Grüne Autos fürs Volk
27. April 2016Fett müssen die Autos in China sein. SUVs haben die Chinesen am liebsten. Gerne auch fürs Schritttempo im Stadtverkehr. Und länger als im Westen sollen die Limousinen sein. Damit der Besitzer sich hinten räkeln kann. Das Auto ist in China immer noch mehr Statussymbol als Beförderungsmittel. Daran hat sich – der Pekinger Automesse nach zu urteilen – noch nicht viel geändert. Bis zum 4. Mai buhlen alle Hersteller der Welt noch um die Kunden auf dem am stärksten wachsenden Markt der Welt.
Ansonsten ist fast alles neu und ungewohnt. Nach dem Einbruch im vergangenen Jahr wächst der Markt wieder, aber nur einstellig mit rund sechs Prozent. Dass die Regierung die Steuer für den Kauf eines Kleinwagens halbiert hat, zahlt sich nun aus. Wenn auch nicht so viel wie erhofft. Das ist allerdings Jammern auf hohem Niveau. Denn sechs Prozent Wachstum bedeuten in China immer noch 5,5 Millionen verkaufte Autos. Das ist viel im Vergleich zu den vier Millionen jeweils in Europa und Amerika. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das Wachstum noch länger anhält, ist hoch. Von einem gesättigten Markt kann man in China bei durchschnittlich nur etwa 70 Autos auf 1000 Einwohner nicht sprechen. In den USA ist die Autodichte zehnmal so hoch.
Risiko: Abhängigkeit vom chinesischen Markt
Bislang war China eine reine Goldgrube für ausländische Autofirmen – besonders für deutsche, die hier um die zwanzig Prozent Marktanteil erzielen. Volkswagen hat letztes Jahr von fast 10 Millionen verkauften Autos knapp vier Millionen in der Volksrepublik an den Mann gebracht. Und Mercedes, noch mit der Aufholjagd zu BMW und Audi beschäftigt, wächst mit 30 Prozent. Das ist erfreulich, schafft aber auch Abhängigkeiten. Und je größer die Abhängigkeit, desto riskanter sind die Prognosen für die jeweiligen Konzerne.
Toyota ist sich unsicher, ob das selbst gesteckte Ziel von zwei Millionen verkaufter Autos bis 2025 erreicht werden kann. Vor vier Jahren plante Ford, die Produktion in China bis 2015 zu verdoppeln. Über weitere Expansionen will man jetzt erst mal nicht mehr reden. Volkswagen hatte vergangenes Jahr Investitionen von 22 Milliarden Euro bis 2020 in China angekündigt, um die Produktion in China um 40 Prozent auf fünf Millionen Autos jährlich zu erhöhen. Auf der Automesse hat Jochen Heizmann, VW-China Vorstand, die Erwartungen etwas zurückgeschraubt. Jetzt ist nur noch die Rede von erst einmal vier Milliarden Euro, die dieses Jahr mit Vertragspartnern investiert werden sollen. Weitere Pläne würden nun verschoben.
Immer mehr Hybrid- und Elektroautos
Doch nach dem Abgasskandal in den USA ist China der einzige Markt, der Konzernchef Matthias Müller durchatmen lässt. Auch hier liegen Chance und Abhängigkeit eng beieinander. Noch nie war der Konzern so sehr in den Händen der chinesischen Politik wie jetzt. Und dabei ist er auch noch in den Fängen der amerikanischen Politik. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass Peking diese Macht auch ausspielt. Aber man könnte es jederzeit. Müller war jedenfalls in dieser Woche nicht in Peking.
Nach Jahren auf der Überholspur muss die chinesische Automobilbranche jetzt ein wenig ausrollen und die Geschwindigkeit senken. Der Markt wandelt sich. Noch nie waren so viele Hybrid- und Elektroautos zu sehen wie in diesem Jahr. War der Vormarsch der E- und Hybrid-Autos letztes Jahr noch eine Prognose, ist er jetzt Realität. Der Boom wird erzwungen. Vielen Autokäufern in Chinas Großstädten bleibt momentan nämlich gar nichts anderes übrig, als auf einen Hybriden oder ein reines E-Auto zu setzen, wenn sie eine schnelle Neuzulassung wollen. Vergangenes Jahr hat China die USA als wichtigster Markt für Hybrid- und Elektroautos abgelöst. Die Verkäufe vervierfachten sich auf rund 180.000 Fahrzeuge.
Auch deutsche Hersteller ziehen nach
Noch bis 2017 können Käufer von E-Autos bis zu 120.000 Yuan (17.000 Euro) vom Staat an Subventionen abgreifen. Das Ziel: Bis 2020 wünscht sich die Regierung fünf Millionen auf den Straßen ihres Landes. Auf diesen Zug springen auch die deutschen Autohersteller auf - bevor er abgefahren ist. Volkswagen etwa plant, 15 verschiedene lokal produzierte Hybrid- und E-Autos in den nächsten Jahren auf den Markt zu bringen. Der Druck der Politik ist hier spürbar und der gilt auch für die ausländischen Hersteller.
Und ausländische Hersteller, besonders die deutschen Marken, genießen immer noch den besten Ruf unter den chinesischen Käufern. Doch die chinesische Konkurrenz schläft nicht. Gerade auf dem Markt für E-Autos will sie sich gegen die Großen der Branche etablieren. Ein Start-up macht besonders Schlagzeilen: Vor einer Woche wurde bekannt, dass die chinesische Firma Future Mobility vier Spitzeningenieure von BMW abgeworben hat – unter anderem Carsten Breitfeld, den Chefentwickler der Elektrosparte. Warum also umständlich kopieren wie früher, wenn man sich die Spezialisten auch kaufen kann.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.