Strategische Falle
2. Januar 2003Die Frage nach den nordkoreanischen Motiven ist relativ einfach zu beantworten: Zum einen handelt Pjöngjang aus Angst vor einem militärischen Schlag der USA. In Nordkorea geht die Furcht um, Washington könne, einmal des irakischen Problems entledigt, die eingeleitete Großoffensive gegen die "Schurkenstaaten" gleichsam nahtlos im Nordosten Asiens fortsetzen.
Strategischer Faustpfand
Eine zweite Erklärung für die nordkoreanische Eskalation des Atomstreites ist eher politischer Natur: Das ersehnte Ziel aller Pjöngjanger Diplomatie ist seit eh und je ein politischer Ausgleich mit der einzigen Führungsmacht. Die nordkoreanischen Herrscher räsonieren, dass es so oder so zu einem späteren Zeitpunkt zu Verhandlungen mit Washington kommen muss. Diese will das Regime mit einer möglichst starken Ausgangsposition antreten; ein eigenes nukleares Potential eignet sich dabei vortrefflich als strategisches Faustpfand.
Wenn es um die Frage geht, wie die Welt auf Pjöngjangs anhaltende Provokationen reagieren soll, gehen die Meinungen aber auseinander. Besonders schädlich ist der politische Dissens zwischen den USA und ihrem wichtigen Verbündeten Südkorea: Seoul tritt seit Jahr und Tag für eine Politik des Ausgleichs mit dem kommunistischen Nachbarstaat ein und ist auch nach bekannt werden des illegalen nordkoreanischen Atomprogramms keinesfalls gewillt, die Netze der grenzübergreifenden Zusammenarbeit mit dem Norden zu kappen.
Wirtschaftliche Sanktionen
Washington hingegen fordert eine härtere Gangart. Zwar bekräftigen Vertreter der US-Administration in allen Tonlagen, ein militärischer Präventivschlag gegen Nordkorea komme nicht in Betracht. Aber Washington will das Gespräch mit Nordkorea erst dann wieder aufnehmen, wenn Pjöngjang zuvor sein Atomprogramm auf Eis gelegt hat. Als Druckmittel schweben den Amerikanern dabei umfassende wirtschaftliche Sanktionen vor. Das geht den Südkoreanern zu weit.
Höchst unerfreulich aus amerikanischer Sicht ist in diesem Zusammenhang der Ausgang der südkoreanischen Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen. Diese gewann mit Roh Moo-hyun (sprich: No Mu Hjun) ein Politiker, der in der Vergangenheit durch anti-amerikanische Parolen aufgefallen war. Roh ist auch ein entschiedener Vertreter der Schule, nach der der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea allein durch mehr Kooperation und Kommunikation gelöst werden könne. Wirtschaftliche Boykott-Maßnahmen passen ganz und gar nicht in dieses Konzept.
Nordkorea gefährlicher als der Irak
Nicht nur in Seoul stößt die von Washington favorisierte Politik der wirtschaftlichen Abschottung Nordkoreas auf Ablehnung. Wenig Zuspruch hat die amerikanische Isolationsstrategie bislang in Japan, China und Russland erfahren, den wichtigsten politischen Akteuren der Region. Für Präsident Bush wird die nordkoreanische Krise zunehmend auch innenpolitisch zu einer Herausforderung. Der frühere US-Außenminister Warren Christopher stimmte in den wachsenden Chor derjenigen ein, die die nordkoreanische Bedrohung für wesentlich gefährlicher halten als das irakische Arsenal.
Nicht nur besitzt Pjöngjang - anders als Bagdad - nach US-amerikanischen Erkenntnissen bereits über atomare Waffen. Nordkorea hat nachweislich auch die Raketen, um diese ins Ziel zu bringen. Diese Waffen stellen eine große Bedrohung für die Nachbarländer dar. Sie gefährden zudem die etwa 100.000 US-Soldaten, die in diesem Teil der Welt, vor allem in Südkorea und Japan stationiert sind.
USA wollen eine politische Lösung
Für Präsident Bush ist die Eskalation der nordkoreanischen Krise auch deshalb hoch peinlich, da er erst im Dezember eine neue nationale Strategie verkündet hat, die verhindern soll, dass Atomwaffen in die Hände von so genannten Schurkenstaaten gelangen. Nordkorea hat nun die Ineffektivität der Strategie auf dramatische Weise zu Tag gebracht. Eine militärische Antwort auf die nordkoreanische Provokation schließen die USA aus.
Aus Respekt vor der geballten - auf die Nachbarländer gerichtete - Feuerkraft Pjöngjangs konzedieren die Amerikaner, nur eine politische Lösung sei denkbar. Den Weg zum Verhandlungstisch hat Washington indes mit dem kategorischen Verlangen nach nordkoreanischen Vorleistungen in Form einer Aufgabe des Atomprogramms einstweilen verstellt. Die Amerikaner werden ein großes Quantum diplomatischen Geschicks benötigen, um ohne Gesichtsverlust aus der Korea-Krise herauszukommen.