Showman stürzt Bulgarien in Krise
10. Juni 2022Das richtige Timing ist im Showbusiness und in der Politik von großer Bedeutung. Vermutlich wusste Slawi Trifonow, bulgarischer Showman und Vorsitzender der populistischen Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN), genau, was er tat, als er am Mittwoch das Land in eine politische Krise stürzte. "Ab heute ziehe ich die Minister der Partei 'Es gibt so ein Volk' zurück und setze dieser Koalition und dieser Agonie ein Ende." Mit dieser Facebook-Video-Botschaft wandte sich Trifonow, langjähriger Showmaster, Sänger, Eigentümer eines TV-Senders und seit 2020 Gründer und Vorsitzender der populistischen Partei ITN, im Anschluss an eine Regierungssitzung an die bulgarische Öffentlichkeit.
Ohne die 25 Abgeordneten Trifonows verliert die aus vier Parteien bestehende Reformregierung von Premierminister Kiril Petkow nach gut einem halben Jahr ihre Mehrheit. Weitermachen will sie trotzdem und ist fortan auf Stimmen der Opposition angewiesen. Die Auswirkungen der bulgarischen Krise könnten sich bald schon auf internationaler Ebene bemerkbar machen. Ein erster Test dafür wird der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Sofia am Samstag sein. Dabei geht es vor allem um das bulgarische Veto gegen den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien. Die Regierungskrise macht nun Einigungen in wichtigen internationalen Fragen noch unwahrscheinlicher.
Die Suche nach den Ursachen
Fragt man den Populisten Trifonow, warum er seiner Partei den Auszug aus der Koalition verordnete, hört sich das so an: "Die Gründe, warum diese Koalition nicht funktioniert und warum wir keinen Platz mehr in ihr haben, sind zweierlei: Mazedonien und der Fakt, dass der Staat kein Geld mehr hat." Im schwelenden Konflikt um die EU-Beitrittsverhandlungen des Nachbarlandes Nordmazedonien, die Bulgarien blockiert, warf Trifonow Ministerpräsident Kiril Petkow vor, mit eigenen Initiativen die von Trifonows Partei gestellte Außenministerin Teodora Gentschowska zu umgehen. Auch habe Petkow der EU eigenmächtig eine Aufhebung des bulgarischen Vetos in Aussicht gestellt - für den Populisten Trifonow "nationaler Verrat". Doch, so bewertet es Rumena Filipowa, Direktorin des Sofioter Institute for Global Analysis: "Der Streit mit Nordmazedonien wurde offensichtlich nur als Ausrede vorgeschoben. Premier Petkow hat oftmals betont, dass über jede Entscheidung in Bezug auf Mazedonien im Parlament abgestimmt wird."
Auch der zweite von Trifonow genannte Grund für den Auszug aus der Koalition gibt Rätsel auf. Seine Entscheidung folgte auf die Absage von Premier Petkow und Finanzminister Assen Wassilew, bei der anstehenden Aktualisierung des Haushalts 3,6 Milliarden Lewa für das von Trifonows Partei geführte Ministerium für Regionale Entwicklung bereitzustellen. Petkow und Wassilew erklärten das mit dem Umstand, dass dort Verträge der Vorgängerregierung bestünden, bei denen in der Vergangenheit 50 bis 80 Prozent der Gelder für Infrastruktur in korrupten Netzwerken versickert wären.
"Politisches Hologramm"
Beide Erklärungen Trifonows überzeugen nur teilweise. Rumena Filipowa ist sich sicher: "Die Krise wurde viel eher von dem unkooperativen Verhalten von Trifonows Partei ausgelöst. Warum er in diesem angespannten internationalen Umfeld nach Russlands Krieg gegen die Ukraine die Koalition verlässt, hat er nicht klarmachen können."
Trifonows Persönlichkeit könnte eine weitere Erklärung für seinen oft sprunghaften und unlogischen Politikstil sein: So stürzte er bereits vergangenen Sommer das Land in eine Serie von Neuwahlen, nachdem er als Wahlgewinner jegliche Koalitionsverhandlungen verweigert hatte. Unbestätigten Mediengerüchten zufolge soll er seit Jahren an Multipler Sklerose leiden und schottet sich seit Beginn der Covid-19-Pandemie rigoros vom öffentlichen Leben ab. Mit seinen Ministern und Abgeordneten soll er über Messenger kommunizieren und an seine Wähler wendet er sich ausschließlich über Facebook. Toni Nikolow, Autor der bulgarischen Seite Portal Kultura, bezeichnete ihn deswegen jüngst als "politisches Hologramm".
Showdown im Parlament erwartet
Premierminister Petkow reagierte bereits am Mittwoch unmittelbar mit der Botschaft: Wir machen als Minderheitsregierung weiter. Bekenntnisse zur Koalition machten seine Partner von der Sozialistischen Partei (BSP) und von der Partei Demokratisches Bulgarien (DB). "Slawis Abgang mag die drei verbleibenden Partner konsolidieren, aber das Regieren im Parlament wird noch schwieriger", sagt Rumena Filipowa.
Wie das aussehen kann, zeigte der Donnerstagabend, als die Vorlage für den aktualisierten Haushalt mit einem Patt von 11:11 Stimmen im zuständigen Parlamentsausschuss scheiterte. Damit kommt es in der kommenden Woche zum großen Showdown im Plenarsaal: Gelingt es Petkow nicht, die fehlenden 12 Stimmen aus der Opposition für den Haushalt zu beschaffen, steht die Regierung vor dem endgültigen Aus. Sie droht damit zum Spielball der Opposition zu werden. Der Oppositionsführer und ehemalige Langzeit-Premier Bojko Borissow scheint es jedoch angesichts aktueller Umfragewerte, nach denen kein Bündnis eine klare Mehrheit bekäme, nicht eilig zu haben. Staatspräsident Rumen Radew, einst Förderer und nun erbitterter Gegner des pro-westlichen Petkow, hielt sich ebenfalls bedeckt und rief die Parteien am Freitagmorgen lediglich dazu auf, eine Lösung zu finden und Neuwahlen zu vermeiden.
Nordmazedonien, NATO und Russland
Während es für die Regierung Petkow ums innenpolitische Überleben geht, zieht Bulgarien derzeit internationales Interesse auf sich: Am Samstag ist Bundeskanzler Olaf Scholz in Sofia, um im Streit über die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien zu vermitteln. Premier Petkow zeigte sich in dieser Frage kompromissbereit, hat damit jedoch die Parlamentsmehrheit, Präsident Radew und die Mehrheit der öffentlichen Meinung gegen sich. Dasselbe gilt auch in der Frage der Militärhilfe für die Ukraine oder der Diversifizierung der Energieversorgung des Landes.
Wie kompliziert die Regierungskrise sich auf innenpolitische und außenpolitische Fragen in Bulgarien auswirkt, fasst Martin Kothé, Leiter des Sofioter Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, zusammen: "Es ist ein Jammer: Slawi Trifonow hat gezeigt, dass seine Partei mit Verantwortung nicht umgehen kann. Jetzt geht es darum, den Kampf gegen Korruption und für eine Justizreform zu retten. Zugleich muss Bulgarien den Beweis antreten, dass das Land fest in der NATO und der EU verankert ist und sich angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht auf die Leimspur des Kremls führen lässt. Für beide Fragen finden sich Mehrheiten im Parlament, aber nur mit jeweils unterschiedlichen Parteien. Premier Kiril Petkow steht also vor einer wahren Herkulesaufgabe."