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KonflikteEuropa

Selenskyj: Mehr als 90 russische Ortschaften eingenommen

20. August 2024

In der russischen Region Kursk ist die ukrainische Armee nach den Worten des Staatschefs weiter auf der Erfolgsspur. Auf dem eigenem Territorium an der östlichen Front sieht das etwas anders aus.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Pressekonferenz Mitte Juli 2024 in Kiew - die rechte Hand in Greifhaltung, in der linken hält er ein Mikrofon
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sonnt sich derzeit geradezu im Erfolg der Armee in der russischen Region Kursk Bild: Volodymyr Tarasov/Avalon/Photoshot/picture alliance

Die Ukraine hat bei ihrer Gegenoffensive in der russischen Region Kursk nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj weitere Geländegewinne erzielt. "Stand heute kontrollieren unsere Kräfte mehr als 1250 Quadratkilometer Territorium des Feindes und 92 Ortschaften", sagte Selenskyj bei einem Auftritt vor ukrainischen Diplomaten und Beamten. Ein taktisches Ziel, die Gefahr für die ukrainische Grenzregion Sumy zu verringern, sei damit erreicht.

Hat Moskau "geschlafen"?

Zudem sei die Offensive der größte Erfolg bezüglich der Gefangennahme russischer Soldaten seit Kriegsbeginn, so der Staatschef weiter. Seinen Angaben nach sollen die Russen später gegen kriegsgefangene Ukrainer ausgetauscht werden. Im bisherigen Kriegsverlauf hat Russland nach Einschätzung von Beobachtern mehr Ukrainer gefangen genommen als umgekehrt.

"Roteste aller roten Linien Russlands" überschritten 

Selenskyj bezeichnete die Offensive als großen Erfolg. Vor ein paar Monaten habe dies niemand für möglich gehalten. Kritiker hätten allein Gedankenspiele dieser Art als Überschreiten der "rotesten aller roten Linien Russlands" abgelehnt, gab er zu bedenken. Darum seien die Vorbereitungen auch im Geheimen getroffen worden. Der jetzige Erfolg zeige aber deutlich die Unfähigkeit des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sein Territorium zu schützen vor solchen Gegenangriffen. Zudem habe der ukrainische Vorstoß auch zu einem Umdenken bei den westlichen Partnern geführt, meinte Selenskyj, der von seinen Diplomaten weiter ein aktives Einwerben von Waffenhilfe forderte.

Selenskyjs Angaben zu dem Vorstoß gehen über die meisten bisherigen Schätzungen von Militärbeobachtern hinaus. So hatte vor wenigen Tagen das unabhängige Internetportal "Meduza" auf Grundlage von Foto- und Videomaterial im umkämpften Gebiet Kursk die Geländegewinne auf 862 Quadratkilometer geschätzt. Allerdings räumen die meisten Experten selbst die Ungenauigkeit ihrer Schätzungen ein. Vor allem die ukrainischen Streitkräfte veröffentlichen sehr wenig, um ihren Vormarsch nicht zu gefährden.

Das einem Video entnommene Foto zeigt die Zerstörung der Sejm-Brücke in der Stadt Glushkovo. Dicker Rauch steigt über dem Bauwerk auf
Das einem Video entnommene Foto zeigt die Zerstörung der Sejm-Brücke in der Stadt Glushkovo Bild: Ukraine's Air Force Commander Mykola Oleshchuk via REUTERS

Schon drei Brücken über den Sejm zerstört?

Nach Einschätzung des Militäranalysten Jan Matwejew laufen die russischen Truppen südlich des Flusses Sejm zudem Gefahr, eingekesselt zu werden. Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben zwei Brücken über den Fluss zerstört oder zumindest schwer beschädigt. Zudem gibt es bislang offiziell noch unbestätigte Berichte über eine dritte zerstörte Brücke. Solche Schäden würden die Versorgung der russischen Truppenteile, aber zugleich auch einen eventuellen Rückzug massiv erschweren, argumentierte Matwejew.

