Überhangmandate
27. September 2009In Deutschland hat jeder Wähler zwei Stimmen und kann diese verschiedenen Parteien geben.
Mit der so genannten Erststimme votiert der Wähler für einen Kandidaten aus dem eigenen Wahlkreis. Es gibt 328 Wahlkreise. Hier gilt das Mehrheitswahlrecht. Der Kandidat mit den meisten Stimmen gelangt in den Deutschen Bundestag, er gewinnt ein Direktmandat. Alle anderen Stimmen verfallen.
Mit der so genannten Zweitstimme entscheiden die Wähler per Verhältniswahlrecht, wie viele der 656 Abgeordnete jede Partei im Bundestag stellen darf. Politiker, die über die Zweistimme in den Bundestag kommen, haben ein so genanntes Listenmandat. Die Bezeichung kommt daher, dass die Parteien in den Bundesländern Landeslisten mit ihren potentiellen Abgeordneten zusammenstellen.
Erst- und Zweitstimmen
Erst- und Zweitstimmen werden miteinander verrechnet. Das heißt: Die Direktmandate werden vom Zweitstimmenanteil abgezogen. Erst wenn es keine Direktmandate mehr gibt, können Parteien Politiker von ihrer jeweiligen Landesliste entsenden. Das gilt meisten nur für die großen Parteien SPD und CDU. Die kleineren Parteien FDP, Grüne und die Linkspartei besetzen ihre Plätze im Bundestag in der Regel ausschließlich über die Zweistimme, also über die Landeslisten, da sie keine Wahlkreise gewinnen.
Diese Mischung aus Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen und Verhältniswahlrecht über die Partei-Landeslisten wird zum Problem, wenn Parteien generell oder in einzelnen Bundesländern die Wahlkreise dominieren. Dann gewinnen sie mehr Direktmandate, als ihnen nach der eigentlich entscheidenden Zweitstimme für die jeweilige Landesliste zustehen.
Wer allerdings einen Wahlkreis gewonnen hat, der hat auch das Recht auf ein Mandat im Bundestag. Diese zusätzlich errungenen Mandate, die über den eigentlichen Zweitstimmen-Anteil hinausgehen, heißen Überhangmandate.
Ein Beispiel: Entscheiden sich bei der Wahl um die 100 Parlamentssitze für das Bundesland XY 30 Prozent der Wähler per Zweitstimme für die Partei A, so müsste die eigentlich 30 Sitze bekommen. Doch hat die Partei in dem Bundesland mehr als 30 Wahlkreise gewonnen, dann bekommt Partei A zusätzliche Sitze im Parlament. Wenn sie also 35 Wahlkreise gewonnen hat, dann bekommt die Partei nicht 30, sondern 35 Sitze. Im Ergebnis wird das Parlament um fünf Personen größer.
CDU und SPD haben bisher bei fast allen Bundestagswahlen Überhangmandate erzielt. Allein 2005 erhielt die SPD neun Überhangmandate, die CDU/CSU sieben. Schon Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sicherten ihre Kanzlermehrheit mit Überhangmandaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte, natürlich würde sie auch eine Regierung bilden, wenn das nur mit Überhangmandaten möglich sei, das sei für sie "kein Mandat zweiter Klasse". Allerdings ist es ein Mandat mit Verfallsdatum.
CDU/CSU, SPD und FDP verhinderten Wahlrechtsänderung
Nach mehreren Klagen haben die obersten Verfassungsrichter im Sommer 2008 beschlossen, dass die jetzige Vergabe der Überhangmandate verfassungswidrig ist. Auslöser dafür war einer der seltenen Fälle, in denen Wählerstimmen für eine Partei paradoxerweise sogar zu einem Sitzverlust führen können. Das nennt man "negative Stimmgewichtung", die durch das komplizierte Rechenverfahren zur Verteilung der Sitze auf die einzelnen Bundesländer möglich wird. Die Verfassungsrichter räumten dem Gesetzgeber aber eine Frist bis zum Juni 2011 ein, um das Bundeswahlgesetz zu ändern. Bündnis90/Die Grünen wollten zwar eine schnellere Änderung vor der Bundestagswahl 2009 durchsetzen. Doch CDU/CSU, SPD und FDP lehnten den entsprechenden Antrag ab.
Einen Nachteil haben die Überhangmandate aber auch für die großen Parteien: Sollte ein Mandatsinhaber aus irgendeinem Grund vorzeitig aus dem Parlament ausscheiden, dann darf nicht nachbesetzt werden. Die betroffene Fraktion im Parlament schrumpft, das Überhangmandat ist weg und das auch schon vor 2011.
Autoren: Andrea Grunau / Jochen Vock / Kay-Alexander Scholz