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PolitikEuropa

SIPRI: 2,4 Billionen Dollar weltweite Militärausgaben

22. April 2024

2023 stiegen die internationalen Rüstungsausgaben um fast sieben Prozent auf einen neuen Rekordwert, so das Stockholmer Friedensforschungsinstitut. Konfliktherd Nummer eins: die Ukraine.

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Militärparade mit einigen Soldaten auf Panzern, in einem steckt die weiß-rote polnische Flagge
Hohe Zuwächse: Polnische Soldaten auf Panzern nehmen am 15. August 2023 an einer Militärparade in Warschau teil Bild: Wojtek RADWANSKI/AFP

Dass angesichts der internationalen Krisen die Spitzenreiter USA, China und Russland ihre Militärausgaben noch einmal massiv erhöht haben, mag nicht wirklich überraschen. Auch dass zum ersten Mal seit 2009 die Militärausgaben in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten, Europa, Asien und Ozeanien sowie Nord- und Südamerika allesamt ansteigen, ist bei einer Welt im Krisenmodus nicht unbedingt verwunderlich.

Doch womit selbst das Stockholmer Friedensforschungsinstitut nicht gerechnet hat, das ist der größte prozentuale Anstieg für 2023 in einem Land wie der Demokratischen Republik Kongo, mit einem langwierigen Konflikt zwischen der Regierung und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, um satte 105 Prozent.

Xiao Liang, wissenschaftlicher Mitarbeiter des SIPRI-Programms für Militärausgaben und Rüstungsproduktion, sagt gegenüber der DW: "Was uns überrascht hat, ist die Höhe des Anstiegs im Rest der Welt, insbesondere in Lateinamerika und Afrika." In Mexiko und El Salvador nutzten die Regierungen das Militär zum Beispiel für innere Angelegenheiten, um organisierte Kriminalität und Bandengewalt zu bekämpfen, ähnliche besorgniserregende Trends gebe es in Ecuador und Brasilien.

"Der Anstieg an sich ist also nicht allzu überraschend, Ausmaß und Umfang dagegen schon. Und was den globalen Trend betrifft, so werden wir in den kommenden Jahren wahrscheinlich einen weiteren Anstieg sehen, wenn die derzeit anhaltenden Konflikte und Spannungen anhalten", sagt Xiao Liang.

Russland stellt auf Kriegswirtschaft um

Konfliktherd Nummer eins bleibt die Ukraine nach der russischen Invasion. Im Jahr 2023 erreichten die Militärausgaben Russlands in Prozent des Bruttoinlandsproduktes den höchsten Stand seit dem Ende der Sowjetunion, rechnet Xiao Liang vor: 5,9 Prozent. Gleichzeitig hätten diese bei der Ukraine sogar 37 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen. Der Krieg belaste die Ukraine also viel stärker als Russland, so der SIPRI-Forscher. Den nackten Zahlen nach bleibt es also ein ungleicher Kampf, doch die Ukraine habe dank westlicher Unterstützung aufgeholt.

"Bis auf drei Staaten haben alle NATO-Mitglieder ihre Ausgaben erhöht. Außerdem haben elf der 31 NATO-Mitglieder ihr Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreicht oder sogar überschritten, so viel wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Auch mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO gehen wir davon aus, dass weitere Länder ihre Ziele erreichen und die Ausgaben der NATO-Länder insgesamt weiter steigen werden."

Xiao Liang mit Brille schaut in die Kamera
"Solange Europa, Asien und die USA ihre Ausgaben weiter erhöhen, setzt sich der Trend auch in Zukunft fort" - Xiao LiangBild: privat

China rüstet auf, Taiwan, Japan und Indien reagieren

Bei einem Blick auf die SIPRI-Statistiken muss man nicht lange überlegen, welcher Konflikt schon lange schwelt und die Militärausgaben auch 2023 in die Höhe schnellen ließ: der zwischen China und Taiwan. China hat gegenüber dem Vorjahr noch einmal sechs Prozent mehr und damit 296 Milliarden Dollar für sein Militär ausgegeben, die Hälfte der gesamten Region Asien und Ozeanien.

Als Reaktion haben Japan und Taiwan ihre Ausgaben auch jeweils um elf Prozent erhöht, auf 50,2 sowie 16,6 Milliarden Dollar. China verwende einen Großteil seines wachsenden Militärbudgets, um die Kampfbereitschaft der Volksbefreiungsarmee zu erhöhen, sagt Xiao Liang.

