1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Staufrei nach Corona

Anja Steinbuch
2. Juni 2020

Die Mobilität steht auf dem Prüfstand. Durch die Corona-Krise könnten jetzt im Zeitraffer neue Verkehrskonzepte für Großstädte umgesetzt werden. Die Technologie dafür ist bereits da.

https://p.dw.com/p/3cxSX
Deutschland Köln unscharfe Lichter von Autos
Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Das Corona-Virus hat geschafft, was Klimaschützer und Zukunftsforscher seit langem ersehnt haben: leergefegte Straßen und am Himmel so gut wie keine Flieger mehr unterwegs.

In Berlin, Hamburg und München waren während der Lockdown-Wochen laut Verkehrsinformationszentralen mehr als ein Drittel weniger PKW, Busse und Motorräder unterwegs. Rushhour oder Staus? Fehlanzeige. CO2-Emissionen sanken deutlich.

Neue Normalität

Doch was passiert, wenn alle, die bisher im Home-Office gearbeitet haben, wieder zu ihren Arbeitsplätzen fahren? Wie könnte so eine "neue Normalität" aussehen? Sind Pop-up-Radwege, Verkehrsleitsysteme, hohe Parkplatzgebühren, City-Maut - also Elemente einer Smart City tatsächlich die Lösungen für das Mobilitätsproblem?

"Ja", sagt Michael Ganser, Ingenieur beim Verkehrstelematik-Konzern Kapsch TrafficCom: "Mit einer intelligenten Steuerung von Verkehrsampeln können Staus um 25 Prozent reduziert werden."

Mit künstlicher Intelligenz und Big Data sei die digitale Technik bereits in der Lage, mit wenig Aufwand deutliche Ergebnisse zu erzielen.

Weniger Staus durch Big Data

Grundlagen dafür sind eine digitale Infrastruktur in den Städten sowie die Vernetzung von Fahrzeugen und Ampelanlagen. "Neuwagen werden bereits mit diesen Tools ausgeliefert. Zudem hat fast jeder inzwischen ein Handy mit Ortungs-Programmen", so Ganser. "Die benötigte Infrastruktur ist teilweise ja schon da und muss nur aufgestockt werden."

Hand mit Tablet und Stadt auf nächtlichem Hintergrund
Staus könnten durch Big Data, künstliche Intelligenz und Vernetzung reduziert werdenBild: Imago Images/Panthermedia

Damit könnte sofort losgelegt werden: Mit einer adaptiven Ampelsteuerung, die sich automatisch der aktuellen Verkehrssituation anpasst.

In Madrid, Mumbai und Quito hat Kapsch solche Systeme bereits installiert. Die Kosten beziffert Ganser auf 2,50 Euro pro Einwohner für die Errichtung und einen Euro pro Jahr für den Betrieb.

Gleichzeitig spare die Stadt die Kosten, die durch Staus entstehen: Bei einer 25 prozentigen Reduktion pro Einwohner im Jahr etwa 500 Euro.

"Würde man auch noch Routenempfehlungen zurück ins Auto schicken, die an die Ampelsteuerung angepasst sind, könnte sogar die Hälfte aller Staus vermieden und 1000 Euro pro Bürger im Jahr gespart werden", sagt Ganser.

Weil dadurch auch der CO2-Ausstoß gesenkt wird, ist eine Finanzierung durch CO2-Zertifikate denkbar. Viele Straßenspuren könnten umgebaut, der gewonnene Raum Fußgängern und Radfahrern gegeben werden.

Voraussetzung digitale Infrastruktur

Auch Martin Eldracher, Senior Managing Partner bei der IT-Beratungsgesellschaft DXC Technology, sieht durch die Corona-Einschränkungen mehr Chancen als Risiken. "Digitale Technik kann dabei helfen, Maßnahmen wie social distancing umzusetzen oder abzumildern."

Wie verändert Corona unsere Mobilität?

So können einfache Sensoren nützlich sein, auch bei der Arbeit Sicherheitsabstände einzuhalten und mit Wärmekameras ohne Gesichtserkennung könnten Einlasskontrollen im Bahnverkehr und bei Veranstaltungen durchgeführt werden.

