Spezielles Verhältnis auf dem Prüfstand
16. April 2004
Der Irak wird mehr und mehr zum Zünglein an der Waage: Seit Tony Blair an der Seite von George W. Bush in den Krieg zog, sind seine Umfragewerte rapide gesunken. Einst gewählt wegen seiner Glaubwürdigkeit, kämpft Blair derzeit um sein politisches Überleben.
Der Kriegsgrund – Saddam Hussein sei eine ernst zu nehmende Gefahr wegen seiner Massenvernichtungswaffen – wird immer fadenscheiniger. Dass Blair dies nicht öffentlich eingesteht, nehmen ihm seine Wählerinnen und Wähler zunehmend übel. Dass Blair dies gar nicht öffentlich eingestehen kann, hat seine Gründe in der "special relationship" seines Landes zu den USA.
Was ist so "speziell"?
Die "special relationship", also das sprichwörtliche "ganz spezielle Verhältnis" von Großbritannien und den USA, hat eine lange Geschichte: Seit 1812 haben die beiden Länder keinen Krieg mehr gegeneinander geführt. Stattdessen kämpfen und kämpften Premierminister und Präsidenten gemeinsam gegen gemeinsame Feinde: Franklin Roosevelt und Winston Churchill verbündeten sich gegen Hitlerdeutschland, Margret Thatcher und Ronald Reagan boten dem Ostblock die Stirn.
"Zur Zeit des 'Kalten Krieges' zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion waren die USA der einzige Garant für Sicherheit und Unabhängigkeit in Westeuropa", analysiert David Marquand, Politikwissenschaftler der University of Oxford, im "Guardian". Aber: "Seit dem Zusammenbruch der UdSSR braucht Europa keinen Schutzengel mehr." Und einen übermächtigen schon gar nicht.
Es geht auf und ab
Das amerikanisch-britische Verhältnis war und ist kein ausgeglichenes auf gleicher Augenhöhe. Die USA, einst vom "Mutterland" Großbritannien als abtrünnige Kolonie belächelt, sind derzeit die einzige Supermacht der Welt - Großbritanniens glorreiche Zeiten als Kolonialmacht dagegen längst Vergangenheit. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat im amerikanischen Außenministerium niemand mehr von einer "special relationship" zu Großbritannien gesprochen. Tony Blair ist nicht der erste und nicht der einzige, der dem nachzutrauern scheint.
Wortreich beschwört Blair seinen Einfluss auf die amerikanische Politik – und hofft wahrscheinlich, dass im Gegenzug etwas von der globalen Ausstrahlung der USA auf Großbritannien abfällt. Rein rhetorisch hat weder Bush noch Blair damit ein Problem. "Amerika hatte schon immer starke Partner in London" sagt der eine. "Wir werden auch weiterhin der engste Verbündete der Vereinigten Staaten bleiben und ihnen beistehen, damit die USA nicht allein die komplizierten Aufgaben in der Welt angehen müssen ", gibt der andere das Kompliment zurück. "Amerika will Freunde, Großbritannien will Einfluss", kommentiert David Cannadine von der "International Herald Tribune" lakonisch.
Neue Wege gesucht
"Europa wird als starkes Machtzentrum für ein stabiles Gleichgewicht in der Welt gebraucht", erklärt Marquand. "Gottseidank" sei Tony Blair inzwischen bereit, sich - wenn auch zähneknirschend - nach Europa zu orientieren. Denn schließlich sei der vielbeschworene Kampf gegen den weltweiten Terrorismus keine Neuauflage des 'Kalten Krieges' und Osama bin Laden kein zweiter Stalin. Deshalb hätte Blair auch nicht bedingungslos an der Seite von George W. Bush in den Krieg ziehen brauchen.
Seine Aufgabe wäre es vielmehr, die Rolle Großbritanniens in der Welt neu zu definieren, fordern Kommentatoren und Politikwissenschaftler des Landes ziemlich unisono. "Wir befinden uns in einem historischen Kampf im Irak", schrieb Tony Blair unlängst salomonisch in einem Gastkommentar für die britische Sonntagszeitung "The Observer". Bei diesem Kampf steht offenbar nicht nur das "wir", sondern auch das "ich" zur Debatte. (arn)