Keine Musik fürs Museum
17. Mai 2010Kaum eine Volksgruppe beschwört so intensive Bilder herauf, wie die Indianer Nordamerikas. Ob Federschmuck, reitende Apachen aus Karl May-Verfilmungen oder Trommeln und Gesänge am Lagerfeuer. Die Faszination kennen wir bereits seit Kindheitstagen. Wie Leben und Kultur der Nachfahren der ersten Nationen auf dem amerikanischen Kontinent heute aussehen, weiß aber kaum jemand aus erster Hand. Ein Schritt, sich der Realität der Ureinwohner zwischen Anpassung und Reservat zu nähern, könnte ihre Musik sein.
Claus Biegert, der seit den frühen 70er Jahren regelmäßig Zeit bei den Native Americans verbracht hat, schrieb über politische Forderungen der indigenen Völker und hat auch ihre Musik gesammelt. Jetzt hat der in München ansässige Autor und Radiojournalist eine Zusammenstellung indianischer Musik auf CD herausgegeben: "Native America Calling. Music from Indian Country". Darauf ist eine breite Palette an Stilrichtungen und Songs versammelt, aus verschiedenen Jahrzehnten und unterschiedlichsten Musikern und Musikerinnen. Was fehlt, sind die üblichen Klischees.
Atomare Kollateralschäden im Reservat
Ein großes Thema ist in vielen Songs die Ausbeutung der indigenen Stämme durch die Atomindustrie. Selbst erste Atombombentests fanden in den Gebieten der Indianer statt, und das Uran für die Bomben, die auf Nagasaki und Hiroshima fielen, wurde auf ihrem Land abgebaut. Peter La Farge singt in "Radioactive Eskimo" über die Folgen des Fallout. Jimmy Carl Black, legendärer Drummer bei Frank Zappas Band "Mothers of Invention", beschreibt, wie er als Kind miterlebte, wie in der Nähe seiner Heimatstadt die erste Atombombe gezündet wurde und die Scheiben aus den Fenstern flogen.
"Mutter Erde" ist mehr als ein Klischee
Viele Songs versuchen, das Unrecht zu verarbeiten, das den nordamerikanischen Stämmen über Generationen zugefügt wurde. Ausbeutung und Völkermord, der Raub ihres Landes, die Diskriminierung ihrer Rasse und nicht zuletzt die Zerstörung der Natur. Es ist kein Zufall, dass in allen indianischen Sprachen die Mutter-Erde verehrt und geachtet wird, weil sie auch für kommende Generationen erhalten werden muss. Gleichzeitig liefert die CD ein eindrucksvolles Dokument zur musikalischen Vielseitigkeit und der Synthese zwischen beiden Welten, in denen die nordamerikanische Ursprungsbevölkerung lebt. Eine weiße zivilisierte Wohlstandsgesellschaft und die indianische Kultur, mit einer eigenen Sprache und überlieferten Traditionen.
Radio statt Rauchsignale
In dieser oral history hat auch das Radio einen besonderen Platz. Sendungen wie "Native America Calling", nach der das Album benannt wurde, werden in ganz Nordamerika ausgestrahlt und gehört. Darin wird kritisch über Themen berichtet und diskutiert, die mit dem Leben der Ureinwohner zu tun haben. Aber auch die Musik erreicht so ihr Publikum. Anders als die Powwows, die traditionellen Musik- und Tanzveranstaltungen, ist die von Native Americans produzierte Pop-Musik in den Radio-Sendungen für jeden zugänglich – auch für die Weißen.
Trotzdem haben es nur wenige der Bands und Songwriter, die auf "Native America Calling" zu hören sind, auch in den weißen Mainstream geschafft. Buffy Sainte-Marie, Willie Dunn oder Floyd "Red Crow" Westerman wären hier zu nennen. Wichtiger als Verkaufszahlen ist allerdings die sehr spezielle Symbiose von Blues, Soul, Hardrock oder Folk mit indigenen Einflüssen und Themen. HipHop hat in dieser Musikwelt genauso Platz wie Countrymusik aus Nashville. Da kann ein Jagdgesang durchaus zu einem politischen Statement für mehr Selbstbestimmung der First Nations werden.
Autorin: Renate Heilmeier
Redaktion: Matthias Klaus