Während Kiew sich durch die Gegenoffensive eine bessere Verhandlungsposition erhoffen könnte, schaltet Kremlchef Putin auf stur. Er will nach Angaben aus Moskau nicht mehr verhandeln. "Der Präsident hat sehr deutlich gesagt, dass nachdem die Angriffe, genauer gesagt die Invasion im Gebiet Kursk begonnen hat, von Verhandlungen keine Rede sein kann", sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Rande von Putins Besuch in Aserbaidschan im russischen Staatsfernsehen.

Außenminister Sergej Lawrow und weitere Angehörige der russischen Delegation stehen in einer Linie aufgereiht in Aserbaidschans Hauptstadt Baku
Der russische Außenminister Sergej Lawrow (ganz rechts) und weitere Angehörige der Moskauer Delegation in Aserbaidschans Hauptstadt Baku Bild: Russian President Press Office/dpa/picture alliance

154 Gefechte an der Ostfront allein am Montag 

Während die ukrainischen Truppen auf russischem Gebiet vorankommen, bleibt die Lage an der Front im Osten des eigenen Landes schwierig. Am Montag habe es auf ukrainischem Gebiet 154 Gefechte gegeben, meldete der Generalstab in Kiew in seinem abendlichen Lagebericht. Wichtigste Angriffsrichtung der Russen bleibt dabei das Gebiet der Stadt Pokrowsk im Gebiet Donezk, wo mehr als ein Drittel der Angriffe stattfanden. Laut Generalstab wurden allein dort mehr als 300 russische Soldaten getötet oder verletzt. Unabhängig lassen sich diese Angaben nicht überprüfen.

Vor allem die Angriffe aus der Luft machen den ukrainischen Soldaten weiterhin zu schaffen. Im Lagebericht ist von 71 russischen Luftschlägen und dem Abwurf von 86 gelenkten Gleitbomben die Rede. Daneben seien zahlreiche Kamikaze-Drohnen gegen ukrainische Stellungen, aber auch Siedlungen eingesetzt worden, heißt es.

Zahlreiche Bewohner in der Region Pokrowsk steigen in einen Zug, um aus der Kampfzone gebracht zu werden
Bewohner in der Region Pokrowsk steigen in einen Zug, um aus der Kampfzone gebracht zu werden Bild: Evgeniy Maloletka/AP Photo/picture alliance

Drohnenangriffe wurden auch in der Nacht wieder in zahlreichen ukrainischen Regionen weitab der Front gemeldet. Laut der Flugabwehr waren so die Gebiete Sumy, Poltawa, Cherson und Mykolajiw im Visier. Auch im Umland der Hauptstadt Kiew war die Flugabwehr im Einsatz. Die Gebietsverwaltung rief die Einwohner dazu auf, Schutzräume aufzusuchen. Schäden sind bislang nicht bekannt.

USA: Vorstoß in Kursk ändert nichts an Hilfe

Die ukrainische Gegenoffensive in der Region Kursk ändert nach Angaben des Pentagons nichts an der Unterstützung der USA für Kiew. US-Präsident Joe Biden habe "sehr deutlich gemacht, dass wir die Ukraine weiterhin und dauerhaft unterstützen und ihr zur Seite stehen werden, solange es nötig ist", sagte eine Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums. Das bedeute auch, dass sich die Art und Weise der Hilfe nicht geändert habe. Man unterstütze Kiew weiter vorrangig mit der Lieferung militärischer Ausrüstung.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe seinem ukrainischen Kollegen Rustem Umerow in einem Gespräch am Montag die weitere Unterstützung der USA zugesichert, sagte die Sprecherin weiter. Sie wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, ob Washington Kiew zusätzliche Satelliteninformationen zur Verfügung stelle. Sie wolle nicht über öffentlich über einen Austausch von Geheimdienstinformationen mit den Ukrainern sprechen. "Aber wir haben diese Beziehung zu ihnen." 

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wies Forderungen nach einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine zurück. Es sei keine Lösung, einfach die Hilfe einzustellen, sagte der SPD-Politiker bei einem Bürgerdialog in Bremen. "Die Ukraine wäre dann auch weg." Man müsse der Ukraine also helfen, damit sie nicht von Russland überrannt werde und gleichzeitig überlegen, wie man einer Friedenslösung näherkommen könne. Darum bemühe man sich mit einer Serie von Konferenzen.

sti/wa (afp, dpa, rtr)