Spaniens Wandel von unten
23. Mai 2015Vor der städtischen Sporthalle in Alcala de Henares, einer Kleinstadt östlich von Madrid, hat sich eine Menschenmenge versammelt, Luftballons tanzen durch den Himmel. Kurz vor den Kommunal- und Regionalwahlen in Spanien sind die Unterstützer der neuen Partei Ciudadanos – auf deutsch "Bürger" - in bester Stimmung. Sie sind sich sicher, dass ihre Bewegung nach dem phänomenalen Aufstieg der letzten Monate schon bald eine der bedeutendsten politischen Kräfte des Landes sein wird.
Im Inneren der Sporthalle springt Albert Rivera (im Bild rechts) auf die Bühne. Der 35-jährige Parteivorsitzende hält eine engagierte Rede und attackiert den politischen Gegner. "Einige verstehen nicht, was in Spanien passiert", sagt er. "Wir stehen nicht nur vor einer Wahl, wir stehen vor dem Beginn einer neuen Ära." Wer das nicht verstehe, sei nicht in der Lage, den Wandel anzuführen. "Spanien geht es nicht gut, es geht nur einigen wenigen gut."
Der Beginn einer neuen Ära. Dieses Versprechen einer jungen Generation spanischer Politiker hat die politische Landschaft verändert. In 13 von 17 Autonomen Gemeinschaften werden am Sonntag die Regionalparlamente gewählt, außerdem finden in ganz Spanien Kommunalwahlen statt. Es wird erwartet, dass sich die Parteienlandschaft nach den Wahlen drastisch verändern wird.
Spaniens Zwei-Parteien-Politik
In den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten haben in Spanien zwei Parteien die Politik dominiert: die konservative Volkspartei (PP) und die Sozialisten (PSOE). Doch die Wirtschaftskrise und die Flut von Korruptionsskandalen in der letzten Zeit haben dafür gesorgt, dass das Zwei-Parteien-System zum ersten Mal in der Geschichte der spanischen Demokratie aufbricht. Neben Ciudadanos sorgt eine andere neue Partei mit einer jungen Führung für Aufsehen: Podemos. Beide profitieren von der Verdrossenheit der Spanier über den Status Quo. Landesweite Umfragen sehen Ciudadanos und Podemos gleichauf mit der PP und der PSOE.
"Diese Wahl ist eine Revolution", sagt der Politikwissenschaftler Jose Ignacio Torreblanca, der vor Kurzem ein Buch über Podemos geschrieben hat. "Das politische System mit zwei regierungsfähigen Parteien wandelt sich zu einem mit vier regierungsfähigen Parteien.“
Podemos wurde erst Anfang letzten Jahres von einer Gruppe linker Universitätsprofessoren gegründet. Nach dem überraschenden Erfolg bei der Europawahl im letzten Jahr, bei der Podemos aus dem Stand 1,2 Millionen Stimmen bekam, stieg die Zustimmung für die Partei noch weiter. Anfang des Jahres war Podemos schließlich laut Umfragen die stärkste Partei des Landes. Unter dem 36-jährigen Parteivorsitzenden Pablo Iglesias betont die Partei ihre Verbindungen zum Linksbündnis Syriza in Griechenland. Auch Podemos hat sich den Kampf gegen die Sparpolitik und gegen Korruption auf die Fahnen geschrieben.
Das “rechte Podemos”
In den letzten Monaten ist die Zustimmung für Podemos jedoch gesunken. Einige Beobachter schieben dies auf den Versuch der Partei, sich ein moderateres Image zu geben. Ander vermuten dahinter den Aufstieg von Cuidadanos.
Ciudadanos wurde 2006 als katalanische Partei gegründet, die sich gegen Regionalismus aussprach. Anfang dieses Jahres weitete Ciudadanos ihre Präsenz auf das ganze Land aus. Ihr Fokus liegt ebenfalls auf dem Kampf gegen Korruption, außerdem steht sie für eine liberale Wirtschaftpolitik. Viele bezeichnen die Partei als "rechte Podemos".
Diese Bezeichnung lehnt der Kandidat von Cuidadanos für das Amt des Präsidenten der Autonomen Region Madrid, Ignacio Aguado, rundweg ab. "Wir wollen Wandel, aber einen vernünftigen Wandel", sagt er. "Wir sind die vernünftige Wahl für den Wandel. Podemos ist nach meiner Ansicht eine Partei, die mit der Vergangenheit brechen will. Sie schaut zurück, wir aber ziehen es vor in die Zukunft zu schauen und wir versuchen die globale Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen."
Die regierende PP versucht den Erfolg der neuen Parteien zu untergraben. In ihrem Wahlkampf betont sie das starke Wirtschaftswachstum von knapp drei Prozent in diesem Jahr, weit entfernt von den schlechten Zahlen des Krisenjahres 2012, als die Euro-Zone sorgenvoll auf Spaniens Staatsschulden und die Schulden der Banken blickte. "Wer redet heute noch über Rezession, Rettungsaktionen und Arbeitslosigkeit?", so die rethorische Frage von Ministerpräsident Marino Rajoy auf einer Wahlkampfveranstaltung in Pamplona in dieser Woche.
Die Wut verblasst nicht
Aber die Wut auf die Politiker und die Banker des Landes, die den Aufstieg von Cuidadanos und Podemos angefeuert hat, ist nicht verblasst. Die Arbeitslosigkeit sinkt zwar, liegt aber immer noch bei knapp 24 Prozent und trifft vor allem die Jungen: Etwa die Hälfte von ihnen ist arbeitslos. Noch immer droht vielen Familien die Zwangsräumung, weil sie den Kredit für ihr Haus nicht bedienen können.
Viele Spanier weigern sich daher, die Botschaft ihrer Regierung von der wirtschaftlichen Erholung zu akzeptieren. Das erklärt, warum beispielsweise Podemos – in einer Linkskoalition – laut Umfragen mit der PP um den Wahlsieg in Madrid konkurriert.
"Die PP und die Sozialisten haben bewiesen wie ineffizient und unfähig sie darin sind, eine Vision für eine sichere und würdige Zukunft für die Mehrheit der Gesellschaft zu entwickeln", sagt Miguel Via, Kandidat für das Regionalparlament von Madrid. Das Hauptproblem sei, dass die beiden großen Parteien immer für die Interessen einer privilegierten Minderheit regiert hätten. "Und natürlich Korruption", fügt der 30-Jährige hinzu. Wir dürfen nicht vergessen, dass Spanien von vorne bis hinten ein korruptes Land ist.“
Die Kommunal- und Regionalwahlen sind ein bedeutender Stimmungstest für die Wahlen des Cortes Generales, dem gesamtspanischen Parlament im Herbst. Dann könnten sich auch landesweit die politischen Kräfte verschieben.