Stille Helden im Kampf gegen Ebola
25. Mai 2015Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Studenten, die auf ihren Professor warten. Sie tragen Jeans, Mützen und lässige Sportschuhe und quetschen sich auf wackeligen Stühlen in ein winziges Büro zwischen übervollen Bücherregalen und staubigen Akten. Sie sind Team Nummer fünf des Roten Kreuzes in Kenema, Sierra Leones drittgrößter Stadt. Ihre Mission: der Kampf gegen Ebola. Am 25. Mai 2014 wurde in Sierra Leone der erste Ebola-Fall bestätigt.
"Guten Morgen, meine Damen und Herren", ruft Hallie James, ein großer athletischer Mann im blauen Hemd. Er gibt Anweisungen, fast wie ein Offizier. "Die Botschaft von heute ist: 'Ebola ist noch nicht vorüber.'" Wie die Weltgesundheitsorganisation berichtet, breitet sich das Virus in Guinea und Sierra Leone noch immer aus. 36 Fälle wurden in den beiden Ländern allein in der vergangenen Woche gemeldet. Hallie James und seine Freiwilligen wollen dafür sorgen, dass es nicht noch mehr werden.
Nach 15 Minuten Besprechung schwärmen die Helfer in weißen Jeeps mit Rot-Kreuz- und Roter-Halbmond-Aufklebern aus. Sie gehören zu den 2200 Ehrenamtlichen, die das Rote Kreuz im ganzen Land unterstützen. Viele Freiwillige aus Sierra Leone melden sich auch bei anderen Hilfsorganisationen und beim Gesundheitsministerium.
Menschen wachsam halten
Heute steht das Dorf Komende Luyama auf dem Plan. Es ist 40 Minuten entfernt von Kenema. Mehr als ein paar braune Lehmhäuser mit Wellblechdach, die sich zwischen grünen Palmen und Feldern verstecken, gibt es hier nicht.
Dabei war das Dorf 2014 einer der Brennpunkte der Ebola-Epidemie. Mehr als 42 Bewohner steckten sich an, nur 13 überlebten. Monatelang stand Komende Luyama unter Quarantäne. Soldaten hielten die Bewohner davon ab, das Dorf zu verlassen, um zu verhindern, dass sie die Krankheit weitertragen. Wer konnte, mied den Ort. Nicht aber Hallie James und seine Kollegen. Sie kamen trotzdem zwei Mal pro Woche nach Komende Luyama, um die Bewohner zu informieren, wie sich die Ansteckungsgefahr am besten verringern lässt.
"Die Leute fürchteten sich davor, Ebola-Kranke in Kliniken zu schicken, weil sie die Stationen als Bedrohung sahen - als einen Ort, an dem man Ebola bekommen würde. Aber durch unsere Aufklärung haben die Leute verstanden, dass sie dorthin gehen können. Deshalb ist die Gegend hier heute so still und friedlich", erklärt Hallie James.
"Ebola ein für allemal ausrotten"
Inzwischen haben sich die ersten Dorfbewohner um die Freiwilligen versammelt. Die Helfer kommen immer noch zwei bis drei Mal im Monat vorbei. Sie erinnern die Menschen daran, ihre Verstorbenen nicht selbst zu beerdigen, sondern alle verdächtigen Fälle zu melden. "Wir kämpfen gegen Ebola, bis das Virus ein für alle mal im ganzen Land ausgerottet ist", sagt Hallie James.
Seine Freiwilligen tun, was sie können: Unter freiem Himmel und der brennend heißen Sonne ziehen sie mit Leidenschaft ein einstündiges Programm durch. Es sind Lieder, Reden und sogar kurze Theaterstücke. Zwei Freiwillige bringen einen Eimer Wasser und Seife und zeigen vor versammelter Dorfgemeinschaft, wie man sich richtig die Hände wäscht. Am Ende betet ein Helfer für die Toten.
