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"Al-Shabaab ist nicht nur militärisch zu besiegen"

Ludger Schadomsky2. April 2015

Der Überfall auf die kenianische Universität Garissa ist ein Beweis für die Schlagkraft der Terrorgruppe Al-Shabaab. Sie nur militärisch zu bekämpfen, löse das Problem nicht, sagt Politikberater Stefan Brüne.

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al-Shabaab Kämpfer in Somalia (AP Photo/Mohamed Sheikh Nor)
Bild: picture alliance/AP Photo/Sheikh Nor

Mit ihrem blutigen Angriff auf die kenianische Universität von Garissa an der Grenze zu Somalia will die islamistische Terrormiliz Al-Shabaab Kenia dazu zwingen, seine Soldaten von der Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) abzuziehen. Die setzt dort - gemeinsam mit USA und Europäischer Union - vor allem auf eine militärische Lösung. Das US-Militär hat immer wieder hochrangige Al-Shabaab-Anführer per Drohnenangriff getötet. Gleichzeitig bildet die Europäische Union das somalische Militär aus (EUTM Somalia). Der Deutsche Stefan Brüne hat im Auftrag des Auswärtigen Amtes als politischer Berater für die italienische EUTM-Führung gearbeitet - bis er nach fünf Monaten frustriert das Amt aufgab. Im Gespräch mit der DW analysiert er die Situation vor Ort.

DW: Herr Brühne, Sie haben in Ihrem Aufsatz „Ratlos in Mogadischu? Europa, die USA und die Internationale Gemeinschaft in Somalia“ jetzt eine kritische Bilanz des Einsatzes dort gezogen. An welcher Stelle versagt die internationale Gemeinschaft in Somalia?

Stefan Brüne: Am deutlichsten wird das, wenn man sich die Handlungsmöglichkeiten der vor Ort befindlichen externen Akteure mal genau anschaut. Man sitzt also da am Flughafen in dem militärisch überwachten Gelände hinter Sandsäcken, nebendran sitzen Vertreter der Vereinten Nationen, ebenfalls hinter Sandsäcken, man halt also kaum Möglichkeiten in Mogadischu selbst Erfahrungen zu sammeln. Mir persönlich ist es in 5 Monaten nur einmal gelungen, für ganze 2 Stunden den Regierungssitz in der Stadt aufzusuchen.

Sie schreiben in Ihrem Aufsatz, „eine schnelle, friedenstaugliche und politisch verhandelte Überwindung gewaltsam ausgetragener innersomalischer (…) Interessensgegensätze“ sei „nicht in Sicht“. Wie viel Schuld trägt daran die internationale Gemeinschaft?

Die Handlungsmöglichkeiten der vor Ort befindlichen Akteure ist - wie gesagt - sehr begrenzt, sowohl was den Kenntnisstand hinsichtlich der innersomalischen Auseinandersetzungen als auch den Handlungsspielraum generell angeht. Sie haben eine Sicherheitslage, die jenseits der innenpolitischen Kontroversen der somalischen Bevölkerung selbst nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten erlaubt. Das Thema Sicherheit steht natürlich an erster Stelle - die kann aber nicht gewährt werden, wenn politische Probleme nicht gelöst sind. Und das bedeutet für die internationale Gemeinschaft, dass deren Begleitung innersomalischer Prozesse zwar von gutem Willen geprägt ist - hinsichtlich der Wirkung aber sehr marginal. Ein Beispiel: Die internationale Gemeinschaft hat gefordert, eine unabhängige Wahlkommission zu bilden und die Verfassung zu revidieren. Man besteht darauf, dass die Wahlen im Herbst 2016 stattfinden müssen. Wenn man aber mit gut informierten Quellen spricht - etwa mit kenianischen Generälen - dann sagen die: Wir verstehen, dass die internationale Gemeinschaft diese Forderung als Druckpotential aufrecht erhält. Aber sie stellen sehr laut die Frage, ob das realistisch ist.

Somalia-Politberater Stefan Brüne (Foto: privat)
Stefan Brüne, ehemaliger Berater der Europäischen Ausbildungsmission in Somalia.Bild: privat

Die offizielle Losung der internationalen Gemeinschaft lautet: Wir verfechten eine politische statt einer militärischen Lösung. Aber meist bleibt offen, wie die erreicht werden soll. In ihrem Aufsatz sprechen Sie von einer „dialogorientierten Reformstrategie“, die auch moderate Al-Shabaab-Elemente einbinden könnte. Sehen Sie bei den internationalen Akteuren eine Bereitschaft, diesen Weg mitzugehen?

