Steinmeier in der Türkei: Am Ende ein Lächeln mit Erdogan
24. April 2024Am dritten und letzten Tag des Türkei-Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lag der Fokus auf dem Treffen der beiden Präsidenten. Die Journalistinnen und Journalisten warteten mehr als zwei Stunden, bis Steinmeier und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Pressekonferenz erschienen. Beide traten mit einem Lächeln vor die Kameras. Von einem - durchaus möglichen - Eklat war nichts zu spüren. Sichtlich entspannt scheinen die Konsultationen vonstatten gegangen zu sein. Was war passiert? Keine kontroversen Diskussionen zu Gaza? Keine Einordnung der Hamas? Kein Fingerzeig, was die Deutsche Staatsräson angeht?
Erdogan: "Der Krieg im Nahen Osten muss beendet werden"
In seinem Statement wurde Erdogan deutlich: "Der israelische Ministerpräsident verlängert den Krieg in Gaza, um politisch am Leben zu bleiben. Das Leid der Palästinenser muss beendet werden." In der Vergangenheit hatte der türkische Staatschef den israelischen Premier Benjamin Netanjahu schon oft beschimpft, ihm sogar Nazi-Methoden unterstellt. Auf meine Frage, weshalb die Türkei trotz allem noch immer intensive wirtschaftliche Beziehungen mit Israel unterhalte, antwortete Erdogan einsilbig: "Das ist vorbei!"
Türkische Kolleginnen und Kollegen sagten mir später: "Er lügt, ohne rot zu werden." Erdogan könne gar nicht auf den Wirtschaftspartner Israel verzichten. Seine Worte sollten nur die Bevölkerung in der Türkei besänftigen.
Steinmeier: "Wir müssen gemeinsam humanitäre Hilfe leisten"
Bei Steinmeiers Rede zeigten sich dann doch die Unterschiede in den Positionen zum Nahost-Konflikt. Erdogan sprach nur das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen an und wiederholte mehrfach die Zahl der Toten und Verletzten Palästinenser. Der deutsche Gast hingegen machte deutlich, dass die militant-islamistische Hamas am 7. Oktober den Krieg begonnen hat. Die Palästineserorganisation Hamas wird von Israel, Deutschland, der Europäischen Union, der USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.
Doch Steinmeier betonte auch, dass die humanitäre Unterstützung der leidenden palästinensischen Bevölkerung nur gemeinsam mit der Türkei und Erdogan erfolgen könne. Bereits zum Auftakt hatte er vom "Ernst" seiner Reise gesprochen, und dass bei Erdogan "alle Themen auf den Tisch" kommen müssten. Wie kontrovers diese Themen diskutiert wurden, wird ein diplomatisches Geheimnis bleiben.
Onay: "Wir haben die ersten Samen gesät"
Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der zur Delegation des Bundespräsidenten gehörte, zieht ein positives Reisefazit: "Ich denke, wir haben kleine Schritte gemacht, um die seit sehr langer Zeit belasteten Beziehungen unserer Länder zu verbessern. Wir haben die ersten Samen säen können, um eine deutsch-türkische Freundschaft, wie sie einmal war, ernten zu können."
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler spricht ebenfalls von einer erfolgreichen Reise - und verweist dabei auf die Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Oppositionspolitikern in Istanbul und Ankara. Auch der Austausch zwischen Erdogan und Steinmeier sei eine gute Basis, so Güler: "Erdogan war erstaunlicherweise sehr mild." Dies habe wohlmöglich viel mit der Person Steinmeier zu tun.
Lindner: "Hoffnung für die türkische Wirtschaft"
Bundesfinanzminister Christian Lindner wertet die Reise ebenfalls als Erfolg. Unter anderem traf der FDP-Politiker mit seinem türkischen Kollegen Mehmet Simsek zusammen und bei einer Fahrt über den Bosporus mit Vertretern deutscher Unternehmen (Bosch, Siemens, DHL, Mercedes), die in der Türkei aktiv sind: "Wenn sich die türkische Wirtschafts- und Finanzpolitik mittelfristig erholt, werden die Ergebnisse auch einen Einfluss auf deutsche Unternehmer haben, die dann wieder in eine starke Türkei investieren werden", sagte Lindner der DW. Die Aussagen von Simsek weckten Hoffnungen für die türkische Wirtschaft, denn die angekündigten Bemühungen der türkischen Regierung seien vielversprechend.
300 Millionen Euro Kredit für Erdbebengebiet
Zu erwähnen bleibt noch der Tagesbesuch der vom Erdbeben schwer zerstörten südostanatolischen Provinzhauptstadt Gaziantep und der sich in der Nähe befindenden Stadt Nurdagi. Mehrere 10.000 Menschen verloren dort im Februar 2023 ihre Familien, ihre Häuser, ihre Existenzen. Seit mehr als 14 Monaten hausen Überlebende wie Ahmet Atilgan in einem engen Containerdorf. Für ihn sei das Wichtigste, sagt Atilgan, dass er am Leben sei und hoffentlich bald eine Wohnung beziehen könne.
Auch der 90-jährige Abdullah Kapi dankt Gott, dass er noch lebt. Auf eine neue Wohnung müsse er aber noch warten, erzählt er mit zittriger Stimme. Die AKP-Bürgermeisterin von Gaziantep, Fatma Sahin, verkündete, dass mehr als 300 Wohnungen bereits an Mieter und Eigentümer übergeben worden seien. Weitere 2000 sollten binnen Jahresende fertig werden - so Gott will, so wie Abdullah Kapi sagt.
Für weitere Unterstützung der türkischen Regierung, wie etwa zum Wiederaufbau von Bildungseinrichtungen, hat die Bundesregierung einen "ungebundenen Finanzkredit in Höhe von 300 Millionen Euro" bereitgestellt. Ungebunden bedeutet, dass er rein politisch ist. Das Geld wurde, nach Aussage von Beteiligten, bereits vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei im vergangen Jahr in Aussicht gestellt. Am Ende sind Freunde eben doch Freunde.