"Mein Joghurt gibt kein Interview"
12. September 2013Gerhard Schröder gegen Angela Merkel, Bill Clinton gegen George W. Bush und die erste freie Wahl in der DDR: Seit 1990 hat Frank Stauss als Werber unzählige Wahlkampagnen in Deutschland und im Ausland begleitet. In seinem Buch "Höllenritt Wahlkampf. Ein Insiderbericht" gibt der Diplompolitologe einen Einblick hinter die Kulissen der Wahlkämpfe. Der Zeitpunkt für sein Buch ist gut ausgesucht: Am 22. September 2013 wählen die Deutschen einen neuen Bundestag und einen neuen Regierungschef. Im DW-Gespräch bewertet Frank Stauss den Wahlkampf aus Werber-Sicht.
DW: Noch knapp zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Wie finden Sie den Wahlkampf?
Frank Stauss: Der gegenwärtige Zustand ist leider sehr berechenbar. Es war zu erwarten, dass die CDU mit einer Kampagne kommt, die einen gewissen Wohlfühlfaktor beinhaltet. Umfragen belegen, dass 76 Prozent der Deutschen mit ihrer persönlichen Situation zufrieden oder sehr zufrieden sind. Das verführt eine Regierungspartei dazu, genau dieses Gefühl für sich zu vereinnahmen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich furchtbar langweilig. Sowohl von der Ästhetik als auch von den Texten her. Auf der anderen Seite ist der Wahlkampf der SPD auch sehr berechenbar. Man versucht Leute zu zeigen, denen es nicht so gut geht und Themen wie Altersarmut oder fehlende Kita-Plätze zu thematisieren. Das ist dann am Ende eine relativ unfrohe Kampagne, sodass wir jetzt zwei sehr erwartbare Gegensätze auf den Plakaten haben.
Angela Merkel scheint gar keinen Wahlkampf zu machen. Sie ist aber viel beliebter als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Woran liegt das?
Angela Merkel ist nach der doch recht langen Kanzlerschaft zu einer Art Vertrauten der Deutschen geworden. Sie hat persönlich keine großen Fehler gemacht. Sie hat auch den Nimbus, dass sie in der Eurokrise auf unser Geld aufgepasst hat und da manche Begehrlichkeiten aus Europa zurückgewiesen hat. Und natürlich verfahren sie im Adenauerhaus (Zentrale der Regierungspartei CDU, Anm. d. Red.) nach der Strategie, wer nichts macht, kann auch nichts falsch machen.
Sie machen schon seit Anfang der 90er Jahre Wahlkampf. Was hat sich seitdem verändert?
Es ist definitiv die Geschwindigkeit. Einer der ersten Wahlkämpfe, die ich mitgemacht habe, war der Volkskammerwahlkampf in der DDR, also die erste freie Wahl 1990. Die Kommunikation mit den Parteimitgliedern fand da zum Teil über Telegramme statt. Auf der anderen Seite gibt es einen Nachrichtenzyklus, der sich dramatisch verändert hat. 1990 bestand er aus Tageszeitung zum Frühstück, ein bisschen Radio tagsüber und Fernsehnachrichten am Abend. Heute haben wir 24-Stunden-Online-Kampagnen. Sie müssen eigentlich rund um die Uhr beobachten, wo was passiert. Dazu sitzen ganze Heerscharen an Leuten in den Kampagnenzentralen, die aufpassen, ob irgendwo ein Thema aufpoppt, auf das man reagieren muss.
Stichwort online - alle schwärmen vom Online-Wahlkampf von US-Präsident Barack Obama. Wie wichtig ist das Netz eigentlich wirklich im Wahlkampf?
Es wird ja gerne gesagt, die Wahlen werden im Netz entschieden. Es ist aber so: Die Wahlen werden überall entschieden. Die werden genauso auf der Straße entschieden wie in der Kantine wie beim Gespräch beim Bäcker. Das heißt, man muss überall präsent sein. Was die Werbung, also die klassische Kommunikation angeht, hat selbst Obama sich nicht auf das Netz verlassen. Er hat selbst in der zweiten Kampagne das 22-fache an Geld in die klassische Kampagne gesteckt, im Vergleich zu Online-Medien.
Sie werben mit Ihrer Agentur auch für ganz normale Produkte wie Joghurt oder Butter. Was ist der Unterschied zur Wahlwerbung?
Mein Joghurt gibt kein Interview oder redet Quatsch in der Tagesschau (lacht). Der Hauptunterschied ist, dass über solche Produkte herzlich wenig in den Nachrichten berichtet wird. Normalerweise ist die klassische Werbung bei der Produktwerbung nahezu das Einzige, was darüber nach draußen dringt. Ich habe da bis auf wenige Ausnahmen zu 100 Prozent Kontrolle über die Botschaft. Dagegen gehen ungefähr 90 Prozent der politischen Kommunikation durch den Filter des Journalismus. Das heißt, die Empfänger bekommen schon eine kommentierte oder wie auch immer eingeordnete Nachricht und ich habe nur die gekaufte Kommunikation als direkten Draht zum Wähler.
Sie haben hauptsächlich Kampagnen für die SPD betreut. Inwiefern müssen Sie als Werber hinter der Politik stehen, die Sie vertreten?
Wir bestreiten gerade tatsächlich den ersten Wahlkampf für eine konservative Partei, nämlich für die ÖVP in Österreich. Da war natürlich schon die Frage bei uns im Team, machen wir das? Ich glaube, grundsätzlich hilft es, wenn man sich mit dem, was die Partei letztendlich fordert, identifiziert. Ich will für niemanden arbeiten, der europakritisch ist oder Nationalist. Oder jemanden, der den Minderheitenschutz nicht ernst nimmt. Das sind meine persönlichen 'Hygienefaktoren'. Und wenn das gegeben ist, dann kann ich das auch machen.
In Ihrem Buch beschreiben Sie den Wahlkampf als Höllenritt. Warum sind Sie dennoch so fasziniert davon?
Das weiß ich auch nicht (lacht). Manche kriegen den Kick beim Bungeejumping. Ich hole ihn mir in Wahlkampagnen. Es hat natürlich mit diesem absoluten Enddatum zu tun und, dass es so viele Dinge gibt, die Sie nicht unter Kontrolle haben. Und für mich ist es so: Ich liebe einfach Demokratie. Ich finde, es ist ein Wahnsinn, dass wir alle vier Jahre einen Tag haben, gerade auch in Deutschland, an dem zwischen 45 und 50 Millionen Leute ins Wahllokal gehen und ihr Kreuzchen machen. Es freut mich, da einen Beitrag zu leisten.
Der Diplompolitologe Frank Stauss, Jahrgang 1965, begann seine Karriere als Wahlkämpfer in der Clinton/Gore-Kampagne. Seine Kampagnen wurden bereits fünf Mal mit dem Politikaward ausgezeichnet, dem höchsten Preis für politische Kommunikation in Deutschland. Er ist Mitinhaber einer Werbeagentur und Lehrbeauftragter für Politische Kommunikation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Frank Stauss, Höllenritt Wahlkampf. Ein Insiderbericht, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013, ISBN 978-3-423-24986-7.