Sorge vor Versorgungsengpass in Tripolis
27. August 2011Nach tagelangen heftigen Gefechten in Tripolis haben die Rebellen die libysche Hauptstadt eigenen Angaben zufolge vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Am Samstag (27.08.2011) seien die Truppen des langjährigen Machthaber Muammar al-Gaddafi im Vorort Kasr bin Ghaschir besiegt worden, sagte der Rebellenoffizier Omar al-Ghusajl. "Wir haben es geschafft, sie komplett aus Tripolis herauszudrängen."
Kein Strom, kein Wasser, kaum mehr Lebensmittel
In der libyschen Hauptstadt werden die Grundnahrungsmittel knapp. Zudem ist die Stromversorgung in Tripolis ausgefallen - und ebenfalls die Wasserversorgung, weil nach Angaben der Übergangsregierung der Diesel für die Pumpen fehlt. Laut UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sind rund drei Millionen Menschen von akuten Versorgungsproblemen bedroht. Die libyschen Rebellen haben die Hilfsorganisationen um rasche humanitäre Hilfe für Tripolis gebeten. Benötigt würden vor allem medizinisches Material und Lebensmittel.
In der Altstadt von Tripolis verkauften die Inhaber der Lebensmittelgeschäfte am Wochenende ihre letzten Waren, wie eine Korrespondentin der Deutschen Presseagentur (dpa) berichtete. "Die Großhändler, von denen wir normalerweise unsere Ware beziehen, haben geschlossen. Es gibt kaum noch Wasser in Flaschen. Auch Zucker und Öl fehlen", sagte ein Geschäftsinhaber.
Übergangsregierung will Lage in Tripolis verbessern
Die libysche Übergangsregierung will die Situation in Tripolis schnell verbessern. Es gebe Pläne, wie die Versorgungsengpässe behoben werden sollen, sagte Informationsminister Mahmud Schammam in Tripolis. Mit der Verteilung von 30.000 Tonnen Benzin werde sofort begonnen. Zudem werde eine Lieferung von Diesel erwartet, um die ausgefallene Wasserversorgung in Tripolis wieder in Gang zu setzen. Die Gas-Leitungen sollen innerhalb von zwei Tagen wieder geöffnet werden.
Auch die militärische Lage in Libyen werde sich schnell "klären und stabilisieren", sagte Schammam. "Tripolis war 42 Jahre unter der Kontrolle eines Diktators." Die Übergangsregierung müsse jetzt noch "unter dem Nullpunkt" neu beginnen. Die Aufständischen würden weiter nach Gaddafi suchen und gleichzeitig das ganze Land stabilisieren.
Spekulationen über Gaddafis Verbleib
Mit Unterstützung von NATO-Kampfflugzeugen hatte sich die Suche nach dem untergetauchten langjährigen Machthaber zuletzt auf dessen Heimatstadt Sirte konzentriert. Sirte ist nach Einnahme der Hauptstadt und weiteren Orten im Westen die letzte große Bastion der Gaddafi-Truppen. Es wird aber auch nicht ausgeschlossen, dass sich Gaddafi immer noch in Tripolis versteckt hält.
Außerdem gab es neue Spekulationen, Gaddafi könnte nach Algerien geflüchtet sein. Ein Konvoi gepanzerter Fahrzeuge, der in der Grenzstadt Ghadames gesichtet wurde, löste diese Gerüchte aus. Wie die ägyptische Nachrichtenagentur Mena am Samstag unter Berufung auf libysche Militärkreise berichtete, seien sechs gepanzerte Fahrzeuge in Richtung der libysch-algerischen Grenze unterwegs gewesen. Die Fahrzeugkolonne soll von Gaddafi-treuen Soldaten bis zum Grenzübergang eskortiert worden sein. Die Aufständischen hätten den Konvoi nicht stoppen können. Es wurde demnach vermutet, in den Wagen könnten hochrangige libysche Offizielle, vielleicht auch Gaddafi und seine Söhne, transportiert worden sein.
Die Aufständischen erklärten allerdings am Samstag, es gebe keine konkreten Informationen über den Verbleib von Gaddafi oder seinen Söhnen. Gaddafi ist untergetaucht, seit die libyschen Rebellen vor sechs Tagen in die Hauptstadt Tripolis vorgerückt waren.
Merkel und Westerwelle würdigen NATO-Einsatz
Nach heftiger Kritik an der deutschen Rolle im Libyen-Konflikt haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle den Militäreinsatz der NATO gewürdigt. Sie habe "tiefen Respekt" für deren Einsatz, sagte die CDU-Politikerin der "Bild am Sonntag". Deutschland stehe fest zu seinen Verbündeten und zur NATO. Zugleich rechtfertigte die Kanzlerin die deutsche Nicht-Beteiligung am NATO-Einsatz in Libyen. Die deutsche Enthaltung im Weltsicherheitsrat dürfe nicht mit Neutralität verwechselt werden, sagte sie.
Westerwelle, dem seine besonders lautstarke Verteidigung des eigenen Kurses vorgehalten worden war, schrieb nun in einem Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag", die Bundesregierung sei "froh, dass es den Libyern auch mit Hilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen ist, das Gaddafi-Regime zu stürzen." Er habe "Respekt für das, was unsere Partner zur Erfüllung von Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates geleistet haben".
Autorin: Ursula Kissel (dpa, dapd, afp, rtr)
Redaktion: Pia Gram