Streit ums Wasser im Nahen Osten
14. Februar 2014Diesen Winter hat es in Israel und im Westjordanland bislang etwa viermal geregnet. Der Wasserpegel des Sees Genezareth beträgt derzeit 15 Zentimeter. Vergangenes Jahr war er um die gleiche Zeit zwei Meter hoch. Die ganze Region wartet auf Regen, der überhaupt nur in den Monaten von November bis April fällt, um die Quellen, Flüsse und Wasserspeicher für den Rest des Jahres mit dem so notwendigen Wasser zu füllen.
Neben vielen anderen Streitfragen im Nahen Osten ist vor allem das Wasser ein Politikum, weil es davon grundsätzlich zu wenig gibt und es zudem zwischen rund sieben Millionen Israelis, rund zwei Millionen Palästinensern in der Westbank und etwa einer weiteren Million im Gazastreifen aufgeteilt werden muss.
Ob es dabei gerecht zugeht, ist eine Frage, die sich nicht nur Martin Schulz stellt. "Wie kann es sein, dass Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen dürfen und Palästinenser nur 17?", fragte der Präsident des EU-Parlaments in der Knesset.
Die Antwort darauf wird je nach politischer, religiöser und ethnischer Zugehörigkeit anders ausfallen. So war etwa die Empörung vor allem unter den Mitgliedern der rechten Parteien groß. Naftali Bennett, Chef der national-religiösen Partei "Unser jüdisches Haus" bezichtigte Schulz der Lüge und verlangte eine Entschuldigung. Und Premier Benjamin Netanjahu warf Schulz vor, er hätte zuerst die Fakten prüfen müssen, bevor er solche Behauptungen aufstelle.
Verschmutzung und fehlende Infrastruktur in der Westbank
Wie aber sehen die Fakten aus? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Wasserversorgung allein in den Händen der israelischen Regierung liegt. Das hat vor allem geografische Gründe: Große Wasserspeicher wie der See Genezareth befinden sich auf israelischem Gebiet. Seit Jahrzehnten wird hier nach Ansicht von Umweltschützern viel zu viel Wasser entnommen. Die Folge: Der Jordan, der den See von den Golanhöhen her speist, wird hernach zum Rinnsal. Für die Dörfer in der Westbank weiter flussabwärts bleibt kaum etwas übrig. Dennoch ist es den Palästinensern verboten, auf eigene Faust neue Brunnen zu bohren. Ein Umstand, der vor allem den Landwirten im Süden der Westbank zunehmend die Existenz raubt.
Hinzu kommt eine immense Verschmutzung - zum Großteil wegen fehlender Kläranlagen und schützender Maßnahmen auf palästinensischer Seite, sagt Gidon Bromberg, Vorsitzender von Friends of the Earth Middle East (Foeme). Die Umweltorganisation ist in Israel, im Westjordanland und in Jordanien vertreten und holt seit 20 Jahren alle Seiten an einen Tisch, um Lösungen für den Schutz des Wassers und eine gerechte Verteilung zu finden. Ursache für die jetzige Misere sei auch das Oslo-Abkommen von 1995. Das Übergangsabkommen wurde niemals fortgeschrieben. Daher sei es "hinsichtlich der Einwohnerzahlen sowie der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung seit 17 Jahren überholt", bemängelt Bromberg.
Eine Flut von Zahlen
Wer herausfinden will, wie viel Wasser pro Tag Israelis und Palästinensern jeweils zusteht, stößt auf eine Flut von Zahlen, die je nach Herkunft verschieden sind. Nach Angaben der israelischen Wasserbehörde stehen der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland und im Gazastreifen 52 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr zur Verfügung - mehr als in den Osloer Verträgen vorgesehen sei. Im Gegenzug "stehle" die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) Wasser, indem sie seither 300 ungenehmigte Brunnen habe bohren lassen. Des Weiteren fehle es an Abwassersystemen und es gehe Wasser verloren, weil die Leitungen auf palästinensischem Gebiet marode seien und nichts für deren Unterhalt getan werde.
Die PA wiederum beruft sich auf die Übereinkunft in den Verträgen, wonach es erlaubt sei, selbst Brunnen zu bohren und so eine Jahresmenge von 118 Millionen Kubikmeter zu fördern. Diese Menge sei jedoch um 20 Millionen Kubikmeter gesunken. Der Grund: ausgetrocknete Quellen und das Verbot Israels, frühere Brunnen wieder instand zu setzen.
Menschenrechtsgruppen legen wiederum andere Zahlen vor. Nach Angaben von Betselem verbrauchen Palästinenser im Westjordanland täglich etwa 73 Liter. Den Pro-Kopf-Verbrauch in Israel beziffern die Menschenrechtler auf 211 bis 242 Liter - mindestens drei Mal so viel wie in den Autonomiegebieten. Und - so schreibt die linksliberale, israelische "Haaretz" - "rund 113.000 Palästinenser in etwa 70 Gemeinden haben nicht einmal einen Wasseranschluss" und seien auf Wasserlieferung mit Lastwagen angewiesen. Das sei natürlich teurer. Besonders zynisch sei dies, so die Zeitung, weil eine nahe gelegene israelische Siedlung meist problemlos über eine Wasserleitung versorgt werde. In vielen Haushalten im Süden der Westbank werde die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Mindestmenge von 100 Litern aufgrund fehlender Infrastruktur nicht erreicht.
Politischer Zirkus
Foeme legt ebenfalls Zahlen vor - "auch wenn das Thema komplex ist", wie Bromberg einschränkt. Nach Erhebungen der Umweltorganisation verbrauchte ein israelischer Haushalt im Jahr 2011 rund 250 Liter pro Kopf, während es in der Westbank etwa 70 Liter waren. "Nicht eingerechnet sind etwa weitere 30 Prozent, die einfach nur aufgrund der schlechten Infrastruktur verloren gehen", so der Leiter von Foeme. Insofern sei die Zahl, die man Martin Schulz genannt habe, nicht richtig, "aber dass Israelis viermal mehr verbrauchen im Verhältnis stimmt dann wieder".
Der Streit um Zahlen bringe jedoch niemanden weiter, so Bromberg. "Es ist schade, wenn etwas, das so wichtig für die Menschen ist, zu einem politischen Zirkus verkommt." Anstatt das Wasser und dessen Schutz als "politische Geisel" zu benutzen, gehe es darum, zu handeln. Auch im Rahmenplan für einen künftigen Frieden sollte den Palästinensern "ein gerechter Zugang zum Wasser" gewährt werden. "Andererseits müssen so schnell wie möglich die weitere Verschmutzung und der Missbrauch von Wasser in der Region gestoppt werden." Viel Zeit bleibe dafür nicht mehr, warnt Bromberg.