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Tagebuch aus Baku

Suzanne Cords26. Mai 2012

Aserbaidschans Hauptstadt ist klinisch sauber, selbst die Mülleimer aus Edelhölzern. Hier wird kein Dreck unter den Teppich gekehrt, lautet die versteckte Botschaft. Unterwegs mit DW-Reporterin Suzanne Cords.

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Tagebuch 1 Suzanne & Matthias vor Taxi
ESC Alltag in Baku 2012Bild: DW

Was für ein herrlicher Tag. Zum ersten Mal hat sich die Dunstglocke über der Stadt verzogen, und die Sonne lacht von einem strahlend blauen Himmel. Eine schöne Gelegenheit, auf dem neu errichteten Boulevard am Ufer des Kaspischen Meers zur Crystal Hall und in das dahinter gelegene Pressezentrum zu schlendern. Gegenüber vom riesigen Regierungspalast geht es durch den neu angelegten "Park der Freiheit" in Richtung Wasser. Der grüne, frisch gesprengte Rasen verführt dazu, nach dem tagelangen Pflastertreten barfuss durchs Gras zu hüpfen, doch ein mahagonihölzernes Schild mit Beleuchtung zeigt zwei durchgestrichene nackte Füße. War wohl nix.

Schild: Wiese betreten verboten. Foto: Suzanne Cords
Barfuß verboten!Bild: DW

Der Blick aufs blau glänzende Meer ist nahezu idyllisch: Zwei, drei Riesenjachten dümpeln an einem Steg, in der Ferne kreuzen drei Militärschiffe. Nach 200 Metern blockiert eine riesige Holzwand den Weg, hübsch mit Eurovisionsmotiven und fröhlichen Leuten auf der Promenade bemalt. Mein Begleiter und ich können leider nicht fröhlich weiterflanieren, da Sicherheitsgitter und 20 Männer in Schwarz unser Begehren abwinken.

Bauschutt, Hupen und Security

Die Barriere zwingt zum Abbiegen Richtung achtspuriger Schnellstraße, wo zahlreiche Luxuskarossen um die Wette hupen und sich gegenseitig die Vorfahrt nehmen. Rechts um den prunkvollen Neubau herum hoffen wir, nach circa 500 Metern wieder links in Richtung Boulevard abbiegen zu können.

Irgendwie ist hier noch viel Baustelle: Schutthaufen, Löcher im Bürgersteig, ich fühle mich wie zuhause in Köln. An der nächsten Abzweigung biegen wir in eine schmale Gasse ein und landen unverhofft in einem Riesenpolizeiaufgebot. Nur ein paar Sicherheitsgitter trennen uns von den Ordnungshütern, die in Reih’ und Glied aufmarschieren.

Ein grimmig aussehender Security-Mann fragt unwirsch, wo wir denn hinwollen. Er gehört zur Gattung der schwarz gewandeten Gestalten, die überall auf der Welt unliebsames Gesindel hinter die Absperrungen verweisen. "Na, zum Pressecenter", sage ich selbstbewusst. Schließlich bin ich doch willkommen in Aserbaidschan. Hier nicht, will er uns verscheuchen.

Spießrutenlauf durch Absperrgitter

gruener Eurovisionsschmuck Foto: Suzanne Cords, 24.5.2012
Baku TagebuchBild: DW

Eine junge hübsche Polizistin mischt sich ein: "Sie müssen zurück zu der bemalten Hauswand, da ist ein Durchgang." Aber von dort hat man uns doch gerade hierhin geschickt. Die Dame hat ein Herz und geht mit uns den halben Kilometer zurück. "Haben wir nicht alles hervorragend organisiert in Aserbaidschan?" fragt sie. "Ist es nicht wunderschön in Baku?" Aus einem vorbeifahrenden Auto winken uns junge Männer zu: Willkommen.

Zurück an der ersten Sperre winken die Männer ab: hier nicht. "Doch", sagt die Polizistin, "das ist Presse." Die darf erst ab 20 Uhr hier lang, fehlen noch geschlagene sechs Stunden. Adieu, schöner Boulevard, jetzt ist es erst 14 Uhr. Unsere Fürsprecherin geht auf einen respekteinflößenden graumelierten Herrn zu, er hat wohl das Sagen hier. Mit einer Handbewegung signalisiert er seinen Mannen: Die beiden dürfen vorbei.

Mürrisch schiebt der Security-Mann das Gitter zur Seite und murmelt säuerlich: "Welcome in Azerbaijan". 40 Augenpaare fixieren uns misstrauisch. Im Zickzack laufen wir wie beim Spießrutenlauf durch die Absperrgitter. Ich weiß nicht, wovor man Angst hat in diesem Land. Wer wird hier vor wem beschützt? Herrscht hier Sicherheitsparanoia? Gestern bei der Pressekonferenz fragte eine Engländerin nach Menschenrechten und wurde umgehend von den umstehenden Aserbaidschanern beschimpft, sie beleidige das Land. Die gute Frau ist bestimmt nicht mehr willkommen.

Einsame Herzen

Kein einziger Flaneur weit und breit, wir sind allein auf einem Prachtboulevard, der nach Spaziergängern lechzt. Na ja, nicht ganz allein, alle 100 Meter steht ein Polizist, der unsere Presse-Passierscheine kontrolliert. Es ist heiß und wir schwitzen, außerdem haben wir die Strecke zur Crystal Hall unterschätzt. In anderen Ländern gibt es an solchen Orten Kioske, Cafés, fliegende Händler, kurzum: Leben. Nicht hier. Stattdessen begrüßen uns einsame Eurovisionsherzen. Aber umkehren wollen wir nicht, das könnte verdächtig erscheinen.

