Stilles Gedenken in Winnenden
11. März 2010Ein Jahr nach dem Amoklauf in der Albertville-Realschule in Winnenden haben Schüler, Lehrer und Hinterbliebene am Donnerstag (11.03.2010) der 15 Opfer der Bluttat gedacht. Um Punkt 9.33 Uhr, dem Zeitpunkt des Massakers, bildeten die Trauernden eine Menschenkette an der Schule. Zugleich läuteten alle Kirchenglocken. In der Innenstadt verließen zahlreiche Menschen die Geschäfte und gesellten sich zu den Passanten, die auf den Straßen stehenblieben und im Gedenken verharrten.
Für weitere Verschärfung des Waffenrechts
Der nichtöffentliche Teil der Gedenkveranstaltung begann bereits um 7.45 Uhr in der Hermann-Schwab-Halle, als rund 900 Schüler mit Lehrern und Hinterbliebenen in einer Halle gegenüber der Schule zum stillen Gedenken zusammenkamen. Nach Angaben eines Teilnehmers wurden auf einer Videoleinwand Bilder aus dem Leben der Opfer gezeigt und Gedichte vorgetragen.
Um 11 Uhr schloss sich eine Gedenkveranstaltung für die Opfer an. Daran nahm auch Bundespräsident Horst Köhler teil. Vor der Albertville-Realschule verlas Köhler die Namen der Menschen, die am 11.03.2009 erschossen worden waren. "Wir gedenken heute aller Opfer von Winnenden und Wendlingen", sagte der Bundespräsident. Er fügte hinzu: "Auch die Familie des Täters hat ein Kind verloren. Auch für sie ist eine Welt zusammengebrochen."
Über die Frage, was getan werden könne und müsse, um solche Schrecken zu verhindern, habe er viele Gespräche geführt mit Psychologen und mit Experten für Waffenrecht, mit Abgeordneten und Ministern, mit Medienfachleuten und Polizisten, sagte der Bundespräsident. Er forderte die Politik auf, das Waffenrecht weiter zu verschärfen. "Es kann auch viel geschehen - noch mehr als bisher - damit gefährdete Menschen nicht an Schusswaffen gelangen und Schulen und ähnliche Orte noch besser vor Anschlägen geschützt sind", betonte Köhler. Die jüngste Novellierung des Waffengesetzes durch den Bundestag sei ein Zeichen dafür, dass ein Umdenken begonnen habe.
Medienübergreifender Pressekodex
Köhler appellierte an die Gesellschaft, sich gemeinsam gegen eine drohende Verrohung zur Wehr zu setzen und Grenzen zu ziehen. Er forderte außerdem "klar definierte Berichterstattungsregeln" für die Medien bei solchen Gewalttaten. Detaillierte Berichterstattung über die Täter, ihre Motive und ihre Vorgehensweise rufe Nachahmer auf den Plan, warnte er. "Wir brauchen einen medienübergreifenden Pressekodex im Geist der Prävention", sagte das Staatsoberhaupt.
Ein Großteil der Gedenkfeier wurde von den Schülern der Albertville-Realschule gestaltet. So erinnerten sie an ihre getöteten Schulkameraden und Lehrerinnen, indem sie Steinplatten mit deren Namen und rote Rosen in einen Kreis legten. "Wir müssen noch immer jeden Tag mit den Folgen des 11. März leben", sagte ein Schüler. Rektorin Astrid Hahn dankte den Schülern für ihre Stärke. "Wir sind zusammen ein Jahr lang einen sehr schweren Weg gegangen." Auf dem Weg in eine gute Zukunft dürfe niemand zurückgelassen werden.
"Tief empfundenes Mitgefühl"
Die Kultusminister der Länder haben am Jahrestag den Hinterbliebenen, Freunden, Schülern und Lehrkräften ihr "tief empfundenes Mitgefühl" ausgesprochen. "Wir denken auch an alle diejenigen, die heute wieder an der Albertville-Realschule unterrichten und lernen und für die der Schulalltag sicher noch nicht wieder eingekehrt ist", erklärte der Präsident der Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle.
Amokläufe seien singuläre Ereignisse, die nicht symptomatisch für den Zustand in deutschen Schulen stünden. "Dennoch müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um solche Gewalttaten zu unterbinden", forderte Spaenle. Dies könne nicht allein durch die einzelne Schule geleistet werden, sondern bedürfe der Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppierungen.
Konsequenzen nach der Tat
Am 11.03.2009 um 9.33 Uhr hatte der 17-jährige Tim K. seine frühere Schule gestürmt und dort neun Schüler und drei Lehrerinnen erschossen. Anschließend tötete er auf der Flucht drei weitere Menschen, bevor er sich beim Schusswechsel mit der Polizei in Wendlingen selbst das Leben nahm. Die Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Als Konsequenz aus dem Amoklauf wurde das Waffenrecht verschärft. Außerdem haben Experten Empfehlungen zur Gewaltprävention vorgelegt, mit denen die Sicherheit an Schulen erhöht werden soll. In Winnenden ging aus einer Elterninitiative die "Stiftung gegen Gewalt an Schulen" hervor.
Seit dem Amoklauf sind die 600 Schüler in einer provisorischen Containerschule wenige Meter von der Realschule entfernt untergebracht. Nach einem Umbau und einer Erweiterung kann die Schule voraussichtlich ab Sommer 2011 wieder bezogen werden.
Autorin: Pia Gram (apn, epd, dpa, kna)
Redaktion: Ursula Kissel