Die Bewohner haben mehr Interesse für andere Dinge als für die Ebola-Vorsorge. Ein Bauer beschwert sich, dass er Werkzeug und Saatgut brauche. Ein anderer fragt, wann die Grundschule im Dorf fertig gebaut werde. Die Arbeiten wurden eingestellt, als wegen des Ebola-Ausbruchs niemand mehr ins Dorf kommen konnte. Die Freiwilligen machen sich Notizen und versprechen, dass sie die Anliegen beim lokalen Ebola-Komitee einbringen werden. Sie können aber nur hoffen, dass sich jemand dort den Problemen in Komende Luyama widmet.
"Hier begann die Epidemie", sagt die Freiwillige Christine Akopome. Sie zeigt auf ein kleines weißes Haus in einiger Entfernung. Die hölzernen Fensterläden sind geschlossen. "Eine Frau kam hierher. Sie hatte Ebola, aber die Menschen haben es nicht erkannt. Als sie starb, wuschen sie ihren Körper und begruben sie. So haben sich die Leute angesteckt und sind schließlich gestorben."
Gemeinsame Trauer
Shekau Foday ist der Einzige im Haus, der noch lebt. Die anderen sind entweder gestorben oder haben zu viel Angst zurückzukehren. Er verlor seinen großen Bruder, seine Schwägerin, seine Nichten und Neffen. Er steht vor der Haustür und blickt auf das Team vom Roten Kreuz. Regelmäßig besuchen die Freiwilligen ihn und auch andere, die ihre Familie und Freunde verloren haben. "Manchmal können sie nur weinen und dann weine ich manchmal mit", sagt Christine mit zittriger Stimme.
Ein paar ermutigende Worte und ein paar Minuten Zeit - das ist alles, was Christine und die anderen Freiwilligen den Trauernden bieten können. "Es ist nicht einfach. Ich sage ihnen, dass sie vergessen sollen, loslassen sollen. Sie sind gegangen und werden nicht zurückkommen. Daran kann man nichts ändern. Sie sollten versuchen ihren Glauben in Gott zu legen."
Das hilft Shekau Foday jedoch wenig. "Ebola hatte einen großen Einfluss auf mich", sagt er mit tiefer und langsamer Stimme, während seine Augen den Boden fixieren. "Ich weiß nicht, wie ich meine Kinder und die meines Bruders versorgen soll. Ich bin allein." Die Abschottung macht es ihm noch schwerer, sich um seine Familie zu kümmern. Die Bauern konnten monatelang nicht auf dem Feld arbeiten. Viele haben noch nicht mal Saatgut für eine neue Ernte übrig.
Viele ungelöste Probleme
Christine Akobome und ihre Mitstreiter haben sich mittlerweile an das Gefühl gewöhnt, dass viele Probleme noch nicht gelöst sind. Nach etwa zwei Stunden in Komenda Luyama gehen sie langsam zurück zu ihren weißen Autos, die im Schatten neben einem der Häuser parken. Ihre Bezahlung: 30.000 Leone, rund sechs Euro, für einen Tag.
"Manchmal ist es nicht leicht, wenn ich nach Hause komme. Dann muss ich weinen. Du triffst jemanden, der ganz allein ist, der seine Frau, seine Kinder und vielleicht sogar seinen Vater und seine Mutter verloren hat. Mir wird klar, wie schwer es für sie ist. Das ist auch für mich hart." Und trotzdem hat Christine es nicht so schwer wie andere: Einer ihrer Kollegen erzählt, dass ihn seine Familie rausgeworfen hat, nachdem sie erfuhr, dass er in Ebola-Gebiete fährt.
Die Autos vom Roten Kreuz verlassen langsam das Dorf und fahren zurück nach Kenema. Für diesen Tag ist alles erledigt. Die Freiwilligen werden aber nicht nach Hause gehen, wenn sie in der Stadt ankommen. Sie wollen im Haus des Roten Kreuzes bleiben und über ihre Erlebnisse reden.