1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Das bescheidene Vermächtnis des Shinzo Abe

20. November 2019

Shinzo Abe trägt sich als am längsten amtierender Regierungschef in die Geschichtsbücher von Japan ein. Allerdings fällt vor allem seine außenpolitische Bilanz durchwachsen aus. Martin Fritz aus Tokio.

https://p.dw.com/p/3TI3m
Japan | Wahlen | Shinzo Abe
Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/Y. Kanazashi

Ein neuer Meilenstein, gesetzt von Shinzo Abe: Am 20. November regiert er seit 2887 Tagen und damit länger als jeder andere Politiker der japanischen Neuzeit, wenn man seine erste Amtszeit zwischen 2006 und 2007 sowie seine zweite Periode seit Ende 2012 addiert. Als Gründe nennen Beobachter die Machtkonzentration in der Exekutive, die zersplitterte Opposition sowie den Mangel an Herausforderern innerhalb der Regierungspartei. Bliebe Abe bis zum 24. August 2020 an Japans Spitze, dann würde er auch noch einen neuen Rekord für die längste ununterbrochene Amtszeit aufstellen. Der aktuelle Rekordhalter ist mit 2798 Tagen sein Großonkel Eisaku Sato, der von 1964 bis 1972 regierte.

Japan Eisaku Sato Politiker
Abes Großonkel, ebenfalls Premier, Eisaku SatoBild: picture-alliance/dpa

Allerdings kann Abe bei seinen vorzeigbaren Leistungen dem Vergleich mit seinem Verwandten bislang nicht standhalten. Sato erhielt 1974 den Friedensnobelpreis für Japans Unterschrift unter den Nichtverbreitungspakt für Nuklearwaffen, verhandelte die Rückgabe der Insel Okinawa von den USA an Japan 1972 und hob die Asian Development Bank mit aus der Taufe. Dagegen sind die vergangenen Abe-Jahre in erster Linie durch Stabilität und Beständigkeit geprägt. In den sechs Jahren davor hatten sechs verschiedene Politiker jeweils so kurz regiert, dass man sich ihre Namen und Gesichter kaum merken konnte.

Zugleich beendete Abe den ersten längeren Machtverlust seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) und etablierte sie erneut als Japans beherrschende politische Kraft. Hierin liege jedoch die tiefe Ironie der Abe-Ära, kommentiert der deutsche Politologe Sebastian Maslow von der Universität Tokio: "Abe steht mehr für die Vergangenheit als die Zukunft. Er wollte Japan von den Zwängen der Nachkriegspolitik befreien, aber mit dieser Politik verbinden viele eben auch die Dominanz der LDP, ihre Skandale und den Mangel an politischen Alternativen."

Japan Shinzo Abe zu Trans Pacific Partnership
Abe bei der Vorstellung der Transpafizischen Partnerschaft (TPP) 2013Bild: Reuters

Rückkehr zum Wirtschaftswachstum

Stabilität kehrte in den Abe-Jahren auch in die Wirtschaft zurück. Japan erlebte den zweitlängsten Konjunkturaufschwung der Nachkriegszeit, erstmals seit zwei Jahrzehnten wuchs das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt wieder. Eine beispiellose geldpolitische Lockerung der Notenbank schwächte die japanische Währung und bescherte den Unternehmen rekordhohe Gewinne. Zugleich stieg die Zahl der Beschäftigten ungeachtet einer schrumpfenden Bevölkerung auf ein historisches Hoch.

Außerdem wandelte sich Japan unter Abe vom Anhänger des Protektionismus zu einem Champion des Freihandels und schloss Handelsbündnisse mit den Pazifikanrainerstaaten und der Europäischen Union ab.

Jedoch scheiden sich an seinem politischen Programm auch nach fast sieben Amtsjahren weiter die Geister. Für die einen symbolisiert Abe ein ultrakonservatives und rückwärtsgewandtes Japan, weil er die dunkle Kriegsvergangenheit unter den Teppich kehrt und den pazifistischen Charakter der Verfassung abschaffen will, wenn auch bisher ohne Erfolg. Sein Versprechen, ein "starkes und blühendes Japan" aufzubauen, erinnert seine Kritiker an das Motto "Reiche Nation, starke Armee" aus der imperialistischen Meiji-Zeit.

Die anderen betrachten ihn als pragmatischen Reformer, der die Wirtschaft und das Bündnis mit den USA stärkt, damit Japan niemals zu einer Nation zweiter Klasse absteigt, wie er es selbst einmal formulierte.

Japan Staatsbesuch l US-Präsident Donald Trump trifft Japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe
Selfie von Abe und US-Präsident Trump auf dem GolfplatzBild: Reuters/Prime Minister's Office, Instagram @kantei

Sicherheitspartnerschaft mit USA

Das meiste politische Kapital investierte Abe darin, die Sicherheitspartnerschaft mit Washington auszubauen. Dafür verschaffte er seiner Verteidigungspolitik mehr Spielraum, indem er die Verfassung neu auslegte. Seitdem dürfen die Selbstverteidigungsstreitkräfte an Missionen des US-Verbündeten teilnehmen. Zudem setzte Abe gegen erheblichen innenpolitischen Widerstand ein Gesetz für den Geheimnisschutz durch, damit die USA mehr Erkenntnisse ihrer Geheimdienste mit Japan teilen.

Auch gelang es dem Premier, die Spannungen zwischen Japan und China abzubauen. Im nächsten Frühjahr wird erstmals seit zwölf Jahren wieder ein chinesischer Präsident zum Staatsbesuch nach Japan kommen. Doch andere wichtige Projekte blieben stecken, darunter der erhoffte Friedensvertrag mit Russland und die Aufklärung des Schicksals von nach Nordkorea entführten Japanern.

Als besondere Errungenschaft von Abe gilt sein gutes Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump. Jedoch hat dieser direkte Draht nach Ansicht des deutschen Politikwissenschaftlers Maslow Japan bisher wenig eingebracht. "Trotz der engen persönlichen Beziehung treibt Trump Abe mit immer neuen Forderungen vor sich her", meint der deutsche Japan-Experte. Als Beispiele für diplomatische Niederlagen nennt Maslow das bilaterale Handelsabkommen zwischen Tokio und Washington, höhere finanzielle Eigenleistungen in der Sicherheitspolitik sowie die radikale US-Kurswende gegenüber Nordkorea mit wenig Rücksichtnahme auf japanische Interessen. Dennoch spekulierte die Finanzzeitung Nikkei bereits, sollte US-Präsident Trump wiedergewählt werden, würde auch Abe weiterregieren. Nach derzeitigem Stand müsste der 65-Jährige im Herbst 2021 aufhören.