"Die Ausgaben Chinas steigen nun schon seit 29 Jahren in Folge und das sehr stetig, die längste Serie eines einzelnen Landes. Meist parallel zum Wirtschaftswachstum, unabhängig von Schwankungen bei geopolitischen Spannungen oder globalen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine oder COVID. Die militärische Modernisierung Chinas führt wiederum dazu, dass auch Länder wie Japan, Taiwan oder auch Indien ihre Ausgaben steigern", sagt Xiao Liang.

"Militärische Sicherheit hat wieder Priorität"

Weitere bemerkenswerte Entwicklungen im SIPRI-Bericht: Im Südsudan, von interner Gewalt und dem Übergreifen des sudanesischen Bürgerkriegs betroffen, stiegen die Militärausgaben 2023 um 78 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Polen verzeichnete angesichts der russischen Bedrohung den höchsten Anstieg in einem europäischen Land, mit 75 Prozent Zuwachs gegenüber dem Vorjahr auf 31,6 Milliarden Dollar. Und der Iran steht mit jetzt 10,3 Milliarden Dollar an vierter Stelle mit seinen Militärausgaben im Nahen und Mittleren Osten.
Niklas Schörnig, Politikwissenschaftler am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, sagt gegenüber der DW: "Wir leben in einer Zeit, in der militärische Sicherheit wieder Priorität hat, wo Sicherheit wieder militärisch gedacht wird. Insofern sind diese Zahlen einfach nur Ausdruck dieser Denkweise." Hinzu komme, Beispiel Ukraine und die jüngsten iranischen Angriffe auf Israel: Verteidigung sei deutlich teurer als Angriff. "Mit den aktuellen Drohnen, die zum Beispiel der Iran an Russland liefert, und die der Iran jetzt eingesetzt hat: Da ist der Aufwand für die Abwehr enorm kostenintensiv."

Niklas Schörnig mit Brille und Bart schaut in die Kamera, dahinter verschwommen ein Bücherregal
"Russland als Diktatur kann Kriegswirtschaft auch gegen Druck der Bevölkerung lange aufrechterhalten" - Niklas SchörnigBild: Leibniz-Institut

Zeitalter der unkontrollierten Aufrüstung

Schörnig, der auch ein Buch über Rüstungsdynamik und Rüstungskontrolle geschrieben hat, sieht mit Blick auf bestimmte Bedrohungslagen wie die in der Ukraine eine militärische Abrüstung in weiter Ferne. Die Welt befinde sich zurzeit in einer neuen Zeitrechnung: die der unkontrollierten Aufrüstung, weil die meisten Rüstungskontrollabkommen nicht mehr in Kraft oder ausgesetzt seien. Dies führe wiederum dazu, dass die Staaten weltweit immer mehr aufrüsteten, eine Spirale mit immer mehr Instabilität. Er fordert ein neues internationales Ziel:

"Dass Staaten zumindest wieder kontrolliert aufrüsten, dass man sich also einigt: Wir rüsten insgesamt nicht über ein bestimmtes Niveau auf. Dann wäre da schon einmal eine gewisse Dynamik herausgenommen. Die Rüstungskontrolle könnte durchaus ein Zwischenziel sein, also Rüstung zu kontrollieren und zu stabilisieren, damit nicht jeder völlig wild aufrüstet, wie er gerade möchte." 

Auch der Nahe Osten rüstet auf

Sehr wahrscheinlich, dass der nächste SIPRI-Bericht zu den Militärausgaben für 2024 erneut einen Anstieg konstatieren wird. Auch, weil der Gaza-Krieg und die Spannungen im Nahen und Mittleren Osten schon 2023 für den größten Ausgabenanstieg der letzten zehn Jahre in der Region gesorgt haben. Die geschätzten Militärausgaben im Nahen und Mittleren Osten stiegen um neun Prozent auf 200 Milliarden Dollar. Allein die Militärausgaben Israels - nach Saudi-Arabien die zweitgrößten in der Region - stiegen um 24 Prozent auf 27,5 Milliarden Dollar. 

Der Politikwissenschaftler Niklas Schörnig sieht daher eher pessimistisch in die Zukunft: "Sofern sich die politische Großwetterlage nicht ändert, glaube ich nicht, dass sich der Trend zu mehr Aufrüstung umkehren wird. Dies wäre nur möglich, wenn es in der Ukraine zu einem Frieden käme, der das Land nicht spaltet." Beim China-Taiwan-Konflikt hoffe er dagegen immer noch, dass die USA und China über Verhandlungen die Situation kontrollieren könnten, aber trotzdem: "Momentan ist die aktuelle Weltlage, und das spiegeln die SIPRI-Zahlen deutlich wider, brandgefährlich."

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Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur