Das achte Mal
28. Oktober 2015Es ist der achte Besuch der Bundeskanzlerin in China. Die Acht ist in China die Glückszahl. Sie bedeutet Harmonie. Aber die Stimmung ist eher wie im verflixten siebten Ehejahr. Routine, Ernüchterung – und das, obwohl es keine engeren Beziehungen zu einem anderen Land in Europa gibt als zu Deutschland. Nicht zufällig lädt Premierminister Li Keqiang die Bundeskanzlerin in seine Heimatstadt Hefei in der südostchinesischen Provinz Anhui ein und begleitet sie sogar persönlich dahin.
Dort soll sie sich selbst ein Bild von der Armut in China machen. Anhui galt lange als rückständigste Region in Ostchina, die vor allem auf Agrarwirtschaft baute. Doch mittlerweile hat sich die Provinz zum Zentrum der Schwerindustrie, vor allem der Automobilindustrie, weiterentwickelt. So lag das Pro-Kopf-BIP der Provinz im vergangenen Jahr bei über 5.600 US-Dollar, während es vor fünfzehn Jahren noch bei 1.935 US-Dollar lag. Der Durchschnitt in China beträgt 7.600 US-Dollar.
Auch Menschenrechtsfragen auf der Agenda
Grundsätzlich ist eigentlich alles soweit in Ordnung in den deutsch-chinesischen Beziehungen. So kommt Bundeskanzlerin Merkel zwar nur kurz aber mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach China. Der Airbus der Kanzlerin ist voll besetzt. Insgesamt reist sie mit 18 Chefs der deutschen Wirtschaft an. Die Manager haben immer Sorgen. Aber das Geschäft läuft den Umständen entsprechend gut. An der Wachstumsdelle kann Merkel nur wenig herummäkeln. Sie würde dann gleich den Hinweis ernten, dass es der Weltwirtschaft und eben auch Europa nicht sehr rosig geht.
Die Kanzlerin hat ein gutes Vertrauensverhältnis zu den chinesischen Spitzenpolitikern, das es ihr erlaubt auch kritische Menschenrechtsfragen anzusprechen. Auch dieses Mal wird sie wieder Fälle ansprechen, die ihr am Herzen liegen. Dem Vernehmen nach auch den Fall der Deutsche Welle-Mitarbeiterin Gao Yu. Sie wird mit den Chinesen über den bevorstehenden Klimagipfel in Paris sprechen, aber auch über Syrien, nachdem Peking in den Verhandlungen mit dem Iran eine sehr konstruktive Rolle gespielt hat.
China in wirtschaftlicher Umbauphase
Und Merkel ist gespannt auf die Ergebnisse der Beratungen zum neuen Fünfjahresplan, der 2016-2020 in Kraft treten soll. Die Beratungen gehen am Tag ihrer Ankunft zu Ende. Wie es weitergeht, ist für Deutschland sehr wichtig, da China sich in einer wirtschaftlichen und politischen Umbauphase befindet, deren Ausgang ungewiss ist. Und dennoch, obwohl die Beziehungen in dieser Hinsicht gut laufen, ist irgendwie die Luft raus. Es fehlt das neue Projekt, die Herausforderung, die gemeinsamen Ziele. Die Innovationspartnerschaft, die im vergangenen Jahr beschlossen wurde, lässt sich nicht so recht mit Leben füllen.
Das Stichwort Industrie 4.0 stößt in China auf größeres Interesse als in Deutschland. Schon vorab kann man feststellen: Die große Idee, um die Beziehungen neu zu beleben, fehlt bei diesem Besuch. „Ein Routinebesuch“, sagen deutsche Diplomaten. Aber viel mehr kann man von der Kanzlerin auch derzeit kaum erwarteten. Im Vergleich zu den anderen Problemen die sie hat, sind die deutsch-chinesischen Beziehungen fast reibungslos. Also wird Merkel routiniert freundlich durch die 36 Stunden China steuern und sich auf dem Rückweg im Flugzeug schon wieder mit den deutschen Sorgen beschäftigen müssen. Kaum ist sie gelandet, wird China schon vergessen sein: Dann heißt es wieder Flüchtlinge, Syrien, Putin und Griechenland.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.