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Das Frauenhaus in Mazar-i-Sharif

Nicola Reyk13. Oktober 2010

In Mazar-i-Sharif gibt es seit drei Jahren das erste Frauenhaus Afghanistans. Es bietet afghanischen Frauen Schutz vor familiärer Gewalt und Chancen für einen Neuanfang.

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zwei frauen in heller Burkha auf landstrasse in Afghanistan (Foto AP)
Gleichberechtigung schreibt die afghanische Verfassung vor - der Alltag sieht anders aus.Bild: AP

Eine unscheinbare Straße. Ein Wachmann, ein Tor. Nichts deutet darauf hin, was sich hinter diesen Mauern verbirgt: Das erste Frauenhaus Afghanistans. Eine Gruppe afghanischer Menschenrechtler, darunter viele Akademiker, haben es gegründet. Sie nennen sich "Cooperation Center for Afghanistan“, kurz CCA.

Frauen in blauen Burkhas vor Mauer in Afghanistan (Foto: AP)
Der Macht der Männer können die wenigsten Frauen in Afghanistan etwas entgegensetzenBild: AP

Finanziert wird das Projekt in der nordafghanischen Stadt Mazar-i-Sharif vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Deutschland. Der Deutsche Entwicklungsdienst hat Mitarbeiter geschickt. Sie helfen bei der Leitung des Frauenhauses helfen. das Zufluchtsort und Startpunkt für einen Neuanfang ist. Mit 25 Betten bietet es Frauen und ihren Kindern Platz, die Gewalt in ihren Familien erfahren haben.

Flucht vor der Familie

Die Tür des Besucherzimmers öffnet sich, eine Frau mit schwarzem Kopftuch tritt ein. Wie ein Opfer wirkt Sayda (der Name ist geändert) wahrlich nicht. Mit Schwung und dynamischen Bewegungen setzt sie sich auf einem Stuhl gegenüber. Ein schwarzes Kopftuch bedeckt das Haar, kräftige Augenbrauen betonen das kantige Gesicht und den unbändigen Ausdruck in den dunklen Augen. Sayda gehört zu den Kuchi, einem paschtunischen Nomadenstamm, dem man große Freiheitsliebe nachsagt. Die scheint auch in den Genen der jungen Frau zu stecken, die zwischen 20 und 24 Jahre alt ist.

Empörung und Wut schleichen sich in die rauhe Stimme, als Sayda erzählt, wie das Unglück begann. Ohne vorher zu fragen präsentierten ihre Eltern einen Bräutigam, mit dem sie flugs verlobt wurde. "Genau darum bin ich weggerannt - mit einem Anderen. Den habe ich geheiratet. Ich kann es bezeugen, ich habe die Dokumente", sagt sie. Doch ihre Liebesheirat war für die Familie eine Kränkung.

Drei Frauen in Burkhas vor einer Häuserfassade (Foto AP)
Gegen Frauen, die aufbegehren, greifen oftmals auch Polizei und Justiz hart durchBild: AP

Ins Gefängnis für die Liebe

Das junge Paar flüchtet, gelangt von Mazar nach Kabul, doch dort spürt die Polizei sie auf. Beide werden ins Gefängnis gesteckt. Und obwohl die afghanische Verfassung die Gleichheit von Frau und Mann vorschreibt und die Ehe gültig ist, hilft das Sayda nicht. Vor allem der Bruder fühlt sich aufgefordert zu handeln und stachelt Behördenvertreter an. "Sie sagten, meine Ehe verstoße gegen islamisches Recht. Ich hätte erst die Verlobung lösen müssen, bevor ich einen anderen heirate," berichtet Sayda. Ein ganzes Jahr verbringt sie deshalb hinter Gittern.

Nach ihrem Gefängnisaufenthalt sucht sie Schutz im Frauenhaus. Dort gibt es eine Ärztin und Sozialarbeiterinnen die sie unterstützen. "Zunächst versuchen sie immer zwischen den Frauen und ihren Familien zu vermitteln", erklärt die Rechtsberaterin Mariam Masoodi Paimon. Auch sie arbeitet im Frauenhaus. Wenn keine außergerichtliche Lösung möglich scheint versucht sie die Frauen in ihren Rechten zu unterstützen. So wie im Fall von Sayda. Vor allem Saydas Bruder lässt nicht locker, versucht regionale Gerichte von der Unrechtmäßigkeit der Ehe zu überzeugen, angeblich fließen sogar Bestechungsgelder. Dennoch ist die Rechtsberaterin zuversichtlich. "Der Fall geht jetzt vor den obersten afghanischen Gerichtshof, denn in den ersten beiden Instanzen haben wir gewonnen", erklärt Mariam Masoodi Paimon und ergänzt: "Unterstützung für Sayda oder die anderen Frauen ist dringend notwendig. Denn viele können weder schreiben noch lesen, kennen ihre Rechte nicht und wissen nicht, wie Gerichtsprozesse ablaufen."

Mädchen boxen in Kabul(Foto: AP Photo/Rafiq Maqbool)
Rechtsicherheit, Ausbildung und Mädchenprojekte stärken das Selbstbewusstsein der afghanischen FrauenBild: AP

Startpunkt in ein zweites Leben

Rund 700 Frauen und Familien hat die deutsch-afghanische Mitarbeitercrew in den vergangenen drei Jahren beraten. Und selbst mit Blick auf Saydas schwierigen Fall ist die Rechtsberaterin optimistisch. Das Frauenhaus habe einen guten Namen und mit gut vorbereiteten Schriftsätzen habe man bislang nahezu jeden Prozess gewonnen, heißt es.

Der Optimismus färbt ab: "Ich bin sehr glücklich, im Frauenhaus zu sein. Würde es mich nicht schützen, dann hätte mich mein Bruder wahrscheinlich umgebracht", sagt Sayda. Dabei zieht ein kurzer Schatten über ihr Gesicht, sie schweigt, den inneren Blick offenbar Richtung Vergangenheit gerichtet. Doch so schnell wie sie düster wurde, hellt sich ihre Miene wieder auf: "Ich hoffe, mein Problem wird vor Gericht endlich gelöst. Dann werde ich frei sein und ein unabhängiges Leben führen. Zusammen mit dem Mann, den ich liebe."

Autorin: Ute Hempelmann
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning