St. Gotthard - Mensch und Maschine gegen das Bergmassiv
Wie ein Riegel sperrt das Sankt-Gotthard-Massiv einen der wichtigsten europäischen Verkehrskorridore ab. Seit der Antike war das eine Herausforderung für Reisende - aber es ist auch Inspiration für Ingenieure.
Den Launen der Natur ausgeliefert
Seit der Antike quälen sich Menschen über das Sankt-Gotthard-Massiv auf ihrem Weg über die Alpen. Es sperrt den Weg von Zürich und Luzern im Norden nach Lugano und Mailand im Süden ab. Auch wenn das Gebirge hoch ist und im Winter früher praktisch unpassierbar war, so ist es doch einer der direktesten Wege durch die Zentralalpen: Auf dem Weg ist nur ein Gebirgszug zu überwinden.
Hier mussten alle durch
Bereits im Mittelalter verlief hier ein reger Handelsweg: über den Gotthard-Pass. Aber erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ersetzte eine richtige Straße den unbefestigten Saumweg. Heute spielt diese Strecke für den Warentransport praktisch keine Rolle mehr, weil der Berg jetzt mehrfach untertunnelt ist. Heute ist die Pass-Straße vor allem für Touristen interessant.
Mit der Eisenbahn durch den Berg
Lange bevor Autos in einem Tunnel durch den Berg fahren konnten, war das mit der Eisenbahn schon möglich. Der erste Gotthard-Eisenbahntunnel liegt nur knapp halb so hoch wie die Passstraße auf 1150 Metern über dem Meer. Für damalige Zeiten war er mit 15 Kilometern Länge Rekordhalter. Nach achtjähriger Bauzeit wurde die Tunnelröhre im Jahr 1880 durchstochen. Beim Bau starben 177 Arbeiter.
Hundert Jahre später: der Straßentunnel
Ein Jahrhundert nach dem Eisenbahntunnel eröffnete im Jahr 1980 ein Straßentunnel und machte damit den Verkehr mit Auto und Lastkraftwagen von der launischen Witterung und dem Autoreisezug unabhängig. Der Tunnel ist mit 17 Kilometern nur unwesentlich länger als der alte Eisenbahntunnel. Bereits kurz nach der Eröffnung wurde der Tunnel zur wichtigsten Route für Lastkraftwagen über die Alpen.
Die Katastrophe
Über zwanzig Jahre ging es gut. Es gab zwar immer wieder Unfälle, aber keine Katastrophe - bis 2001. Zwei Lastkraftwagen stießen zusammen und verursachten ein massives Feuer. Elf Menschen starben bei dem Unglück. Die Konsequenz: Der Tunnel bekam neue Sicherheitstechnik und eine zusätzliche Rettungsröhre. Seitdem sind die Unfallzahlen drastisch zurückgegangen.
Lkws kommen wieder auf die Schiene
Eine Konsequenz der Katastrophe: Möglichst viele Güter sollen in Zukunft wieder auf der Schiene transportiert werden. Einerseits möchte die Schweiz ihre Verpflichtungen als wichtigen europäischen Verkehrskorridor erfüllen, andererseits die empfindliche Bergnatur vor dem überbordenden Lkw-Verkehr entlasten.
Neuer Basistunnel
Am 1. Juni 2016 wird der neue Basistunnel eingeweiht und ergänzt den alten Eisenbahntunnel. Er soll dabei helfen, gut 600.000 Gütertransporte jährlich von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Pro Tag sollen 260 Güterzüge mit 160 Stundenkilometern durch den Tunnel fahren. Hinzu kommen täglich 65 Personenzüge. Die sind noch schneller unterwegs: mit bis zu Tempo 250.
Neun Jahre Bauzeit
2007 begann der Bau der beiden 57 Kilometer langen Tunnelröhren. Jede Menge Sicherheitstechnik wurde verbaut. Besonders die Lüftungstechnik, welche Rauchgase bei einem Feuer entsorgen soll, ist in ihrer Größe einzigartig. Geräumige Fluchtwege und Rettungsräume liegen in dichten Abständen entlang der Strecke. Beim Bau gab es 13 tödliche Unfälle - meist durch den Werksverkehr.
Durchbruch 2000 Meter unter der Erde
2010 beziehungsweise 2011 gelang der Durchstoß der beiden Tunnelröhren. Vier riesige Tunnelbohrmaschinen waren im Einsatz: "Gabi 1", "Gabi 2" "Sissi" und "Heidi". Trotz anfänglicher Bedenken der Ingenieure, der Druck des Bergs könnte die Maschinen aufhalten, lief alles wie am Schnürchen. Der Abraum hat das fünffache Volumen der Cheops-Pyramide.
Ruckzuck durch den Berg
Ab 2020, wenn ein weiterer 15 Kilometer langer Tunnel zwischen Lugano und Bellinzona fertig ist, wird sich die Reisezeit zwischen Zürich und Lugano um 45 Minuten auf zwei Stunden verkürzen. Für die Bahn ist die geschickte Taktung des Personen- und Güterverkehrs allerdings eine Herausforderung. Etwa alle vier Minuten soll ein Zug in den Tunnel einfahren, 325 Züge pro Tag.
Ausblick für Einwohner und Touristen
Die alte Bahnstrecke wird es auch weiterhin geben. Sie dient einerseits als Ausweichstrecke für Notfälle, andererseits bedient sie den lokalen Personenverkehr. Um diese Barockkirche in Wassen, die man aufgrund der vielen Schleifen und Kehren der Bahntrasse während einer Fahrt gleich aus drei Perspektiven zu sehen bekommt, wird es dann aber weit ruhiger zugehen.
Ein Ausflug auf den Pass: wunderschön
Der mühevolle Aufstieg mit dem Auto auf den Gotthard-Pass ist auch mit dem neuen Gotthard-Basistunnel noch eine Reise wert. Und ohne all die Lkws auf der Straße artet die Reise nicht zu Stress aus, sondern wird zu einem unvergesslich schönen Erlebnis.