Berlinale zeigt Filme von Frauen
13. Februar 2019Deutsche Welle: Seit knapp zwei Jahren ist die Geschlechtergerechtigkeit im Film ein großes Thema. War das der Grund, in der Retrospektive 2019 auf die Regisseurinnen zu schauen?
Reiner Rother: Nein, der Ausgangspunkt war unsere Retrospektive von 2016: "Deutschland 1966 - Filmische Perspektiven in Ost und West". Damals haben sich ja zwei Wege getrennt: Die Defa-Produktion (in der DDR) wird in diesen Jahren zum großen Teil verboten, der "Neue Deutsche Film" in der Bundesrepublik wird international erfolgreich. Damals - 2016 - haben wir die ersten Filme von Frauen gezeigt, die an den Filmhochschulen studiert haben: Ulla Stöckl, Helke Sander, Janine Meerapfel. Das war der Ausgangspunkt. Jetzt wollten wir bei "Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen" den Bogen spannen bis ins Jahr 1999, um die beiden ersten Generationen von Regisseurinnen - und zwar auch wieder in der DDR und der Bundesrepublik - mit ihrem Schaffen vorstellen zu können.
Aber jetzt passt eine solche Retrospektive natürlich bestens in die Zeit. Die Regisseurinnen konnten damals auch nicht auf Traditionen aufbauen…
Ja, eindeutig. Die 1950er Jahre waren keine gute Zeit für weibliche Filmemacherinnen. Es gab ganz wenige, bei der Defa wurden die vor allem beim Kinderfilm eingesetzt. Es gab auch zwei, drei Dokumentarfilmerinnen. Aber tatsächlich begann das eigentlich erst 1966.
In der Bundesrepublik kam hinzu, dass es ein Fördersystem gab, das unabhängige Produktionen unterstützte. Das war für Filme von Frauen sehr wichtig. Die wären ohne die Unterstützung des Fördersystems, auch ohne die des Fernsehens, nicht entstanden. Auch ohne die Verleih-Arbeit nicht, insbesondere von "Basis-Film".
Interessant ist auch, dass das sehr schnell auch international rezipiert wurde. In anderen Ländern gab es Mitte der 1960er Jahre schon Vorbilder, Věra Chytilová in der Tschechoslowakei, Márta Mészáros in Ungarn. Die haben damals schon früher begonnen, abendfüllende Spielfilme zu machen.
Gab es ästhetische und inhaltliche Neuerungen, die mit den Filmen von Frauen Einzug hielten?
Man kann das so pauschal nicht sagen. Am Anfang wurde ja oft von "Frauenfilm" gesprochen. Das war ein Etikett, mit dem man die Brisanz dieser Filme ein bisschen auch loswerden wollte. Da hieß es dann: "Frauen machen Filme über Frauenthemen". Das haben sie eben aber nicht gemacht, sondern sie haben vielmehr Filme über die gesellschaftliche Realität gemacht.
Sie haben das mit dem Blick der Frau in der jeweiligen Situation gemacht, in der sie nun mal waren. Beispiele sind: Helke Sanders' "Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers" (1980), Jeanine Meerapfels "Malou" (1981, beide BRD) oder Iris Gusners "Die Taube auf dem Dach" (1973, DDR). Das war ein Blick, der sehr viel von der Gesellschaft erzählte, von Ungerechtigkeiten, nicht nur von Geschlechterungerechtigkeiten. Es ging auch oft um Klassenverhältnisse und die Ungerechtigkeiten, die diese mit sich brachten. Es ist eine Art von realistischem Kino gewesen. Das wird oft unterschätzt.
Nach dieser ersten Phase begann dann eine andere Welle. Es begann eine Form des Filmemachens, die sich überhaupt nicht mehr festlegen ließ auf dieses Etikett. Das entwickelte sich in ganz verschiedene Richtungen: eine dokumentarische, eine, die stark von der Bildenden Kunst inspiriert war, bei Ulrike Ottinger zum Beispiel. Es gab auch Genrekino. Das begann in den 1980er und '90er Jahren, denken wir nur an die Regisseurinnen Nina Grosse oder Katja von Garnier.
Wie sah es zeitgleich in der DDR aus?
