Staatsfunk-Streit in Griechenland
22. Oktober 2013Zwei konkurrierende Sender erheben für sich den Anspruch, den Betrieb des alten Staatsfunks fortzuführen: Während ein Teil der entlassenen ERT-Mitarbeiter das Funkhaus im Athener Vorort Aghia Paraskevi seit Juni besetzt hält und von dort aus ein Protestprogramm via Internet sendet, arbeiten viele Kollegen bereits für einen Nachfolgesender mit dem schlichten Namen "öffentlich-rechtliches Fernsehen" - in der Landessprache Dimosia Tileorasi genannt.
Das Problem: Der neue Sender hat zwar die Zustimmung der Regierung, verfügt aber nicht über die notwendige technische Ausstattung für ein volles TV- und Radioprogramm, da ein Großteil der ERT-Infrastruktur im alten Funkhaus verblieben und den neuen Programmachern nicht zugänglich ist. Zudem darf der Nachfolgesender keine festen Jobs vergeben, bis sein Rechtsstatus endgültig geklärt ist. Daher arbeiten alle 600 Mitarbeiter von Dimosia Tileorasi vorerst auf der Grundlage von Fristverträgen, die alle zwei Monate erneuert werden sollen.
Maria Alexaki gehört zu den über tausend ehemaligen ERT-Mitarbeitern, die bei Dimosia Tileorasi einen beruflichen Neustart wagen. "Wir haben enorme Schwierigkeiten, vier Nachrichtensendungen täglich zu verbreiten, wie das früher bei ERT der Fall war. Es mangelt einfach an der Grundausstattung", klagt die Journalistin und Moderatorin. Sie und ihre Kollegen hätten noch keinen Zugang zu allen Nachrichtenagenturen und manche verfügten nicht einmal über einen Rechner am Arbeitsplatz. "Oft bringen wir einen PC von zuhause mit oder wir arbeiten abwechselnd; da sitzt also jemand eine Stunde am Rechner, um den eigenen Text zu schreiben und macht dann Platz für einen Arbeitskollegen", sagt Alexaki.
Streit um die Nachfolge des ERT-Fernsehens
In der Auseinandersetzung um das staatliche Fernsehen vertritt sie eine klare Meinung: Es gebe nur einen einzigen öffentlich-rechtlichen Sender und das sei eben der neu gegründete - mit all seinen Schwächen und Problemen. Im vergangenen Sommer hat Alexaki noch bei der Besetzung der ERT-Zentrale mitgemacht, doch mittlerweile würden - ihrer Meinung nach - die Verhandlungen zwischen der Regierung und den Gewerkschaften in die falsche Richtung laufen und Vertreter der entlassenen ERT-Mitarbeiter mit manchen Forderungen über das Ziel hinausschießen.
"Die Entscheidung, den alten Staatssender zu schließen, hielten die meisten von uns für falsch, aber sie war unumkehrbar", erläutert Alexaki. Unter diesen Umständen hätte man mit dem Ziel in Verhandlungen treten müssen, dass möglichst viele der ehemaligen ERT-Journalisten unter möglichst optimalen Arbeitsbedingungen beim Nachfolgesender beschäftigt würden. Stattdessen habe man sich auf die Maximalforderung versteift, den geschlossenen Sender wieder zu öffnen.
Nikos Michalitsis ist langjähriger ERT-Mitarbeiter und einstiger Leiter der Direktion "Produktion und Technik" des staatlichen Fernsehens. Er gehört zu den Protestlern der ersten Stunde, die auch noch heute im besetzten Funkhaus ausharren und für die Wiedereröffnung des Staatsfernsehens in seiner alten Form plädieren.
"Das ERT-Fernsehen wurde eigentlich nie abgeschaltet. Wir, die Arbeitnehmer, haben auf unserer Generalversammlung beschlossen, dass wir ERT weiterhin betreiben und unser Nachrichtenprogramm ausstrahlen - genau wie früher", erklärt Michalitsis. Auf diese Weise würden die ERT-Mitarbeiter nicht nur um ihre Jobs, sondern auch um die griechische Verfassung und die Demokratie kämpfen. Das von der Regierung gegründete "öffentlich-rechtliche Fernsehen" sei hingegen illegal, sagt Michalitsis und droht mit Klage gegen die Massenentlassungen bei ERT.
Der einstige Technik-Direktor zeigt allerdings Verständnis für die Kollegen, die beim neuen Staatssender arbeiten: Diese Menschen hätten sich dem Druck der Regierung gebeugt und seien dringend auf Geld angewiesen, erläutert Michalitsis.
Die TV-Moderatorin Alexaki will sich ihrerseits nicht negativ über die Kollegen im besetzten Funkhaus äußern. Und in einem Punkt besteht Einigkeit untereinander: Mit der griechischen EU-Präsidentschaft ab Januar 2014 komme die Stunde der Bewährung - nicht nur für die Programmmacher, sondern auch für die Athener Koalitionsregierung unter Führung des konservativen Premiers Antonis Samaras.
Streit mit europäischer Dimension
Überraschend offen erklärte der für das öffentliche Fernsehen zuständige Staatssekretär Pantelis Kapsis vor Kurzem im Parlament, die Berichterstattung über den griechischen EU-Vorsitz gerate in Gefahr und könne nicht gewährleistet werden, falls die Besetzung der ERT-Zentrale nicht beendet würde. Das müssten die protestierenden Journalisten ernsthaft in Betracht ziehen, fügte der Politiker und ehemalige Journalist hinzu. Dahinter vermuten Kommentatoren eine Drohung: Sollten die Funkhaus-Besetzer nicht freiwillig das Feld räumen, könnten sie möglicherweise dazu gezwungen werden.
"Das wäre keine gute Idee", sagt Maria Alexaki. "Allein die Abschaltung des Staatssenders im vergangenen Sommer hat weltweit Kritik ausgelöst. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn auch noch Polizeikräfte in die ERT-Zentrale eindringen würden", mahnt die Journalistin.
Nikos Michalitsis geht davon aus, dass der Regierung nichts anderes übrig bleibt, als auf die protestierenden Journalisten einzugehen. "Die TV-Berichterstattung über den griechischen EU-Vorsitz ist derzeit ein großes Problem für die Regierenden", sagt der langjährige ERT-Mitarbeiter. Sie könnten diese Herausforderung gar nicht meistern, weil dafür Mitarbeiter mit Erfahrung und technischen Kenntnissen benötigt würden, erklärt Michalitsis. Und er fügt hinzu: "Diese Mitarbeiter stehen immer noch auf unserer Seite".
Bereits im Vorfeld der griechischen EU-Ratspräsidentschaft bekommt die Angelegenheit eine europäische Dimension: Nach griechischen Medienberichten hat Oppositionsführer Alexis Tsipras den Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schultz schriftlich darum gebeten, im Staatsfunk-Streit zugunsten der entlassenen ERT-Arbeitnehmer zu intervenieren. Das neugegründete "öffentlich-rechtliche Fernsehen ", Dimosia Tileorasi, bezeichnet Tsipras als "voreingenommen und regierungshörig".