pläne. Zwei Millionen Menschen sollten dort hinziehen, sagte er. "Mit internationaler Hilfe" sollen 140 Dörfer in Nordsyrien neu gebaut werden.

Hilfsorganisationen fordern Aufnahme von Flüchtlingskindern

Am Freitag fliegt der deutsche Innenminister weiter nach Athen. Bei seinen Gesprächen dort will Seehofer ausloten, wie Deutschland die Verwaltung unterstützen kann, damit Asylverfahren schneller abgeschlossen werden. Dann könnten möglicherweise mehr Migranten in Rahmen des Flüchtlingspakts die Türkei abgeschoben werden. Bislang liegt die Zahl der Rückführungen nur bei rund 2000 Fällen.

Lesbos Flüchtlingslager Moria Kinder
Kinder im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel LesbosBild: AFP/A. Messinis

Angesichts der Seehofer-Reise erneuerten mehrere Hilfsorganisationen ihre Forderung an die Bundesregierung, unbegleitete Minderjährige sofort aus Griechenland aufzunehmen sowie Familienzusammenführungen im Rahmen der Dublin-Verordnung zu ermöglichen. Die Situation auf den griechischen Inseln sei "eine erhebliche Gefahr für Kinder und Jugendliche", heißt es in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Seehofer, das unter anderem von Pro Asyl, Terre des Hommes, dem Deutschen Kinderhilfswerk und der Diakonie unterzeichnet wurde.

Kritik an Abschiebungen in die Türkei

Nach Erkenntnissen von Pro Asyl und anderen Hilfsorganisationen leben aktuell mindestens 4100 geflüchtete Kinder ohne Begleitung in Griechenland und die Zahl steige an. Familienzusammenführungen von Asylsuchenden mit Angehörigen in Deutschland würden "systematisch ausgehebelt", erklärte Pro Asyl. Mit der Begründung, Fristen seien ausgelaufen, würden Übernahmeersuche von Familienangehörigen aus Griechenland von Deutschland mittlerweile systematisch abgelehnt. Der Leiter der Europa-Abteilung von Pro Asyl, Karl Kopp, warnte die griechische Regierung und die europäischen Staaten entschieden davor, Schutzsuchende in die Türkei abzuschieben. "Die Türkei ist nicht sicher. Abschiebungen dorthin verletzen internationales Recht."

Abgeschoben in den Krieg?

Kritik kam auch von den Grünen. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, und die ehemalige Partei-Chefin Claudia Roth verurteilten den Flüchtlingspakt scharf. Sie verwiesen auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen, wonach die Türkei Geflüchtete gegen ihren Willen nach Syrien zurückbringt. "Das ist ein krasser Verstoß gegen geltendes Asylrecht", erklärten sie und forderten Seehofer auf, dies der türkischen Regierung unmissverständlich klar zu machen.

Carola Rackete im Europaparlament

Die Kapitänin des Rettungsschiffes "Sea-Watch 3",  Carola Rackete, verlangte unterdessen einen Systemwechsel bei der europäischen Politik gegenüber Bootsflüchtlingen. Am wichtigsten sei die Schaffung sicherer und legaler Wege nach Europa, erklärte Rackete bei einer Anhörung im Europaparlament in Brüssel zum Thema Seenotrettung im Mittelmeer. Auch die Dublin-Regeln zur Verteilung von Asylsuchenden müssten reformiert werden. Ein temporäres Umverteilungssystem, das eher auf Rückführungen als Willkommen setze, sei keine realistische Lösung.

Carola Rackete bei einer Pressekonferenz in Brüssel nach der Anhörung im Europaparlament (Foto: picture-alliance/dpa/F.Seco)
Carola Rackete bei einer Pressekonferenz in Brüssel nach der Anhörung im Europaparlament Bild: picture-alliance/dpa/F.Seco

Rackete hatte zuvor ihre Odyssee mit der "Sea-Watch 3" geschildert, als Italien im Sommer dem Rettungsschiff mit Flüchtlingen an Bord 17 Tage lang die Anlandung verweigerte. Gegen Ende sei die Situation an Bord unhaltbar geworden, es seien "Selbstmord-Wachen" aufgestellt worden, um Suizide zu verhindern, sagte Rackete. Weil sie schließlich gegen italienische Anweisung Lampedusa anlief, laufen in Italien weiter Ermittlungen gegen sie. 

sti/ww/AR (afp, dpa, epd)

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