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Die Bedeutung des Lufthansa-Urteils

Andreas Becker10. September 2015

Ein Gericht hat den Streik der Lufthansa-Piloten verboten. Das könnte eine juristische Wende einleiten, die Arbeitskämpfe in Deutschland verändert, glaubt der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing von der Universität Bonn.

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Prof. Gregor Thüsing
Prof. Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität BonnBild: Uni Bonn/ Crull

DW: Das hessische Landesarbeitsgericht hat den Streik mit der Begründung untersagt, dass es den Streikenden weniger um den Tarifvertrag gegangen ist als um die Unternehmensstrategie der Lufthansa. Warum ist diese Unterscheidung für das Gericht so wichtig?

Prof. Thüsing: Nach der deutschen Rechtsprechung dürfen Tarifverträge nicht in den Kernbereich der Unternehmerfreiheit eingreifen. Das heißt konkret, der Arbeitgeber soll selbstständig und ungebunden vom Einfluss der Gewerkschaften über ganz bestimmte ökonomische, unternehmerische Sachverhalte entscheiden können, ob er zum Beispiel Outsourcing betreibt oder Betriebe dauerhaft einstellt. Das betrifft das Wesen seines Unternehmertums so zentral, dass man sagt, hier kann die Gewerkschaft durch Streik keinen Einfluss erzwingen. Aber genau das ist der Fall, wenn es bei dem Streik eigentlich darum geht, das Billigmarkenkonzept der Lufthansa zu verhindern oder einzuschränken.

Die Richter der ersten Instanz haben das anders gesehen.

Ein Streik, den man einmal durch eine gerichtliche Verfügung verboten hat, den wird eine Gewerkschaft so leicht nicht wieder anwerfen können, wenn sie vielleicht in zweiter Instanz doch Recht bekommt. Es ist daher gar nicht so verwunderlich, dass das Arbeitsgericht in erster Instanz etwas vorsichtiger entschieden hat.

Sind nun für die Gewerkschaft alle juristischen Mittel erschöpf?

Die Gewerkschaft kann jetzt nur noch im sogenannten Hauptsacheverfahren gegen das Verbot vorgehen. Wenn etwa die Lufthansa wegen der bereits durchgeführten Streikmaßnahmen Schadenersatz fordern würde, dann würde in einem längeren Prüfungsprozess, wahrscheinlich bis zum Bundesarbeitsgericht, geprüft werden, ob dieser Streik wirklich rechtswidrig war oder nicht.

Wie bewerten Sie das Streikverbot durch das Gericht?

Das, worauf sich das Gericht berufen hat, galt immer schon. Aber Gerichte hatten bislang meist nicht den Mut, das eigentliche Streikziel so genau herauszuarbeiten. Jetzt hat man ernst gemacht und gesagt: Ein faules Ei verdirbt das Omelette, eine rechtswidrige Forderung macht den ganzen Streik rechtswidrig. Insofern kann man auch von einer mutigen Entscheidung sprechen. Gewerkschaften werden in Zukunft viel genauer darauf achten müssen, mit welchen Forderungen sie ins Rennen gehen.

Welchen Einfluss könnte das Urteil auf zukünftige Arbeitskämpfe haben?

Ich glaube nicht, dass dadurch die Bereitschaft oder die Fähigkeit der Gewerkschaften zu Arbeitskämpfen bedeutend eingeschränkt wird. Aber die unterschiedlichen Entscheidungen der Instanzen in einer so wichtigen Frage zeigen, dass es sinnvoll wäre, wenn der Gesetzgeber einmal genau sagt, was gilt und was nicht, was es also mit verdeckten Streikforderungen auf sich hat und wie die Gerichte damit umgehen sollen. Momentan gibt es in Deutschland keine solche gesetzgeberische Regelung, die Arbeitskampfregeln werden bisher nur von den Richtern herausgebildet, direkt aus dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber hatte bisher nie den Mut dazu, denn er müsste sich entweder mit der Arbeitgeberseite anlegen oder mit der Gewerkschaftsseite, und beides will man nicht. Dabei würde eine klare gesetzliche Regelung der Rechtssicherheit dienen und damit letztlich sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgebern.

Sie sehen in dem Urteil also keinen Schritt in Richtung einer Entmachtung von Gewerkschaften?

Ich glaube, der 13. Streik einer Funktionselite wird vom Gericht nicht mit ähnlicher Freundlichkeit angefasst wie der erste Streik von Arbeitnehmern, die für den ganzen Betrieb streiken. Dies könnte mit dazu beigetragen haben, dass bestehende Rechtsregeln nun einmal scharf gestellt wurden. Einen generellen Richtungswechsel hin zu einer Beschneidung von Gewerkschaftsmacht liegt darin sicherlich nicht.

Gregor Thüsing ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.

Das Interview führte Andreas Becker.