Sind Killerroboter & Co. noch kontrollierbar?
15. März 2019Nach dem Ausstieg der USA und Russlands ist der INF-Vertrag, der landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verbietet, wahrscheinlich Geschichte. Bundesaußenminister Heiko Maas hofft zwar weiterhin, dass der Vertrag noch eine Zukunft hat. Er weiß aber, dass sich dafür einiges ändern müsste. Moskau und Washington hätten sich "nicht länger die Hände binden wollen, während Länder wie China, Nordkorea, Indien oder Pakistan gerade bei den landgestützten Mittelstreckenraketen aufrüsten", so Maas.
Die internationale Sicherheitspolitik erlebt schwierige Zeiten. Der Streit um den INF-Vertrag ist exemplarisch. Er steht für eine tiefgreifende Krise von Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nicht-Verbreitung von geächteten Waffen. Ist Rüstungskontrolle überhaupt noch möglich? Kann sie erhalten und weiterentwickelt, also an die Realitäten angepasst werden?
Ratlosigkeit und Stillstand
Der Außenminister hofft darauf. "Das multilaterale, politische System wirkt angesichts der drohenden Gefahren wie gelähmt", so Maas, der Aufmerksamkeit erzeugen, neue Bewegung in den Rüstungskontrollprozess bringen und das Thema wieder stärker auf der internationalen Tagesordnung verankern will. Im Auswärtigen Amt begrüßte er am Freitag 450 internationale Experten, Politiker, Diplomaten und Militärs zur Konferenz "2019. Capturing Technology. Rethinking Arms Control".
Auf der Konferenz wurde allerdings deutlich, dass die deutsche Initiative einer Herkulesaufgabe gleichkommt. Die Menschheit rüstet derzeit in einer geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit auf. Neue Technologien werden entwickelt, die mit ihren Schreckensszenarien alles bislang Gekannte in den Schatten stellen. Killer-Roboter, die auf Basis anonymer Datensätze und völlig jenseits menschlicher Kontrolle über Leben und Tod entscheiden. Raketen, die mit Schallgeschwindigkeit fliegen und nicht abzuwehren sind. Cyber-Angriffe, die alles lahmlegen, was der moderne Mensch zum Leben braucht.
Aushungern als Kriegswaffe
Längst hat die Aufrüstungsspirale alle bisher vereinbarten Kontrollmechanismen gesprengt. Die bisherigen Abkommen decken die neuen Technologien nicht ab. Ein Beispiel: Das Biowaffenabkommen von 1975. Damals war es nicht vorstellbar, dass man gentechnisch veränderte Viren auf Trägerraketen in andere Länder schießen kann, um dort die Landwirtschaft so breit und nachhaltig zu zerstören, dass eine Hungersnot ausbricht.
Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI sieht enorme Sicherheitsrisiken in der Biotechnologie und fordert in einem aktuellen Bericht, der auf der Berliner Abrüstungskonferenz vorgestellt wurde, dringend eine Anpassung der bestehenden Rüstungskontrollabkommen. Die Entwicklung, Produktion und Anwendung von biologischen Waffen werde durch neue Techniken wie den 3D-Druck noch leichter und gefährlicher.
"Der vermehrte Einsatz von Robotern in Laboren könnte zu einem signifikanten Produktivitätsgewinn während des Entwicklungs-, Bau-und Test-Zyklus biologischer Waffen führen", warnt SIPRI-Forscher Vincent Boulanin. "Künstliche Intelligenz hingegen könnte eingesetzt werden, um neue Wege zur Optimierung der Übertragbarkeit oder Virulenz eines biologischen Wirkstoffs zu finden."
Politik, Wissenschaft und Wirtschaft müssen an einen Tisch
Technologien, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können, sind besonders schwierig zu kontrollieren. Im SIPRI-Bericht wird den Regierungen daher empfohlen, auf systematischere Weise die Entwicklungen in Wissenschaft und Technik zu verfolgen und zu beurteilen. Zusätzlich mahnt der Bericht an, dass die Privatwirtschaft die Selbstregulierung verstärken sollte.
"Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, ein dauerhaftes Gremium von Experten und Wissenschaftlern unter dem Dach des Biowaffenübereinkommens einzurichten - das Risiken klar benennt und Staaten darüber aufklärt und berät", reagiert der Bundesaußenminister. "Wir müssen verhindern, dass Staaten, Terroristen oder Kriminelle neue Verfahren und den freien Zugang zu wissenschaftlicher Forschung nutzen, um mit biologischen Waffen die ganze Menschheit zu gefährden."
Autonome Waffen sind unkontrollierbar
Doch die Biotechnologie ist nur einer von insgesamt vier Bereichen, in denen Maas unmittelbar Handlungsbedarf sieht. Bei den autonomen Waffensystemen müssten Regeln gefunden und dafür gesorgt werden, dass rote Linien nicht überschritten würden.
"Es sind nicht nur ethische Erwägungen, die gegen solche Waffen sprechen: Vollautonome Waffen sind anfällig für Manipulation und Fehlkalkulationen. Automatische Eskalationen und Rüstungswettläufe sind praktisch vorprogrammiert." Bei den in Genf laufenden Verhandlungen müsse es in diesem Jahr Fortschritte geben. "Wir wollen das Prinzip wirksamer menschlicher Kontrolle über alle tödlichen Waffensysteme international festschreiben und damit einen großen Schritt gehen hin zur weltweiten Ächtung vollautonomer Waffen."
Maas warb auf der Abrüstungskonferenz außerdem für universelle Verhaltensnormen und Standards bei der Sicherheit des Cyberraums und für den Start eines internationalen "Raketendialogs". Im Nahen Osten verfügten nicht-staatliche Akteure bereits über Kurzstreckenraketen. Die Fähigkeiten und Reichweiten iranischer oder nordkoreanischer Raketen seien "mehr als beunruhigend". Eine technologische Neuerung sind "Hypersonic Weapons", Flugkörper, die mit vielfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs sind. Russland will erste Systeme bald in Dienst stellen. Abwehrmöglichkeiten gibt es wegen der enormen Geschwindigkeit nicht.
Aus China höchstens Lippenbekenntnisse
Ohne die Mitwirkung von Russland und von China werden alle Bemühungen um eine Ausweitung der Rüstungskontrolle ins Leere laufen. Das weiß auch die Bundesregierung. Der Außenminister hatte beide Länder daher zu seiner Abrüstungskonferenz nach Berlin eingeladen. Die Volksrepublik sprach er in seinem Appell für ein Wiederaufleben des INF-Vertrags ausdrücklich an. "Auch Akteure wie China müssen sich der Verantwortung für die strategische Stabilität stellen", so Maas. Die so Adressierten lassen bislang allerdings wenig Bereitschaft erkennen, bei zukünftigen Abkommen in der ersten Reihe zu sitzen.