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GesellschaftDeutschland

Starker Anstieg antisemitischer Straftaten in Deutschland

29. Dezember 2023

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sind etwa doppelt so viele antisemitische Straftaten gemeldet worden - im Vergleich zu den Quartalen davor. "Wir müssen aufwachen", fordert Israels Botschafter.

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Blick auf den Hinterkopf eines Mannes mit Kippa, vor dem Brandenburger Tor
Junger Mann mit Kippa bei Antisemitismus-Demonstration in BerlinBild: Michele Tantussi/AFP/Getty Images

Alleine im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt verzeichnete das Bundeskriminalamt bis zum 21. Dezember mehr als 1100 Delikte in seinem Melderegister für Fälle politisch motivierter Kriminalität, wie ein BKA-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Das sind etwa doppelt so viele wie in jedem anderen der ersten drei Quartale dieses Jahres. Vor allem handelt es sich um Sachbeschädigungen und Volksverhetzungen.

Israels Botschafter: "Wir müssen aufwachen"

Der israelische Botschafter Ron Prosor fordert eine entschlossene Reaktion auf diese Entwicklung. "Die Tatsache, dass Juden Angst haben, mit einer Kippa auf die Straße zu gehen oder auf Hebräisch in ihre Handys zu sprechen, das kann einfach nicht sein. Wir müssen aufwachen", sagte er der dpa. "Leute, die Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu bringen, wenn die Schule nicht geschützt wird: Das sind Verhältnisse, die nicht normal sind", mahnte Prosor, der seit 2022 sein Land in Berlin vertritt. "Die Angst ist wirklich da." 

Ron Prosor vor einer israelischen Fahne
Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland (Archivbild)Bild: DW

Regierungsbeauftragter: "Zeitenwende" für Juden in Deutschland

Ähnlich hatte sich zuvor schon der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, geäußert. Er nannte den Terrorangriff der Hamas eine "Zeitenwende auch für die Sicherheit der Juden in Deutschland". Man könne jetzt schon sagen, dass die Zahl antisemitischer Straftaten in diesem Jahr so hoch sein werde wie noch nie in der Bundesrepublik, sagte er vor wenigen Tagen der Funke-Mediengruppe. "Seit dem Holocaust sind Juden in Deutschland nicht mehr in so großer Gefahr gewesen wie heute." 

Gesamtzahl antisemitischer Delikte wohl noch höher

In den ersten drei Quartalen wurden nach jüngsten Angaben des Bundesinnenministeriums vom November noch deutlich weniger antisemitische Delikte registriert. Im ersten Quartal waren es 558, im zweiten Quartal 609 und im dritten 540. Diese Zahlen beinhalten alle Delikte - die links- und rechtsextremistisch motivierten ebenso wie diejenigen aus den Kategorien "religiöse Ideologie" und "ausländische Ideologie".

Die mehr als 1100 Straftaten seit Anfang Oktober sind dagegen nur die im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahost-Konflikts erfassten. Die Gesamtzahl dürfte also noch deutlich höher liegen. Im gesamten vergangenen Jahr wurden - Stand November 2023 - insgesamt 2874 antisemitische Straftaten registriert, darunter 88 Gewalttaten.

Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA)
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (Archivbild)Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

BKA-Präsident sieht neue Dimension

BKA-Präsident Holger Münch hatte vor wenigen Tagen in der "Neuen Züricher Zeitung" bereits von einer neuen Dimension bei den antisemitischen Straftaten gesprochen. Er wies dabei vor allem auf den "importierten" Antisemitismus hin. "Viele Menschen sind aus Regionen in unser Land gekommen, in denen Israel als Feind gilt und wo die Vorstellung herrscht, dass Juden bekämpft werden müssen", sagte Münch. Diesen aus dem Ausland importierten Antisemitismus müsse man benennen und dagegen vorgehen.

Botschafter fordert Schließung von Bildungslücken

Prosor forderte, in den Schulen anzusetzen und Bildungslücken zu schließen. "Wir haben ein echtes Problem bei Jugendlichen. Je jünger die Leute sind, desto mehr fremdeln sie gegenüber Israel", sagte er. "Wir haben da eine Aufgabe, wir müssen für bessere Bildung über Israel sorgen, etwa an den Schulen." Prosor betonte, dass der zunehmende Antisemitismus zwar kein rein deutsches Problem sei. "In Deutschland ist es aber noch wichtiger als anderswo, das zu ändern", sagte er. "Wenn Molotowcocktails geworfen werden, um Synagogen in Brand zu stecken, dann kann man nicht nur mit Worten darauf reagieren, man muss praktisch etwas tun." 

Pro-Israel Demonstration in München - Teilnehmer hält ein Schild mit der Aufschrift "anti-Semitism is now"
Pro-Israel Demonstration in München (Archivbild)Bild: Stefan Puchner/dpa/picture alliance

Der Diplomat mahnte auch zur Wachsamkeit, was mögliche Terroranschläge in Deutschland angeht. Mitte Dezember waren vier mutmaßliche Mitglieder der islamistischen Hamas in Berlin und im niederländischen Rotterdam festgenommen worden. Den drei Verdächtigen aus Berlin - ein Ägypter und zwei Libanesen - wirft die Bundesanwaltschaft vor, nach Waffen gesucht zu haben, die für mögliche Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa bereitgehalten werden sollten. "Ich glaube, dass die deutschen Behörden die Gefahr kennen. Wir müssen wachsam bleiben, weil der internationale Terrorismus ständig aufrüstet", mahnte Prosor. "Der Rechtsstaat muss den Terroristen immer einen Schritt voraus sein." Die Hamas wird von Israel, der EU, den USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation gelistet.

nob/sti/fab (dpa)