Peinliche Panne bei Steinbrück-Buchcover
30. Oktober 2011Über mangelndes Publikumsinteresse konnten sich Helmut Schmidt, Peer Steinbrück und Moderator Ulrich Wickert am Sonntag (30.10.2011) nicht beklagen: Volles Haus im Hamburger Thalia-Theater, dem Heimspielort sozusagen für den Altbundeskanzler. Das Theater war schon seit Tagen ausverkauft - und auf dem Programm beim "ZEIT Forum Politik" stand das neue Buch der beiden SPD-Politiker: "Zug um Zug".
Doch nach einer kurzen Einstiegsplauderei über Schmidts Zigarettenkonsum ging es dann für zweieinhalb Minuten erst einmal nicht um den Inhalt des Buches, sondern um das Äußere - um das Foto auf dem Buchumschlag nämlich. Dafür gab es gute Gründe.
"Er kann es"
Peer Steinbrück (SPD), ehemaliger Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und danach ehemaliger Bundesfinanzminister in der großen Koalition, möchte - soviel steht spätestens seit der vergangenen Woche fest - gern Kanzler werden. Helmut Schmidt (ebenfalls SPD), mittlerweile 92 Jahre alt, hat dieses Amt von 1974 bis 1982 bekleidet. Und für viele Deutsche gilt er immer noch als eine politische und moralische Instanz. In diesen Tagen legte der "Staatsmann" sein politisches und moralisches Gewicht massiv in die Waagschale, für seinen rund 30 Jahre jüngeren Partei-, Diskussions- und Schachfreund: "Peer Steinbrück kann es", sagte Schmidt ganz offiziell - und meinte damit nicht das Schachspielen, sondern den Job als Kanzler.
Die Bewerbungs- und Unterstützungskampagne begann am vergangenen Sonntag (23.10.2011) mit einem gemeinsamen Auftritt in der Talkshow von Moderator Günter Jauch; am Montag folgte eine Titelstory im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", am Donnerstag kam dann das auf gemeinsamen Gesprächen beruhende Buch "Zug um Zug" heraus. Nicht nur mit dem Titel setzt das 320 Seiten starke Werk auf die kompetenzverheißende und imagewirksame Schach-Metaphorik, sondern folgerichtig auch mit dem Umschlag-Foto: Peer Steinbrück und Helmut Schmidt spielen das Spiel der Könige - gegeneinander, miteinander.
Peinliche Panne
Die Wochenzeitung "Die ZEIT", von Altbundeskanzler Helmut Schmidt herausgegeben, brachte ebenfalls am Donnerstag einen Vorabdruck der "wichtigsten Passagen" des Buches und titelte: "Die Partie ist eröffnet". Um was es in dem Spiel geht, wird in der Unterzeile geklärt: "Der Altkanzler schickt seinen Erben ins Rennen um die Macht."
Ein Spielbeginn, ein Kampfauftakt um die Macht also, eine Simultanpartie gar auf mehreren Medienschauplätzen gleichzeitig - dumm nur, dass die Denker- und Kämpferpose von Steinbrück und Schmidt auf dem Titelbild des Buches "Zug um Zug" einen kleinen, aber entscheidenden Haken hat: Das Brett ist falsch aufgebaut; um 90 Grad verdreht.
Dem "Hamburger Abendblatt" war der Lapsus und die "Foto-Blamage" schon am Mittwochmorgen aufgefallen: Die Schachliebhaber und vermeintlichen Schach-Könner grübeln und agieren auf dem Titel und auf anderen Bildern über einer Stellung, die es eigentlich gar nicht geben kann - oder eben nur auf dem Brett von Anfängern, Laien, und Gelegenheitsspielern. Oder, wie es in besseren Schachspieler-Kreisen ebenso lakonisch wie auch etwas grausam heißt, von "Patzern".
Könner oder Patzer?
Die "Süddeutsche Zeitung" befragte die renommierte, 75 Jahre alte Fotografin Ingrid von Kruse nach den Umständen des Shootings: Sie habe, so die freimütige Auskunft, von Schach keine Ahnung. Die Figuren habe sie aber auch gar nicht aufgestellt, sondern nur den Schachtisch ans Fenster gerückt, des besseren Lichts wegen. Wahrscheinlich falsch herum, so scheint es im Nachhinein, aber von Kruse wundert sich: "Dass die Spieler das selbst nicht gemerkt haben!"
Am Freitag brachte dann auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die merkwürdige Schachstellung groß als Titelbild - mit der Schlagzeile "Was wird hier eigentlich gespielt?". Für noch mehr Verwirrung hatte nämlich inzwischen gesorgt, dass auf dem Titelbild der "ZEIT" das Brett richtig herum zu sehen war, aber mit einer komplett anderen Stellung. Dabei handelte es sich allerdings um eine Fotomontage, mit der die Wochenzeitung den Lapsus mehr oder weniger geschickt ausgebügelt hatte. "Hamburg dreht an einem großen Schachbrett" - so der etwas maliziöse Titel des entsprechenden FAZ-Artikels.
Ein Rätsel für Schachkundige
Die Politiker hätten bei den Fotoaufnahmen nicht "ernsthaft gespielt", sondern eben nur posiert, teilte die peinlich berührte Presseabteilung des Buchverlages Hoffmann und Campe mit - dort war niemandem der Fehler aufgefallen, auch nicht auf den meterbreiten Plakaten, mit denen der Verlag auf der Frankfurter Buchmesse für das Buch geworben hatte. Nur war auf einem weiteren Bild aus dem Shooting schon klar erkennbar gewesen: Schmidt und Steinbrück hatten auf jeden Fall nicht nur die Arme über das Brett gehalten, sondern mindestens ein paar Züge in der Partie gespielt. Aber das war für Schachkundige kaum zu fassen - sollte Peer Steinbrück, der immerhin 2005 dem damaligen Schachweltmeister Vladimir Kramnik eine Weile ganz anständig Paroli bieten konnte, tatsächlich spiegelverkehrt gespielt und normalerweise "unmögliche" Züge wie eine etwa die "kurze Rochade" nach links statt nach rechts ausgeführt haben?
Späte Aufklärung
Das war in der Tat so, sagte Peer Steinbrück beim "ZEIT Forum": Der Tisch sei falsch aufgestellt gewesen und der gehbehinderte Helmut Schmidt hätte sich einfach an den "nächstgelegenen Platz" gesetzt. Das rechte untere Feld war nun für beide Spieler fälschlicherweise schwarz statt weiß, aber man habe Schmidt nicht zumuten wollen, den Platz zu wechseln.
"Und auch in dieser Aufstellung kommt die weiße Dame aufs weiße Feld und wie immer die Schwarze Dame aufs schwarze Feld", sagte Steinbrück. "Und wir haben diese Partie auch zu Ende gespielt und haben Spaß gehabt." Im Übrigen, so Steinbrück, sei zu fragen, ob die berichtende Presse noch "wichtig von unwichtig" unterscheiden könne. Ihm sei - so berichtet es "Spiegel Online" - die falsche Brettstellung "scheißegal".
Autor. Michael Gessat
Readktion: Nicole Scherschun