Stimmung auf dem Anti-ACTA-Protest
12. Februar 2012Schließlich sind sie da. Um fünf vor zwölf sollte es losgehen, symbolisch, mit einer Mahnwache. Die Piratenpartei und die Bonner Jugendbewegung hatten zur Demonstration gerufen. Um zehn nach zwölf schließlich rollen junge, schwarzgekleidete Männer orangefarbene Flaggen aus. Verfroren reiben sie sich die Hände und blinzeln in die Bonner Frühlingssonne. Kaum einer ist über dreißig. Ihr Gegner an diesem Samstagmorgen heißt ACTA.
Das internationale Abkommen mit der Bezeichnung Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, soll die Ahndung von Urheberrechtsverstößen regeln. Es sei für das "dauerhafte Wachstum aller Wirtschaftszweige" notwendig, heißt es in der Präambel des Papiers. Die EU hatte dem Text zugestimmt, ihn jedoch zunächst nicht offen publiziert. Internationale Patente sollten durch ACTA grenzüberschreitend besser geschützt, virtuelle Urheberrechte effizienter sichergestellt werden können. Kritiker befürchten nun jedoch, dass Internetanbieter als Folge von ACTA damit beginnen könnten, den Datenverkehr ihrer Nutzer zu überwachen. Und genau damit greife ACTA in die digitale Privatsphäre ein, so der Vorwurf der jüngsten deutschen Partei, die sich qua Programm besonders der Netzpolitik verschrieben hat. Die "Piraten" und andere Datenschützer befürchten, dass das Abkommen die Internetzensur erleichtern würde.
Die Politik scheint einzulenken: In Polen und Tschechien war es zu Demonstrationen gekommen, bis die Ratifizierung gestoppt wurde. Auch in Deutschland soll ACTA "vorerst" nicht ratifiziert werden. Dies sei allerdings nur ein Aufschub, meinen die Veranstalter der Demonstrationen.
Guy-Fawkes-Masken als Symbol
Auf dem Bonner Kaiserplatz hissen vor allem Jugendliche gesellschaftskritische Plakate. Tausende sind es nicht geworden, aber immerhin ein guter Pausenhof voll. Informiert wurden sie über Flugblätter, Twitter, Facebook und über das Internetforum www.stoppacta.de. "Wir haben versucht, erst einmal ein Problembewusstsein zu schaffen", meint Bernhard Smolarz, der stellvertretende Vorsitzende der Bonner Piratenpartei. "Bei solchen abstrakten Themen ist das nicht immer leicht. Noch betrifft ACTA nur wenige, aber wenn sich das einmal ändert, ist es zu spät."
Langsam zieht die Gruppe durch die Bonner Innenstadt. Ein Plakat zeigt ein kunstvolles Graffiti, das Auge des Staates vor schwungvollen Schriftzeichen, andere fassen sich kurz: "Acta Stopp" oder "Occupy Bonn". Einige der Demonstranten tragen die berühmten Guy-Fawkes-Masken. Das Porträt des britischen Widerstandskämpfers ist zum Sinnbild für die Occupy-Wallstreet- und die Anti-ACTA-Bewegung geworden. Peter Fox' "Alles neu" wummert aus großen Boxen. "ACTA bedeutet die Umkehrung der Unschuldsvermutung: Plötzlich ist jeder Internetnutzer ein potentieller Täter, der überwacht werden muss", meint ein "Pirat". Auch der Mathematiker Nico will sich vor allem dagegen wehren, dass - qua ACTA - " jetzt jeder unter Generalverdacht" gestellt wird.
Besonders junge, netzaffine Menschen scheinen in der Anti-ACTA-Bewegung eine neue, unverbrauchte linke Strömung zu sehen. Nikolai, 19 Jahre alt, verteilt am Rand der Demonstration bunte Flugblätter. Der Azubi für Landschaftsbau engagiert sich gewerkschaftlich, geht zu einem politischen Lesekreis. Er kritisiert die gesellschaftlichen Eliten, fordert die Gleichberechtigung von Minderheiten und gibt sich kämpferisch. Man müsse endlich generell "gegen die Kapitalwirtschaft vorgehen", poltert der junge Mann. "Mit ACTA haben die Politiker einen Vertrag ausgetüftelt, der zu 80 Prozent den großen Konzernen nutzt, und nur zu 20 Prozent den Künstlern" - eine Bevormundung, die er nicht hinnehmen wolle.
Diskriminierung von Schwellenländern?
"Es ist nicht legitim, dass beispielsweise Saatgut unter das Patentrecht fällt", meint der 32-jährige Informatiker Christoph, "also etwas, das aus der Natur kommt." Mit ACTA könne die westliche Wirtschaft aber Schwellenländern bestimmte Produkte dauerhaft vorenthalten - unrechtmäßig, so sehen es die meisten Demonstranten in Bonn. Denn schließlich seien an der Aushandlung des Abkommens nur politische und wirtschaftliche Eliten, nicht aber Internet-Nutzer oder andere Betroffene beteiligt gewesen.
Bis zu 1000 Demonstranten sind in Bonn angekündigt worden, nur etwa 250 sind gekommen. Dennoch sind die Veranstalter zufrieden. Es sei nicht leicht, meint "Piraten"-Chef Bernhard, "technische Themen, die die virtuelle Welt betreffen" massenwirksam zu vermitteln. Bildhaft vergleicht er die Provider deshalb mit der Post: "Internetdienstleister könnten laut ACTA den privaten Datenverkehr überprüfen. In der realen Welt wäre das ja auch ein Verstoß gegen das Briefgeheimnis."
So oder ähnlich wird die ACTA auch an jeder Kreuzung den Passanten erklärt. Christine steht mit ihrem Mann auf dem Bürgersteig, beobachtet das Treiben und trinkt einen "Coffee to go" aus dem Pappbecher. Ob sie nun verstanden hat, worum es bei ACTA geht und welches Anliegen die Demonstranten verfolgen? "Nein, nicht ganz", lacht sie, "irgendwas mit Internetzensur? Aber ich finde es gut, wenn junge Leute für ihre Meinung auf die Straße gehen."
Autorin: Johanna Schmeller
Redaktion: Andreas Noll/Julia Mahncke