DW-Reporter Matthias Klaus. Foto: Suzanne Cords, 24.5.2012
DW-Reporter Matthias KlausBild: DW

Plötzlich fährt ein kleines Elektrogefährt auf uns zu. Der Mann am Steuer strahlt uns an. Bis zur Crystal Hall sind es noch sechs Kilometer, viel zu weit, begrüßt er uns auf Türkisch. Ich fahre Euch. Er lacht, strahlt, Germany sei schön, aber Aserbaidschan sei auch wunderschön. Ob er uns schon willkommen geheißen habe?

500 Meter vor dem Ziel ist Endstation. Umkehren! gebietet der Blick der Security, nachdem er unsere Taschen untersucht hat. Erst unser Appell an seinen Vorgesetzten, der seelenruhig auf einer Bank sitzt und Cay schlürft, bringt die Rettung. Widerwillig lässt man uns auf sein Geheiß hin passieren. Nach gefühlten 50 weiteren Kontrollen inklusive der Gepäckdurchleuchtung und dem Körperscanner landen wir endlich im Pressezentrum.

Folgenschwerer Fehltritt

In der Crystal Hall ist Generalprobe, die wollen wir nicht verpassen. Doch gerade als Roman Lob die Bühne betritt, geht das Licht aus, und ich leiste mir im Dunkeln einen Fehltritt. Da war gar keine Stufe. Unsanft knalle ich auf meine Knie, es knackt bedenklich, und an Aufstehen ist erstmal nicht zu denken. Mit einem großem Schritt steigt ein Kameramann über mich hinweg: "Müssen Sie da im Weg rumliegen?", schnauzt er mich an. Eigentlich nicht, ist auch eher unbequem. Auf allen vieren krieche ich die Treppe hoch zum Ausgang, mein Begleiter stützt mich. Die Pressemeute ignoriert uns.

Draußen stütze ich mich auf ein Absperrgitter und bitte einen Security-Ordner um Hilfe. In 50 Metern Luftlinie steht eine Ambulanz, aber ich müsse außen rum, sagt er. Backstage gäbe es eine Ärztin, aber da darf ich nicht hin. Sicherheitsbereich. Mittlerweile starren mich 20 Volunteers an. Keiner heißt mich willkommen. Das sind geschätzte 800 Meter, und ich kann nicht laufen.

Suzanne Cords umringt von Ambulanz. Foto: Suzanne Cords, 24.5.2012
Suzanne Cords umringt von AmbulanzBild: DW

Die Rettung naht in Form russischer DW-Kollegen, die ihrem Landsmann klar machen, er solle die Ärztin holen. Eine Russin kommt mit einem Jodfläschchen und zwei Pflastern in einer Nierenschale herbeigeeilt. Ich versuche ihr mittels meiner Dolmetscher klarzumachen, dass ein alter Bänderriss im Knie mich plagt und es eigentlich nur wieder eingerenkt werden müsse. Ein kurzer Ruck am Bein, mein Mann macht das dreimal im Jahr. Die Ärztin will davon nichts wissen. "Hospital", sagt sie und furchteinflößende Worte wie Injektion und Operation. Bloß keine Panik, denke ich und weigere mich standhaft.

Ich hätte ja gern ein Foto von mir und dem Auflauf um mich herum, als Journalistin denke ich an den Nachrichtenwert, aber der Security-Mann verbietet das. Ein Kollege knipst heimlich. Am Ende wird ein Rollstuhl angekarrt, man schiebt mich ins Pressezentrum, wo ich beim Einrollen samt Ärztetross erst noch mal von der Security kontrolliert werde, und überlässt mich meinem Schicksal. Jetzt ist es an dem Kollegen, mein Bein wieder einzurenken. Nach einer kurzen Einweisung ruckt er mehrmals am Bein, und ich bin wie neu.

Der wohl älteste ESC-Fan der Welt

Da können wir uns ja doch noch ins Nachtleben stürzen. Rund um den Fountain Square tobt das pralle Leben. Ganze Familien flanieren durch die Nacht, die Restaurants sind gut besucht, und das türkische Bier schmeckt ausgezeichnet. Ein Mann rollt ein uraltes Mütterchen im Rollstuhl an den Tischen vorbei. Sie hat einen Eurovisionsschal um den Hals und die aserbeidschanische Flagge an der Rückenlehne befestigt.

Oma im Rollstuhl Foto: Suzanne Cords, 24.5.2012
Mit 102 Jahren immer noch ESC-FanBild: DW

"Halt, Junge", ruft sie plötzlich auf Deutsch, "die Leute sind auch ESC-Fans". Flugs windet sie sich aus ihrem Gefährt und umarmt die Engländer am Nachbartisch. 102 Jahre alt ist die bayerische Frohnatur. Plötzlich will jeder ein Foto mit ihr, Kellner, Familien, ausländische Gäste. Der Enkel knipst geduldig. "Ich liebe Eurovision", strahlt der betagte Fan über beide Backen, "und so schnell werde ich auch nicht abtreten. Den ein oder anderen ESC kann ich also noch besuchen, bevor der Herrgott mich zu sich holt."