Die politischen Leitlinien über alldem sind ja bekannt: das sind der Anti-Terrorismuskampf und gleichzeitig die nicht existierende Staatlichkeit in Somalia, Stichwort: failed state. Nun kann man natürlich sagen: Wir haben diesen Prozess seit mehr als 20 Jahren begleitet, ohne dass er zu einer politischen Lösung geführt hätte. Meine Überzeugung ist auch, dass das kurzfristig nicht zu erreichen ist. Dennoch gibt es Hinweise, dass es hinter der offiziellen Position “Wir müssen Al-Shabaab bekämpfen - notfalls auch mit Drohnen“ zum Beispiel bei den Kenianern Versuche gibt, mit moderaten Al-Shabaab-Anführern enger ins Gespräch zu kommen. Meine Überzeugung ist: Das Militär muss Teil einer Lösung sein, aber es gibt keine militärische Lösung. Man wird also einen Mittelweg beschreiten müssen, indem man den Al-Shabaab-Anhängern Angebote macht, die vor allem auf die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation abzielen. Mit dem Ziel, dass sie dann die Seiten wechseln. Wenn das nicht passiert, sehe ich keine rein militärische Lösung.

Nach einer Bombenexplosion in Mogadischu (Foto: REUTERS/Feisal Omar TPX IMAGES OF THE DAY)
Mogadischu, 27. März: Al-Shabaab Kämpfer haben sich den Weg in ein Hotel gebombt, das vor allem bei Geschäftsleuten und Diplomaten sehr beliebt war.Bild: Reuters/F. Omar

Ihre Analyse zu den Friedensbemühungen in und für Somalia beruhen auch auf Ihrer langjährigen Tätigkeit als politischer Berater für die ostafrikanische Regionalorganisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development) mit acht Staaten. Wenn die externen Akteure USA und Europäische Union aus Ihrer Sicht keine schlüssige Strategie für Somalia haben - könnte die IGAD nicht ein glaubhafter weil kenntnisreicher Vermittler sein?

Diese Rolle könnte die IGAD als Regionalorganisation theoretisch spielen. Aber alle Versuche, auf konkrete innersomalische Entscheidungsfindungsprozesse Einfluss zu nehmen, haben eine begrenzte Reichweite. Die Organisation (IGAD) ist zu schwach. Sie definiert sich natürlich sehr über die nationalen Interessen ihrer Mitgliedsländer, vor allem Äthiopien, Kenia und Uganda - und nicht einmal die haben immer dieselbe Sichtweise auf die Dinge. Wir müssen jenseits der Unterstützung schon existierender Institutionen und Regierungen versuchen, mit den somalischen Akteuren ins Gespräch zu kommen. Und das gelingt nur dann erfolgreich, wenn man Ausbildungs- und Qualifikationsprogramme anbieten kann, die die ökonomische Situation der einheimischen Bevölkerung verbessert.

Für den März 2016 ist das Verfassungsreferendum angekündigt und für den darauffolgenden Herbst Wahlen. Glauben Sie - auch vor dem Hintergrund Ihrer Eindrücke als EUTM-Berater in Mogadischu -, dass dieser Zeitplan realistisch ist und notfalls auch gegen Bedanken durchgezogen werden sollte? Oder sollte es hier einen Plan B geben?

Technisch wird es sehr schwierig, die ersten demokratischen Wahlen überhaupt in Somalia anzuhalten. Die Vereinten Nationen (UN) haben bereits kritisiert, dass man nicht im Zeitplan ist. Man möchte das eben bis Ende 2016 über die Bühne bringen. Es gibt von somalischen Akteuren auch erste Papiere, in denen es heißt, man werde das nicht schaffen und man solle davon absehen. Andererseits sagen die UN-Kollegen: Selbst wenn es unrealistisch sein sollte, macht es trotzdem politisch Sinn, weiterhin auf diesem Zeitplan zu bestehen. Denn es erhöht den Druck auf die politischen Akteure in Mogadischu.

Stefan Brüne ist Gastprofessor am Institute for Peace and Se­curity Studies (IPSS) der Universität Addis Abeba (Äthiopien). Er war als Mitarbeiter der in Dschibuti ansässi­gen Intergovernmental Authority on Development (IGAD) mit afrikanischen Friedensinitiativen befasst. Zuletzt war er als po­litischer Berater der Europäischen Union in Mogadischu tätig.

Das Interview führte Ludger Schadomsky