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Stadt, Land - Wirtschaft?

24. September 2019

Jeder zweite Euro wird in Deutschland auf dem Land erwirtschaftet. Dort zu leben, wird aber immer unattraktiver. Das wird zum Problem. Vor allem für die mittelständische Wirtschaft. Sabine Kinkartz berichtet.

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Deutschland ehemaliger Steinbruch in Schlupkothen
Bild: picture-alliance/blickwinkel/S. Ziese

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist viel in Deutschland unterwegs. Ihn im Auto zu erreichen, kann dann schwierig werden. "Tolle Wildwasserbäche, schöne Berge und viel Grün" habe er bei einem Unternehmensbesuch im fränkischen Künzelsau erlebt, erzählt Altmaier bei einer Tagung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Lage der Wirtschaft in ländlichen Räumen in Berlin. Eine dringende SMS von Angela Merkel habe er aber nicht sofort beantworten können, weil er im Auto zehn Minuten durchgehend keinen Empfang gehabt habe. "Die Kanzlerin dachte wahrscheinlich, warum reagiert der Depp nicht rechtzeitig?"

Was Altmaier nur auf seinen Reisen erlebt, ist für viele Bürger, aber auch für Unternehmen in Deutschland Alltag. 47 Millionen Menschen und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung leben im sogenannten ländlichen Raum. Hier sind auch die meisten mittelständischen Unternehmen, die 99,5 Prozent der deutschen Wirtschaft ausmachen, beheimatet. Jeder zweite Euro wird in Deutschland auf dem Land erwirtschaftet. Vor allem von den vielen Familienbetrieben, von denen viele sogenannte "Hidden Champions" sind.

Keine Autobahn und es läuft trotzdem gut

Beispielsweise in Donau-Ries, dem Wahlkreis des bayerischen Bundestagsabgeordneten Ulrich Lange. Die größte Stadt in dieser Region hat etwas mehr als 18.000 Einwohner. In Langes Wahlkreis brummt die Wirtschaft. Der größte Arbeitgeber ist Airbus Helicopters mit 7000 Arbeitsplätzen. Es gibt eine Reihe von erfolgreichen metallverarbeitenden Betrieben und ein paar Maschinenbauer. Hama, einer der größten deutschen Zulieferer in der Elektronikbranche hat hier ebenfalls seinen Standort.

Donauwörth Altstadt
Donauwörth, die größte Stadt in Donau-RiesBild: Imago

"Ich habe keinen Kilometer Autobahn und trotzdem eine Arbeitslosigkeit von 1,6 bis 1,8 Prozent", umreißt Lange stolz die wirtschaftliche Lage in Donau-Ries. Zufrieden ist trotzdem nicht. "Ich habe mehr Ein- als Auspendler, weil man lieber in München und Augsburg wohnt und zu uns zur Arbeit fährt als bei uns zu wohnen." Was werden diese Pendler machen, wenn das Autofahren aus Klimaschutzgründen verteuert wird? Werden sie dann zurück aufs Land ziehen oder kündigen?

Die Jungen ziehen weg

In manchen Dörfern in Donau-Ries steht inzwischen ein Viertel der Häuser und Wohnungen leer. Das hat Folgen für die Infrastruktur. Wo Orte schrumpfen, gibt es bald auch weniger Ärzte, weniger Geschäfte, weniger Schulen und weniger öffentlichen Nahverkehr. Die digitale Infrastruktur wird noch langsamer ausgebaut, als das ohnehin der Fall ist.

"Wir freuen uns darüber, dass die Deutsche Bahn mehr Geld für den Klimaschutz bekommen soll", sagt Lange mit Blick auf das gerade verabschiedete Klimaschutzpaket der Bundesregierung. Wenn er in seinem Wahlkreis darüber berichte, dann würden die Leute aber nur trocken erwidern: "Du weiß doch selber, bei uns fährt keine Deutsche Bahn mehr."

Symbolbild Deutschland Mobilfunknetz
"Kein Netz" - auf dem Land ist das häufig zu lesenBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Langsam wird es bedrohlich

Politiker wie Lange haben Angst um die Zukunft ihrer ländlichen Regionen. Seit Jahren wird darüber gesprochen, was die Politik alles versäumt hat. Beim Ausbau des schnellen Internets und des Mobilfunks, aber auch beim Erhalt eines des öffentlichen Nahverkehrs. Passiert ist aber kaum etwas. Inzwischen hat sich der Investitionsbedarf dermaßen aufgestaut, dass es Jahre dauern wird, die Misere zu beseitigen. Ob die Betroffenen Bürger und Unternehmen noch so viel Geduld aufbringen können und werden?

In einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) klagen dreiviertel aller Unternehmen über mangelhafte Kommunikationsnetze. Fast ein Drittel der Unternehmen sieht sich in seiner Geschäftstätigkeit sogar massiv beeinträchtigt. Der Fachkräftemangel ist im ländlichen Raum so massiv, dass die Wirtschaft ihn als existenzbedrohend beurteilt. "Unser Bruttosozialprodukt würde nicht so aussehen, wenn wir den ländlichen Raum nicht hätten", warnt Union-Fraktionsvize Carsten Linnemann.

Berlin schickt Geld

Es muss dringend etwas geschehen, das weiß auch der Bundeswirtschaftsminister. "Der ländliche Raum darf nicht das Gefühl haben, dass die Politik in Berlin ihn irgendwann vergessen könnte", sagt Peter Altmaier. Kürzlich hat er seine Mittelstandstrategie vorgestellt, die den ländlichen Raum besonders ins Auge fasst. "Es geht um Wertschätzung, Entlastung und Stärkung", so Altmaier.

Zum 1. Januar 2020 will er zudem ein gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen einrichten. Das richtet sich an Gebiete, die noch weitaus schlechter dastehen. Die wirtschaftlich zurückgefallen sind und eine hohe Arbeitslosenquote haben. Wegen fehlenden Steuereinnahmen und hohen Sozialausgaben sind solche Kommunen in der Regel auch noch hoch verschuldet. Ein Vergleich: In München werden pro Kopf durchschnittlich 3800 Euro Steuern gezahlt. In zehn Landkreisen in Sachsen-Anhalt werden pro Kopf weniger als 600 Euro Steuern gezahlt. In Rheinland-Pfalz sind es in acht Landkreisen weniger als 800 Euro.

Deutschland Herbstlandschaft in der Eifel
Die südliche Eifel gilt als die Region in Deutschland mit der geringsten WirtschaftskraftBild: picture-alliance/R. Goldmann

In den achtziger Jahren waren auch weite Teile Bayerns strukturschwach. Das Bundesland förderte die Regionen, indem dort Behörden, Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen angesiedelt wurden. Mit Erfolg. Es bildeten sich wissenschaftliche Cluster, die für die Wirtschaft interessant wurden. Mit der Folge, dass Unternehmen sich ansiedelten.

97 Prozent sind nicht immer 97 Prozent

Wenn heute eine Standortauswahl ansteht, fragen die Unternehmen nicht nur ab, ob es Fachkräfte vor Ort gibt und ob Straßen und Schienen gut ausgebaut sind. Ganz oben steht die Internetanbindung. Deren mangelhaften Ausbau auf dem Land hat auch die Politik mit zu verantworten. Der Staat hatte die Versteigerung der Frequenzen an Ausbauverpflichtungen geknüpft. 97 Prozent sollten bis Ende 2019 versorgt sein.

"Wir haben immer gedacht, das sind 97 Prozent der Fläche der Bundesrepublik", erinnert sich Altmaier. Tatsächlich aber waren 97 Prozent der Bevölkerung gemeint. Doch selbst das ist noch nicht erreicht. Deswegen drohen den Netzbetreibern ab 2020 Bußgelder in Höhe von maximal zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Fehler nicht wiederholen

Jetzt stehen die Mobilfunkbetreiber in den Startlöchern, um das neue ultraschnelle 5G-Netz aufzubauen. Wieder vorzugsweise in den Ballungsräumen, wo die meisten Menschen, also Kunden, wohnen und entlang der Autobahnen und ICE-Bahnstrecken. Das will der Minister unbedingt verhindern. "Wir müssen eine Priorisierung hinbekommen, die auch in den ländlichen Räumen die Schulen, die Bildungseinrichtungen und Gewerbegebiete anschließt." Dort dürfe nicht erst angefangen werden, wenn die Städte versorgt seien.

Außerdem müsse die 4G-Versorgung endlich flächendeckend erfolgen, fügt Altmaier grimmig hinzu. Telefonate mit ausländischen Politikern lässt sich der Minister schon lange nicht mehr ins Auto durchstellen. Das ist ihm zu peinlich. "Da bricht dauern die Kommunikation zusammen", klagt er. Wenn man von Berlin nach Hannover unterwegs sei, könne man keine zehn Minuten telefonieren, ohne ein paar Mal aus dem Netz zu fliegen.