"Snowdens Enthüllungen kamen Peking gelegen"
25. Juni 2013Deutsche Welle: Die chinesische Regierung bestreitet, sich in die Ausreise des flüchtigen US-Informanten Edward Snowden aus Hongkong eingemischt zu haben. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Peking dabei keine Rolle gespielt hat?
Björn Alpermann: Das halte ich für unwahrscheinlich. Bei einer Angelegenheit von so großer internationaler Tragweite und wo vorauszusehen ist, dass die USA sich sehr über die Ausreise Snowdens echauffieren werden, halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Hongkonger Regierung sich nicht - zumindest informell - mit Peking abgestimmt hat.
Snowdens Enthüllungen über amerikanische (und britische) Überwachungsprogramme kommen der chinesischen Seite sehr gelegen, um amerikanische Vorwürfe fortgesetzter Hackerangriffe durch China zu relativieren. Was hätte Peking also sonst machen können, außer Snowden möglichst schnell ausreisen zu lassen?
Zunächst einmal war das Dilemma auf der Seite der Hongkonger Regierung. Hätte sie Snowden festgenommen und an die USA ausgeliefert, wären mit Sicherheit Vorwürfe der politischen Opposition in Hongkong laut geworden, dass dies eine Missachtung der Menschenrechte wäre. Auf der Flanke ist die Hongkonger Regierung immer angreifbar, weil sie von der Opposition immer unterstellt bekommt, dass sie im Prinzip nur auf Geheiß von Peking agiert.
Umgekehrt: Wenn sie ihn jetzt ausreisen lassen, kann ihnen unterstellt werden, dass sie das auf Anraten Pekings gemacht haben - und so ein Stück weit die Autonomie, die Hongkong ja verbrieft bekommen hat, aufgegeben haben. Für die Hongkonger Regierung war das ein schweres Dilemma. Insofern kann der Ratschlag aus Peking nur gewesen sein, die Sache möglichst schnell zu erledigen. Die "Lösung" bestand ja dann auch darin, die Sache auf eine formale Schiene zu verlagern und zu sagen: Was die USA uns vorgelegt haben, war nach unseren Gesetzen, nach unseren Vorgaben kein vollständiger Auslieferungsantrag und keiner, dem wir stattgeben können. Das ist im Prinzip die Version, bei der man das Gesicht wahrt und mit der man die Sache schnell aus der Welt schafft - oder zumindest in ein anderes Spielfeld verlagern kann.
Für Peking ist Snowden genau zum richtigen Zeitpunkt mit seiner Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen - nämlich zur Zeit des Treffens von Xi Jinping und Obama in Kalifornien. Dabei wollte Obama massiv Druck auf China ausüben, damit es Cyberangriffe und Internetspionage gegenüber amerikanischen Firmen - aber auch sicherheitsrelevanten Infrastrukturen - erst eingesteht und dann einstellt. Durch die Enthüllungen Snowdens ist ihm enorm der Wind aus den Segeln genommen worden. Ob dem Whisteblower Snowden nun der Prozess gemacht wird oder nicht, könnte Peking eigentlich egal sein. Ich sehe das Problem hauptsächlich auf der Seite der Hongkonger Regierung.
Wie bewerten Sie die gegenseitigen Vorwürfe Chinas und der USA in der Snowden-Affäre?
Da ist jetzt natürlich sehr viel aufgebauschte Rhetorik dabei, von beiden Seiten. Die USA versuchen das Ganze zu interpretieren als einen komplizenhaften Umgang Chinas mit einem Landesverräter. Die Chinesen dagegen versuchen das Augenmerk der Weltöffentlichkeit darauf zu lenken, dass zunächst einmal die USA sich der Gesetzesübertretung schuldig gemacht hätten, indem sie diese weitreichenden Überwachungsmaßnahmen eingesetzt haben. Aber dieses Thema wird sich innerhalb relativ kurzer Zeit wieder herunterschaukeln. Jetzt ist Snowden sowieso nicht mehr in China und die Wut der US-Regierung richtet sich jetzt auf Russland. Das kann für die bilateralen Beziehungen zwischen China und den USA nur gut sein.
Wann wird der chinesischen Bevölkerung diese Ironie der Geschichte aufgehen, wenn sich etwa die amtliche Volkszeitung in einem Kommentar darüber beklagt, dass die USA von einem "Modell der Menschenrechte" zu einem Staat geworden seien, der die Privatsphäre missachtet - wenn die chinesischen Leser doch genau wissen, dass ihre Privatsphäre gar nichts zählt?
Ein Vorwurf, den Snowden erhoben hat, war, dass die USA unter anderem versucht haben, die Pekinger Elite-Universität Tsinghua auszuspionieren. Da steht ein für das chinesische Internet sehr wichtiger Server. Gestern konnte man in einer Hongkonger Zeitung lesen, wie die Studenten darauf reagiert haben. Die waren ziemlich gelassen und haben gesagt: "Na ja, das ist nicht gerade die feine Art. Aber wir wissen ja ohnehin, dass wir überwacht werden von unserer eigenen Regierung." Solche aufgeklärten Leser werden die Attacken der Volkszeitung sicher einzuschätzen wissen.
Bei der breiten Masse allerdings muss man davon ausgehen, dass dies zu einem Ansehensverlust der USA beitragen wird. Das nutzt die chinesische Regierung ganz gezielt aus: Wo immer in den USA Menschenrechtsverletzungen oder kritische Fälle auftreten, schlägt Peking in diese Kerbe, übt Kritik an den USA oder an dem Westen insgesamt und sonnt sich darin, auch einmal auf der Seite der Ankläger zu sitzen.
Prof. Dr. Björn Alpermann hat den Lehrstuhl für Contemporary Chinese Studies an der Universität Würzburg inne.