"Voraussetzung ist immer die digitale Infrastruktur", gibt Eldracher zu bedenken. Hier müssten viele Städte und Landkreise noch aufstocken, dann könnten auch Vernetzung und Autonomes Fahren eine große Wirkung haben.

"Wenn eine Stadt aktuelle Verkehrs-, Baustellen- und Emissionsinformationen mit Hilfe von Sensoren und Kameras sammelt und auf einer Open-Data-Plattform zur Verfügung stellt", sagt Eldracher, "können städtische oder private Firmen diese auswerten und Verkehrsteilnehmern je nach Bedarf ins Cockpit oder aufs Smartphone liefern."

Weniger Flüge, mehr Service?

Wie die Automobilindustrie muss auch die Luftfahrtbranche ihr Geschäftsmodell überdenken: Der Weltdachverband IATA erwartet für das Gesamtjahr Umsatzverluste von rund 300 Milliarden Euro.

Der Luftfahrtexperte Joachim Kirsch von der Managementberatung Porsche Consulting erwartet, dass das Geschäftsvolumen der Branche mittelfristig absinkt und dauerhaft nur noch 75 Prozent des Vor-Corona-Niveaus erreicht.

Berlin - Dauerregen
Vor Corona, wenig komfortabel: Reisende warten 2017 in Berlin auf den Bus zum FlughafenBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

"Die Zahl der Geschäftsreisen wird höchstwahrscheinlich zurückgehen, weil sich Homeoffice und Videokonferenzen bewährt haben, die Zahl der Urlaubsreisen ebenfalls, weil vielen Menschen das Geld dafür fehlen wird oder Ferienangebote eingeschränkt sind", so Kirsch. 

"Sollen die Umsatzausfälle kompensiert werden, müssen die bislang auf Preiskampf ausgerichteten Unternehmen sich auf Qualität zurückbesinnen und ihre digitale Transformation schneller vorantreiben", sagt Kirsch. "Die gesamte Wertschöpfungskette entlang des Passagiers muss neu gedacht und viel persönlicher werden."

Neue Komfort-Services wie Abholdienste für Koffer könnten entstehen: "Dafür aber müssen Airlines und Flughäfen ihre Kunden besser kennen, mehr über deren Reise- und Konsumverhalten wissen. Mit Hilfe von Big Data und Analytics lassen sich für die Kundenwünsche Maßanzüge schneidern", so Kirsch. Daten sind auch für die Luftfahrtindustrie der Kraftstoff der Zukunft.

Weniger Büros, mehr Grün?

Ähnlich ist die Situation in der Immobilienbranche: Weltweit prüfen Firmenchefs, ob sie ihre teuren Firmenimmobilien noch brauchen, wenn das Arbeiten im Home-Office gut funktioniert.

Morgan Stanley-Chef James Gorman gab zu verstehen, dass ein Großteil seiner 80.000 Mitarbeiter auch nach der Überwindung der Corona-Pandemie weiter von zuhause arbeiten werde - mit massiven Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft.

Deutschland Frankfurt - Skyline
Bald nicht mehr gebraucht? Bürotürme in Frankfurt am MainBild: picture alliance/Eibner-Pressefoto

"Die Corona-Krise wird Bürogebäude verändern, aber nicht obsolet machen", ist Andreas Mattner, Präsident des Immobilienwirtschaftsverband ZIA, überzeugt.

Umfragen unter Immobilienmanagern bestätigen das, kommen aber zu dem Schluss, dass allein in Deutschland 20 Prozent der Büroflächen bald nicht mehr benötigt werden.

Neue Arbeitsbedingungen verändern das Stadtbild. Jede Krise habe das bisher gezeigt, sagt Architekturkritiker Niklas Maak. "Die Corona-Krise wirkt wie ein Katalysator urbaner Entwicklungen", sagt er. "Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie verändert sich, Mobilität und die Steuerung von Datenströmen werden neu gedacht."

Gebäude seien bisher nach Investitions-Maßstäben gebaut worden. Künftig werde es darum gehen, genug Platz zu schaffen, um ohne Gefahr für die Gesundheit arbeiten und leben zu können.

Das bedeute weniger Hochhäuser, weniger enge Einkaufszentren - dafür aber mehr freie Flächen für Meetings und andere kommunikative Treffen. Zufahrtsstraßen und Parkhäuser könnten Grünflächen und Fitness-Studios weichen.