Polens Streit mit Brüssel
28. Februar 2017Im Streit zwischen der Europäischen Kommission und der polnischen Regierung um die Frage der Rechtsstaatlichkeit ist kein Ende in Sicht. "Die Stimmung ist sehr aufgeheizt", sagt ein mit dem Thema befasster Diplomat in Warschau. Die neueste Entwicklung in dem Streit sind scharfe Worte polnischer Politiker über Marek Prawda, den Vertreter der Kommission in Warschau.
Prawda repräsentierte früher Polen in Berlin und in Brüssel, bis der erfahrene Diplomat nach dem Regierungswechsel in Warschau abberufen wurde. Wenig später wechselte er die Seiten: Die EU entsandte ihn nun als ihren Vertreter nach Warschau.
Polens Regierung sieht "Verleumdung"
Jetzt greift Polens nationalkonservative Regierung den Diplomaten scharf an. Außenminister Witold Waszczykowski lud ihn zum Gespräch ins Ministerium und warf ihm vor, einen "verleumderischen" Bericht nach Brüssel geschickt zu haben. Darin sei davon die Rede, Richter, die gegen die Veränderungen in der Justiz protestierten, würden verfolgt. Auch würden manche polnischen Richter durch die Beschädigung von Bremsen und Reifen an ihren Fahrzeugen durch unbekannte Täter eingeschüchtert. Die Behörden, soll es in diesem Bericht heißen, seien nicht in der Lage, die Täter zu ermitteln. "Unbekannte Täter" sind in Polen in schlimmer Erinnerung: So hießen in der Zeit der Diktatur vor 1989 vom Staat gelenkte Mitarbeiter der Geheimpolizei.
Die EU-Vertretung in Warschau kommentiert die Kritik an ihrem Bericht nicht. Zu widerrechtlich veröffentlichten Details aus vertraulichen Berichten nehme man nicht Stellung, heißt es dort auf Anfrage. Der Landesrat für das Justizwesen (KRS), ein Vertretungsorgan der Richter aller Ebenen, teilte jedoch mit, es gebe zunehmend Drohungen unbekannter Personen gegen Richter.
Brüssel sucht nach neuen Lösungen
Hintergrund des neuen Konflikts ist der seit mehr als einem Jahr dauernde Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Polen. Brüssel sieht zahlreiche widerrechtliche Eingriffe etwa in die Kompetenzen des Verfassungsgerichts und hatte Warschau zum letzten Mal aufgefordert, bis Mitte Februar zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Warschau schickte daraufhin ein Antwortschreiben nach Brüssel. Darin weist die polnische Regierung offenbar jede Kritik zurück.
Jetzt könnte Brüssel die Anwendung von Artikel 7 der EU-Verträge vorschlagen. Dieser sieht vor, dass bei einer "schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung" der im EU-Vertrag verankerten Werte einem Mitgliedsland auch die Stimmrechte entzogen werden können. Presseberichten zufolge will jedoch Vize-Kommissionschef Frans Timmermans zunächst einen anderen Weg versuchen: Er wolle das Thema Anfang nächster Woche vor den Europäischen Rat bringen, heißt es. Ein Politiker der polnischen Regierungspartei PiS nannte Timmermans' Vorgehen einen "ideologischen Privatkrieg" eines "Linken" gegen Polens rechte Regierung wegen einer "angeblichen Gefahr für die Demokratie in Polen".
Gipfel der Visegrád-Gruppe in Warschau
So wird sich der Streit in die Länge ziehen; kaum jemand wagt eine Prognose, wie lange das noch gehen könnte. Die Auseinandersetzung dürfte auch Gegenstand eines Treffens der Regierungschefs der Visegrád-Staatengruppe sein. Sie werden an diesem Donnerstag in Warschau zusammenkommen. Ein weiteres Thema wird dabei die Lebensmittelqualität sein. Mehrere Länder der Vierergruppe wollen verhindern, dass Konzerne im Osten der EU unter denselben Marken schlechtere Produkte verkaufen als im Westen.
Derweil diskutieren Experten in Polen, wie die Zukunft ihres Landes in der EU aussehen werde. Der Politologe Olaf Osica kritisierte den Missbrauch der EU-Thematik für innenpolitische Zwecke: "Die Opposition erschreckt die Menschen damit, Polen könne wegen Verstoßes gegen die Regeln und das Recht aus der EU fliegen. Das Regierungslager entfaltet dagegen die Vision von einer Reform der Europäischen Verträge, die einen Zerfall der EU verhindern solle." Beide Tricks gingen an der Realität vorbei und verhinderten eine "sachliche Diskussion über die wahren Herausforderungen".
Experte: "Große Risiken für die EU"
Das Jahr 2017 bringe in der EU große Risiken mit sich, so Osica. Gefährlich für Polens Interessen seien nicht nur Wahlsiege der Populisten, auch der linke Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron in Frankreich sei bedenklich: "Das ‚loi Macron' (Macron-Gesetz) soll polnische und andere Arbeitskräfte unter dem Vorwand des Sozialdumpings in Frankreich vom Arbeitsmarkt fegen. Als Mittel sind gigantische Geldstrafen und sogar Gefängnisstrafen vorgesehen."
Dennoch müsse man jetzt versuchen, die Vorgänge in Europa als "natürlichen Prozess zu verstehen, zu begreifen und zu zähmen. Solange sie im Rahmen demokratischer Spielregeln stattfinden, gibt es auch Hoffnung auf Korrekturen."