"Nordkorea muss sich entscheiden"
1. November 2014DW: Herr Steinmeier, wenn Sie sich diese Grenzanlage anschauen, glauben Sie wirklich daran, dass die Wiedervereinigung von Korea kurz bevorsteht, wie Ihre Gesprächspartner das immer vermitteln?
Frank-Walter Steinmeier: Wir haben ja selbst erlebt, dass Geschichte sich nicht entwickelt, weil man daran glaubt, sondern weil sie sich ereignet. Aber gerade hier, mit den blauen Baracken im Hintergrund, unmittelbar an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea, werden natürlich Bilder wach, die bei uns über Jahrzehnte den deutsch-deutschen Alltag im Kalten Krieg beherrscht haben. Die blaue Baracke hier im Hintergrund ist ja so etwas wie die Glienicker Brücke bei uns in Berlin. Will sagen: Hier werden Gefangene ausgetauscht, werden immer noch Gebeine von getöteten Soldaten und Zivilisten ausgetauscht und hier finden Gespräche auf der hohen Militärebene statt.
Wir Deutschen können natürlich besonders gut nachempfinden, wie unsere koreanischen Freunde sich fühlen, die ihre Familienangehörigen über Jahrzehnte nicht gesehen haben, die nicht einmal eine Nachricht bekommen, weil Nordkorea den Kontakt vollständig, brutal und konsequent unterbrochen hat. Wir freuen uns, dass Korea das Signal gegeben hat, dass sie an deutsch-deutschen Erfahrungen teilhaben möchten. Und deshalb habe ich der Bitte Koreas gerne zugestimmt, hier eine deutsch-koreanische Beratergruppe einzurichten, die jetzt hier, während meiner Reise nach Korea, das erste Mal getagt hat. Wir treten hier nicht als Lehrmeister auf, dazu sind die Bedingungen viel zu unterschiedlich. Aber gerne berichten wir über das, was hier interessiert über unser Verhalten in den Jahren der Teilung und vor allen Dingen auf die Schritte in Richtung Wiedervereinigung hin.
Ich glaube, hier hat niemand die Illusion, dass wir kurz vor einer Wiedervereinigung stehen. Aber ich merke doch, dass gerade hier in Seoul der ernsthafte Wille besteht, die ersten Schritte dahin zu gehen. Ich kann nur sagen, wir haben das Glück gehabt, dass wir die Erfahrung machen konnten, dass die Teilung nicht von Ewigkeit sein muss. Diese Erfahrung wünschen wir auch den Koreanern.
Es gibt die Sorge, dass es tatsächlich zu einer politischen Implosion in Nordkorea kommt. Sie haben am Freitag noch einmal betont, wie wichtig es sei, dass es zu einem kontrollierten Übergang käme. Was braucht es dafür?
Ich glaube nicht, dass die Befürchtung der politischen Implosion im Augenblick der beherrschende Eindruck ist. Der Eindruck, den wir noch vor ein paar Monaten hatten, dass der junge Führer sich nicht stabilisiert habe oder dass neue Hungersnöte drohen, das ist im Augenblick nicht der Eindruck, den wir oder die Koreaner haben.
Es gibt ein Vor und Zurück in der nordkoreanischen Politik: hier Signale auch nach Seoul, die darauf hindeuten, dass Interesse an dem Wiederaufleben von Kontakten besteht, auf der anderen Seite ein gleichzeitiges, öffentliches Festhalten am Kurs der atomaren Verwaltung. Und deshalb war es am Freitag notwendig, auch öffentlich, zu sagen: Man kann nicht beides gleichzeitig haben: Eine atomare Bewaffnung, mit der man den Nachbarn im Süden und die gesamte Region bedroht, und gleichzeitig wirtschaftliche Entwicklung mithilfe der selben Nachbarn. Da muss sich Nordkorea entscheiden. Wir können nur hoffen und ermutigen, dass sie sich für die richtige Politik entscheiden.
Sie haben eine Beratergruppe zusammen mit den Südkoreanern eingerichtet, die sich mit den außenpolitischen Aspekten befasst. Wie müssen die beiden Schutzmächte, für den Norden China, für den Süden die USA, eingebunden werden?
Sie sind eingebunden. Darum bemüht sich Seoul nach Kräften sowohl mit den Amerikanern wie mit China. Natürlich kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts Abschließendes sagen. Was sich verändert hat, ist, dass China sich zumindest den Gesprächen über die Zukunft Koreas nicht verschließt wie in den vergangenen Jahren. Das ist eine vorsichtige, neue Entwicklung, die man nicht überbewerten darf, aber sie findet immerhin statt.
Das Gespräch führte Dagmar Engel in Panmunjom.