Selecao ganz in Schwarz: Zeichen gegen Rassismus
18. Juni 2023"Ich war bestürzt, als ich die Bilder aus Spanien gesehen habe", sagt Allan Pevirguladez. Der Literaturwissenschaftler und Musiker aus Rio de Janeiro berät das "Institut Vinicius Junior” in Fragen der antirassistischen Erziehung. Die Stiftung unterstützt öffentliche Schulen bei der Entwicklung neuer Lehr- und Lernmodelle. Wie viele andere Afrobrasilianer musste auch Pevirguladez mit ansehen, wie Brasiliens Nationalspieler Vinicius Junior im Trikot von Real Madrid in Spanien von nahezu einem kompletten Stadion rassistisch beleidigt und beschimpft wurde.
Es war nicht das erste Mal. Das Thema bewegt das Land, denn Vinicius Junior ist gefühlt "einer von ihnen" - ein junger Mann, der aus einer Favela den Aufstieg schaffte. Aus eigener Kraft, mit eigenem Talent und Qualität. Einer mit dem sich die Menschen identifizieren können, weil sie sich in ihm wieder erkennen. Deswegen habe das Thema vor allem in der afrobrasilianischen Community eine breite Diskussion in Gang gesetzt, sagt Pevirguladez im Gespräch mit der DW. "Es ist ein Thema, das heute eine nie zuvor dagewesene Kraft entfaltet."
Ganz in schwarz
Sichtbar wird das auch an einer historischen Entscheidung des brasilianischen Fußballverbandes CBF. Die "Selecao" trat am Samstag in Barcelona beim Spiel gegen Guinea (4:1) in komplett schwarzen Trikots an - ein Novum in der Geschichte des brasilianischen Fußballs. Das erste Spiel von Brasiliens Nationalmannschaft fand 1914 statt, damals trugen die Spieler noch weiße Hemden und Hosen.
Die Initiative ist Teil einer Reihe von Aktionen, die der Verband mit dem Ziel organisiert, Rassismus zu bekämpfen. Und es ist auch eine Abgrenzung: In den letzten Jahren hatte vor allem der damalige rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro das Nationaltrikot für sich und seine Bewegung "gekapert".
"Eine Form der Gewalt"
"Der Fußball ist eine der wichtigsten Sprachen in der Welt", sagt Bruno Candido Sankofá, Anwalt und in der afrobrasilianischen Bewegung "Movimento Negro" in Rio de Janeiro engagiert. Der Jurist, der Opfern rassistischer Gewalt oder Benachteiligung hilft, gehörte zu jenen, die in der Heimat von Vinicius Junior eine Solidaritätsdemonstration für den Nationalspieler organisierte.
"Es handelt sich nicht nur um rassistische Beleidigungen", sagt Candido Sankofá im Gespräch mit der DW einige Tage vor der Partie in Barcelona. "Es ist eine Form der Gewalt, die Folgen hat: Übergriffe, psychische Krankheiten." Und Vinicius Junior stehe letztendlich auch für eine Gruppen von Menschen, die aus Orten kommt, in denen Afrobrasilianer ständig Gewalt und strukturellem Rassismus ausgesetzt sind und sogar getötet werden.
Für Candido Sankofá ist die Entscheidung im schwarzen Trikot zu spielen ein erster wichtiger Schritt: "Wenn ich von Prävention spreche, spreche ich von einem Land, das es noch nicht geschafft hat, diesen historisch, politisch, wirtschaftlich und materiell benachteiligten Menschen materielle Rechte zu gewähren. Und wir fangen an, über die wichtigste Sprache, nämlich den Fußball und unsere Nationalmannschaft, zu sagen, dass dies ein wichtiges Thema ist, das gelöst werden muss."
Anti-Rassismusabkommen der Regierung
Das schwarze Trikot könne einerseits ein Meilenstein, andererseits aber nur ein erster Schritt sein. Der brasilianische Fußball-Verband müsse die Zivilgesellschaft in die Debatte über Kampf gegen den Rassismus innerhalb des Sports mit einbeziehen. "Daher halte ich die Haltung der Nationalmannschaft für sehr wichtig. Denn sie wird es schaffen, durch den Fußball das zu sagen, was die Worte noch nicht geschafft haben", glaubt Sankofá.
Brasiliens Ministerin für ethnische Gleichberechtigung, Anielle Franco, hat jüngst ein Abkommen zur Bekämpfung des Rassismus mit Spanien auf den Weg gebracht. "Wir haben die Geschehnisse im Fall von Vinicius Junior genau verfolgt. Und das war nicht nur in diesem Jahr, sondern es sind immer wiederkehrende Fälle", sagte die Ministerin auf DW-Anfrage.
Die Aktion des CBF sei willkommen, so Franco. "Aber wir brauchen auch eine wirksame öffentliche Politik." Deshalb sei das neue Ministerium und die nationale und internationale Artikulation gegen Rassismus ein wichtiger Schritt.
Allan Pevirguladez sieht auch den europäischen Fußballverband in der Pflicht: "Es kann nicht nur die spanische Liga sein, die verantwortlich ist." Denn es sein ein Problem im gesamten europäischen Fußball. "Die UEFA muss sich also zusammensetzen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, ähnlich wie es die brasilianische Regierung in der Situation in Rio de Janeiro getan hat, um die Vereine und die Fans zu bestrafen.", sagt Pevirguladez.
Das Parlament in Rio de Janeiro verabschiedete vor wenigen Tagen unter dem Eindruck der Vorfälle in Spanien einen Gesetzentwurf, der die Unterbrechung oder den Abbruch von Fußballspielen in Fällen von Rassismus vorsieht.
Erneuter Zwischenfall beim Spiel in Barcelona
Wie nötig ein konsequentes Auftreten gegen Rassismus ist, zeigt, dass es ausgerechnet beim Spiel der Selecao gegen Guinea erneut zu einem Zwischenfall kam: Felipe Silveira, langjähriger Freund und Berater des brasilianischen Stürmers, prangerte das Verhalten eines Mitarbeiters einer privaten Sicherheitsfirma im Stadion des spanischen Klubs Espanyol Barcelona an. Der Mann habe bei der Einlasskontrolle plötzlich eine Banane aus der Tasche gezogen und gerufen: "Hände hoch, das hier ist meine Pistole für Dich", berichtete das brasilianische Fernsehen.
Silveira und andere Vertraute von Vinicius hätten sofort die Polizei gerufen. Der brasilianische Sender TV Globo zeigte Bilder des anschließenden Tumults und eine Banane, die aus der Hosentasche des Sicherheitsmannes ragte. Der brasilianische Fußball-Verband CBF forderte Konsequenzen.
Der Text wurde nach dem Spiel der Selecao in Barcelona aktualisiert.