Wenn Frauen dort an der Filmhochschule studiert haben, dann war der Weg weitgehend vorgezeichnet. (Sie machten Kinderfilme, A.d.R.) Das hing sicher auch damit zusammen, dass die DDR eben doch eine patriarchalische Gesellschaft war. Es gab Ausnahmen, Gitta Nickel war eine, die sich früh als Dokumentaristin etablieren konnte. Und es gab einige wenige Regisseurinnen, die auch Spielfilme drehten, wir haben Beispiele in der Retrospektive: Filme von Evelyn Schmidt und Iris Gusner.
In der Bundesrepublik konnte damals die Regisseurin May Spils einen Riesenerfolg mit "Zur Sache Schätzchen" (unser Bild oben) feiern. Inwiefern war das auch einem weiblichen Blick geschuldet?
Ich glaube schon, dass May Spils einen sehr weiblichen Blick auf (ihren Hauptdarsteller) Werner Enke hatte, diesen Schlawiner. Sie hatte aber auch einen Blick, der sehr genau beobachtet hat. Wenn man auch an ihren Film "Manöver" denkt, den sie mit Enke zusammengemacht hat, wo Enke das Aufstehen üben musste, so dass er zukünftig auch mal rechtzeitig zur Arbeit kommt - dann war das schon auch ein Blick, den nur eine Frau auf einen Mann werfen konnte. Die Komik, die darin steckte, dieser wunderbare Humor, das war einer, der aus dem Zusammenspiel zwischen Spils und Enke resultierte. Beide Filme sind übrigens total frisch geblieben.
Welche besonderen Wiederentdeckungen bietet die Retrospektive 2019?
Alle Filme sind eine Wiederentdeckung wert. Vielleicht kann man aber von zwei Extremen sprechen. Helga Reidemeisters Film "Von wegen Schicksal" ist ja schon damals, während der 1970er Jahre, sehr kontrovers diskutiert worden. Das ist ein schonungsloser Film (über eine Mutter, die nach der Scheidung ein selbstbestimmtes Leben führt und die Kinder allein erzieht, A.d.R.), der aus der Zusammenarbeit der Protagonistinnen und der Regisseurin entstanden ist. Er zeigte, wie Frauen an der Entfaltung gehindert wurden und wie sie sich dagegen wehrten. Das ist beeindruckend zu sehen, auch schmerzhaft.
Das andere Extrem ist sicher Katja von Garniers Film "Bandits", eine Genregeschichte, die auch schon dieses starke Selbstbewusstsein hatte: "Wir können auch Hollywood-Elemente aufnehmen und erzählen." Da gab es Momente im Film, die sind einfach großartig. Die Schlussszene muss keinen Vergleich mit irgendeinem Hollywood-Film scheuen. Also: Die Regisseurinnen arbeiteten in sehr verschiedenen Formen. Das war uns ein großes Anliegen, weil wir bei der Programmauswahl der Retrospektive diese Vielfalt ausstellen wollten.
Die Filme decken die Jahre 1966 bis 1999 ab. Was hat sich im Vergleich zu heute geändert?
Ich glaube, es ist selbstverständlicher geworden. Das ist das erfreuliche. Zwar werden auch heute beim "Deutschen Filmpreis" nicht immer mehrere Frauen in der Kategorie "Bester Film" nominiert. Aber: Es hat sich etwas entwickelt!
Wir haben nicht den Eindruck, dass die Ungerechtigkeit aufgehört hat. Aber die Frage des Publikums, ob das nun ein Film von einem Mann oder einer Frau ist, steht viel weniger im Zentrum als früher. Damals hat man immer gesagt: "Aha, das ist eine Frau, die den Film gemacht hat." Niemand kam damals ja auf die Idee zu sagen: "Ach, das ist jetzt ein Film von einem Mann."
Das hat sich schon ein bisschen geändert: Es gibt viel mehr Regisseurinnen, die ganz tolle Filme machen und die auch vom Publikum als ganz tolle Filme wahrgenommen werden. Diese gewachsene, gestiegene Selbstverständlichkeit - die finde ich sehr erfreulich.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.
Rainer Rother ist künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und damit auch Leiter der Retrospektive der Berlinale. Zur Retrospektive "Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen" sind zwei Bücher im Bertz + Fischer Verlag erschienen:
- Karin Herbst-Meßlinger, Rainer Rother (Hg.): Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen, Verlag Bertz + Fischer, 216 Seiten, ISBN: 978-3-86505-262-9
- Cornelia Klauß, Ralf Schenk (Hg.): Sie - Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme, Verlag Bertz + Fischer, 416 Seiten, ISBN 978-3-86505-415-9