Startups: Spielplatz oder Wirtschaftsfaktor?
8. April 2016Das Mekka der europäischen Gründerszene ist Berlin. 2,1 Milliarden Euro Risikokapital flossen im vergangenen Jahr in Startups, die ihren Sitz in der deutschen Hauptstadt haben. "Im zweiten Jahr ist damit mehr Geld nach Deutschland geflossen als nach Großbritannien", sagt Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Startups. Das sei ein messbarer Erfolg, sagt Nöll, der die Gründerszene hierzulande auf einem guten Weg sieht. Doch ist sie das wirklich?
Junge, internetbasierte Unternehmen sind in Berlin zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor geworden. In einer aktuellen Studie kommt das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) zu dem Schluss, dass Startups in wenigen Jahren Berlins größter Arbeitgeber sein werden. Derzeit beschäftigen diese Firmen in der Stadt zusammen rund 13.200 Arbeitnehmer. Damit stehen sie an fünfter Stelle, gleich hinter den Berliner Verkehrsbetrieben.
Gezählt wurden Unternehmen, die wachsendes Geschäftsmodell haben, ohne Internet nicht denkbar und nicht älter als fünf Jahre sind. In einer internen Studie von 2012 zählte das IFSE 270 solcher Unternehmen, während es Anfang 2016 bereits 620 sind. Die 50 größten Firmen unter ihnen, und damit nur etwa acht Prozent, beschäftigen etwa die Hälfte aller Mitarbeiter. Dagegen arbeiten in 78 Prozent der Unternehmen weniger als 22 Mitarbeiter.
Daimler und BMW im Blick
So wie beim Startup "Parking-List". Andreas Weber und Fouad Banit haben die Plattform gegründet, die ungenutzten privaten oder gewerblichen Parkraum stunden- oder tageweise vermittelt. Gebucht und bezahlt wird über das Smartphone. Von einem Investor ist das Startup in einer ersten Finanzierungsrunde mit 200.000 Euro unterstützt worden. So konnten Weber und Banit eine App entwickeln. Auf dem Startup Camp Berlin 2016 suchen sie jetzt nach neuen Geldgebern, um ihr Geschäft weiter ausbauen zu können.
Das Potenzial sei gewaltig, so Weber, der vor allem autonom fahrende Autos im Blick hat, die in den nächsten Jahren auf die Straßen kommen werden und nach Gebrauch auf einen freien Parkplatz navigiert werden müssen. Die beiden Gründer haben aber keineswegs das Ziel vor Augen, ein großes Unternehmen aufzubauen. Ihnen schwebt der sogenannte Exit vor, also der Verkauf ihrer umgesetzten Idee. Die großen Automobilbauer kämen dafür in Frage, so Banit, also Daimler, BMW oder Volkswagen.
Koch-Kisten und coole Cocktails
Park-List ist eine softwarebasierte Dienstleistung, wie die meisten aller Startup-Gründungen. Ähnlich beliebt ist der Online-Handel. Ob Mode, Möbel, oder Zutaten nebst Kochanleitung für das Abendessen – E-Commerce ist vor allem in Berlin der Renner bei deutschen Gründern. Erfolg haben aber allerdings nur die wenigsten. Patrick Stähler, Autor des Buches "Das richtige Gründen" weiß, warum. Eine Geschäftsidee müsse relevant sein und nicht hip, kritisiert er. "Die meisten Gründer überlegen sich, welches Produkt sie herstellen und anbieten wollen", erklärt er. "Doch wer soll das Produkt kaufen? Und warum? Welches Problem wird gelöst? Welche Aufgabe übernehmen Sie für ihn?" Diese Fragen stellten sich nicht viele Gründer, dabei seien sie entscheidend für den Erfolg.
Im Ergebnis sind viele Startups austauschbar und verschwinden so schnell vom Markt, wie sie gegründet wurden. Relevante Gründungen, die noch dazu die Welt verändern, vergleichbar also mit Google, Apple oder Facebook, sucht man in Deutschland hingegen nach wie vor vergeblich. Wohl auch, weil die Finanzierung ein Problem ist. "Startups gründen ist ein bisschen wie forschen: Wir versuchen herauszufinden, was funktioniert und was nicht funktioniert und bei High-Tech-Gründungen ist das Risiko einfach noch größer", sagt Startup-Verbandsvorstand Florian Nöll.
Verpasst Deutschland den Anschluss?
Weltweit stehen jedes Jahr 100 Milliarden Dollar an Wagniskapital zur Verfügung. 30 Milliarden Dollar davon gehen ins Silicon Valley. Drei Milliarden Dollar gehen nach Deutschland. Politik und Gesellschaft seien in Deutschland zu risikoscheu, so Nöll. "Versicherungsfonds und Pensionskassen ist es eigentlich nicht möglich, in Startups zu investieren, in den USA sind das aber die primären Kapitalquellen." Er könne verstehen, dass in Deutschland oberste Maxime sei, auf Erspartes aufzupassen. "Ich habe aber die Befürchtung, dass wir in Deutschland in den nächsten Jahren weiter an Boden verlieren und digitale Weltmarktführer in den USA und China gegründet werden."
Die Bundesregierung hat durchaus erkannt, dass es um eine strategische Zukunftsinvestition in die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands geht. Mehr als eine Milliarde Euro werden in dieser Legislaturperiode für die Finanzierung von Startups bereitgestellt. "Das ist gut", sagt Florian Nöll, "aber im Vergleich zu den USA werden in Europa vierzig bis fünfzig Milliarden Euro zu wenig investiert."
Niemand erwarte, dass das Geld aus Steuertöpfen komme, aber die private Finanzierung werde sich ohne gesetzliche Änderungen und weniger Regulierung nicht entwickeln können. Eine Möglichkeit seien beispielsweise steuerliche Anreize für vermögende Privatpersonen oder auch mittelständische Unternehmen, damit diese animiert würden, in Startups zu investieren.