Deutschland steigert Rüstungsausgaben deutlich
27. April 2020Rekordverdächtige 1917 Milliarden US-Dollar haben die Staaten der Welt 2019 für Rüstungsgüter ausgegeben. Es ist der höchste Wert seit 1988, so das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) in seinem aktuellen Jahresbericht. Im Vergleich zum Vorjahr bedeuteten die Ausgaben einen Anstieg von 3,6 Prozent. Gleichzeitig war es der größte jährliche Zuwachs bei den Militärausgaben seit 2010. Auch Deutschland hat dazu beigetragen: Um ganze zehn Prozent hat das Land seine Militärausgaben im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Kein anderes Land unter den Top 15 der Welt verzeichnete einen so starken Anstieg. Insgesamt gab Berlin 49,3 Milliarden US-Dollar für seine Rüstung aus.
Max Mutschler erforscht Rüstungsfragen am Bonn International Center for Conversion (BICC), einem der führenden deutschen Friedensforschungsinstitute. Der Politikwissenschaftler verweist im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW) auf die Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Das Militärbündnis hatte 2014 bei einem Gipfeltreffen in Wales beschlossen, dass sich alle Mitgliedstaaten innerhalb von zehn Jahren dem Ziel annähern sollen, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben: "Schon vor der Trump-Administration wurde auf Deutschland Druck ausgeübt, die Militärausgaben zu heben. Dieser Druck zeigt jetzt Wirkung. Allerdings muss man auch sagen, dass die Ausgaben immer noch deutlich von diesen Zwei Prozent entfernt sind", erklärt Mutschler.
Russland als Bedrohung
SIPRI-Forscher Diego Lopes da Silva sagt, die Erhöhung der deutschen Rüstungsausgaben liege auch daran, "dass Russland wieder vermehrt als Bedrohung wahrgenommen wird". Mit Ausgaben in Höhe von 65,1 Milliarden US-Dollar liegt Russland weltweit auf Rang vier. Wie viel der Regierung in Moskau am Ausbau ihres Militärs im Vergleich zu anderen Lebensbereichen liegt, wird deutlich, wenn man einen Blick auf den prozentualen Anteil am BIP wirft: Die Summe macht fast vier Prozent des russischen BIP aus. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hat Deutschland lediglich 1,38 Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben.
Für Lopes da Silva ist klar, dass die Regierung in Berlin mit der Einschätzung einer Bedrohung durch Russland nicht alleine ist. Auch viele andere Regierungen von NATO-Staaten beobachteten die Entwicklung mit Argusaugen. Das Ergebnis zeigt der SIPRI-Bericht deutlich: Sechs der Top-15-Staaten, die am meisten für Rüstungsgüter ausgaben, sind NATO-Mitglieder. Neben den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien zählen Italien und Kanada dazu. Nimmt man die Ausgaben all dieser Länder zusammen, kommt man fast auf die Hälfte der weltweiten Militärausgaben. Insgesamt gaben die 29 NATO-Mitglieder im Jahr 2019 rund 1035 Milliarden US-Dollar aus.
Max Mutschler vom BICC können solche Zahlen nicht mehr überraschen: "Rüstungsausgaben orientieren sich an Worst-Case-Szenarien", so Mutschler gegenüber der DW. In der öffentlichen Wahrnehmung stünden zwar oftmals wirtschaftliche Konflikte zwischen Staaten im Vordergrund. Im Hintergrund jedoch stünde immer noch das scharfe Schwert des militärischen Konflikts: "Im Falle der angespannten Situation zwischen den USA und China wissen wir beispielsweise nicht, ob es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommen wird. Aber die Militärs dieser beiden Länder planen für diesen Fall und sind in ihrer Lobbyarbeit sehr erfolgreich."
