Straffreiheit für ruandische Kriegsverbrechen
23. Dezember 2011Im Zweifel für den Angeklagten. So lautete das Motto der Richter der Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofes, die Callixte Mbarushimana auf freien Fuß setzten. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Louis Moreno-Ocampo, wirft Mbarushimana unter anderem Mord, Folter, Vergewaltigung und andere Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung im Osten der Demokratischen Republik Kongo vor. Mbarushimana soll diese Taten 2009 in seiner Funktion als Generalsekretär der FDLR-Miliz angeordnet und verantwortet haben. Er wurde Ende 2010 in Paris verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert. Nun ist er am (Freitag) 23.12.2011 freigekommen.
Chefankläger Moreno Ocampo will Berufung einlegen
"Die Mehrheit der Vorverfahrenskammer betrachtet die vorgelegten Beweise als nicht ausreichend dafür, die Überzeugung des Chefanklägers zu stützen, dass Callixte Mbarushimana für bestimmte Verbrechen verantwortlich ist, die ihm vorgeworfen werden", erläutert Fadi El Abdallah, Sprecher des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag.
Chefankläger Louis Moreno Ocampo hat angekündigt, Berufung einlegen zu wollen gegen die Entscheidung. Bis zu seiner Festnahme Ende 2010 lebte Callixte Mbarushimana in Paris. Er ersetzte dort den FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka, der ein Jahr zuvor in Deutschland inhaftiert wurde und dem derzeit in Stuttgart der Prozess gemacht wird. Murwanashyaka und seinem Vertreter Straton Musoni wird vorgeworfen, die FDLR von Deutschland aus per Laptop und Handy koordiniert zu haben.
Die FDLR ist für Massaker im Ostkongo verantwortlich
Die Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas - kurz FDLR -, gelten als Nachfolgeorganisation der ruandischen Hutu-Armee und diverser Milizen. Sie waren 1994 für den Völkermord in Ruanda verantwortlich, bei dem mehr als 800.000 Tutsi und moderate Hutu ermordet wurden. Nach Ende des Völkermordes flohen sie in den Osten des Kongo und gründeten im Jahr 2000 die FDLR. Ihr Ziel ist, die Tutsi-Regierung unter Präsident Kagame in Ruanda zu stürzen. Dafür scheint ihnen jedes Mittel recht: Verschiedenen Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen zufolge ist die FDLR für unzählige Massaker, systematische Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen im Ostkongo verantwortlich.
Ein brisanter Fall also, in dem die Vorverfahrenskammer ihre Entscheidung gefällt hat. Allerdings, betont Fadi El Abdallah, Sprecher des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGh), hätten die Richter mit ihrer mehrheitlichen Entscheidung zur Freilassung von Callixte Mbarushimana keineswegs grundsätzlich die Vorwürfe gegen die FDLR entkräftet. "Die Richter haben ja nicht gesagt, dass es keine Verbrechen gegeben hat", unterstreicht er. "Sie haben sogar durchaus gesagt, dass es Grund genug gibt zu glauben, dass es Kriegsverbrechen gibt, die eventuell von der FDLR begangen worden sind. Aber mehrheitlich finden die Richter, dass man nicht davon ausgehen kann, dass Herr Mbarushimana zu diesen Verbrechen entscheidend beigetragen hat - zumindest nicht mit den Beweisen, die ihnen vorgelegt worden sind.“
Opfer in Angst und Schrecken
Ein Schock für die Klienten von Maître Ghislain Kabanga. Der in Paris ansässige Kongolese ist Anwalt von 95 Opfern von Angriffen der FDLR im Ostkongo. Sie haben ihm von Massenvergewaltigungen, Brandschatzung und anderen Gräueltaten berichtet. "Meine Klienten haben viel mitgemacht", betont Kabanga. "80 Prozent von ihnen mussten mitansehen, wie ihre Häuser zerstört wurden. Frauen, Männer, Kinder, Junge, Alte wurden vor den Augen ihrer Angehörigen vergewaltigt. Angehörige meiner Klienten wurden umgebracht, teils, als sie schliefen, massakriert, mit Messern oder anderen scharfen Gegenständen, mit Feuerwaffen. Andere verbrannten bei lebendigem Leib in ihrem Haus."
Seit der Entscheidung der Vorverfahrenskammer des Strafgerichtshofes lebten seine Klienten nun wieder in Angst und Schrecken, sagt Maître Kabanga. Sie fürchten, dass der freigelassende Callixte Mbarushimana, versuchen wird, Opfer und mögliche Zeugen einzuschüchtern. Morgens um 5 Uhr hätten sie ihn telefonisch aus dem Bett geklingelt, als sie von der Entscheidung am IStGh erfahren hätten. "Sie haben Angst, Panik regelrecht. Einer meiner Klienten fürchtet, dass Mbarushimana und seine Leute im Triumph zurückkommen und sie wieder angreifen und weitere Verbrechen verüben."
Bis zu seiner Verhaftung genoss Callixte Mbarushimana in Frankreich politisches Asyl. Dorthin wurde er auf eigenen Wunsch hin entlassen.
Autorin: Dirke Köpp
Redaktion: Katrin Ogunsade