USA und China weltweite Spitzenreiter
In der Tat stechen die Militärausgaben der beiden Supermächte auch im diesjährigen SIPRI-Bericht wieder hervor. Die USA zahlten im Jahr 2019 mit 732 Milliarden US-Dollar ganze 38 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben. Alleine die Erhöhung im Vergleich zum Vorjahr entsprach der Summe, die Deutschland im Jahr 2019 insgesamt für Rüstungsgüter ausgegeben hat. Ein Teil davon entfällt auf erhöhte Personalkosten. In den vergangenen beiden Jahren haben die amerikanischen Streitkräfte rund 16.000 neue Militärs eingestellt. Zum anderen treibt das Land die Modernisierung seines konventionellen- und atomaren Waffenprogramms voran.
Laut SIPRI-Bericht liegen die gesteigerten Ausgaben der USA allerdings auch am Verhalten Chinas. Das Reich der Mitte hat in den vergangenen Jahren seine Ausgaben am deutlichsten gesteigert und liegt inzwischen mit 14 Prozent der weltweiten Ausgaben auf Rang zwei hinter den Vereinigten Staaten. Auch im vergangenen Jahr erhöhte Peking seine Militärausgaben. Im Vergleich zu 2018 stiegen die chinesischen Militärausgaben um über fünf Prozent und beliefen sich 2019 auf 261 Milliarden US-Dollar. Seit 1994 hat Peking seine Militärausgaben kontinuierlich erhöht. Seit 2010 allein um 85 Prozent. Dies geschah nahezu im Gleichschritt mit dem Wirtschaftswachstum: Der Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag fast immer bei 1,9 Prozent.
Indien überholt Saudi Arabien
Neben China sorgt auch noch eine weitere asiatische Großmacht für Aufsehen. Indien erhöhte seine Rüstungsausgaben 2019 um knapp sieben Prozent auf 71,1 Milliarden US-Dollar. Für SIPRI-Forscher Siemon Wezeman hat das vor allem mit dem geopolitischen Umfeld zu tun. "Die angespannte Situation mit den Nachbarländern Pakistan und China sind die Hauptgründe, warum die indische Regierung ihre Militärausgaben so drastisch erhöht hat." Die Atommacht verdrängte im weltweiten Ranking Saudi-Arabien vom dritten Platz.
Zwar gab das Königreich im Vergleich zu anderen Ländern im Nahen Osten mit Abstand am meisten Geld für Rüstung aus. Im Jahr 2019 waren es 61,9 Milliarden US-Dollar. Im Vergleich zum Vorjahr brachen die Rüstungsausgaben Saudi-Arabiens allerdings um ganze 16 Prozent ein. Laut SIPRI-Bericht ist eine solche Entwicklung überraschend, da "Saudi-Arabien weiterhin seine Militäroperationen im Jemen fortsetzt und auch die Spannungen mit dem Iran zugenommen haben". Im vergangenen Jahr waren bei Luftschlägen wichtige saudische Ölanlagen zerstört worden. Neben der Führung in Riad hatten auch die USA, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich den Iran für die Angriffe verantwortlich gemacht.
Restliche Welt weit abgeschlagen
Im Vergleich zu den riesigen Summen der "Big Player" verblassen die Rüstungsausgaben der restlichen Welt. Die Länder Südamerikas gaben "nur" rund 53 Milliarden US-Dollar aus. Über die Hälfte davon ist auf Brasilien zurückzuführen. Die Länder in Südostasien kommen zusammen auf rund 41 Milliarden US-Dollar und die Länder des afrikanischen Kontinents insgesamt auf knapp über 42 Milliarden US-Dollar.
In Afrika sind allerdings die starken Schwankungen bei den Ausgaben in den Ländern südlich der Sahara hervorzuheben. In Uganda schnellten die Militärausgaben beispielsweise um rekordverdächtige 52 Prozent nach oben, während sie im westafrikanischen Burkina Faso um ganze 22 Prozent einbrachen. Für die Autoren des SIPRI-Berichts ist das unterschiedliche Ausgabeverhalten davon abhängig, ob ein Land in direkte militärische Auseinandersetzungen verwickelt war oder nicht.