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Streit über Genozid-Gesetz zwischen Frankreich und der Türkei

29. Februar 2012

Das französische Verfassungsgericht hat ein Gesetz verworfen, das die Leugnung des Völkermordes an Armeniern unter Strafe gestellt hätte. Es widerspreche dem Recht auf freie Meinungsäußerung.

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Gefangene Armenier im Jahr 1915 auf einem ihrer langen Fußmärsche im Gebiet der heutigen Türkei (Bild: AP)
Bild: AP

Die diplomatische Beziehung zwischen der Türkei und Frankreich stand auf dem Spiel bei diesem Urteil des französischen Verfassungsgerichts. Für den Fall nämlich, dass das Gesetz, das die Leugnung des Völkermordes an rund 1,5 Millionen christlichen Armeniern zwischen 1915 und 1917 unter Strafe stellen sollte, in Frankreich tatsächlich rechtskräftig geworden wäre. Aber das Verfassungsgericht kam zu dem Schluss, dass die von der Regierung am 23. Januar beschlossene Gesetzes-Fassung nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung vereinbar sei.

Der türkische Außenminister, Ahmet Davutoglu, gab sich in einer ersten Reaktion zufrieden. "Ich hoffe, dass alle Seiten daraus lernen", sagte er in Ankara. Seine Regierung werde nun prüfen, ob gegen Frankreich verhängte wirtschaftliche und militärische Sanktionen aufgehoben werden könnten. Der türkische Botschafter in Paris wollte den Konflikt jedoch noch nicht vollständig beigelegt sehen. Die französische Regierung habe gegen die türkisch-französischen Interessen gehandelt. "Das werden wir nicht vergessen", sagte Engin Solakoglu.

Türkei führt Massensterben auf "ungünstige Umstände" zurück

Die Türkei, Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs, ist der Auffassung, dass die Armenier in den Wirren des Ersten Weltkriegs ums Leben gekommen sind. Sie bezeichnen die Deportationen als "kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen“, die notwendig geworden seien, da die Armenier damalige Kriegsgegner der Osmanen unterstützt und ihrerseits Massaker an Muslimen begangen hätten. Die Todesfälle führen sie auf ungünstige Umstände und vereinzelte Übergriffe zurück.

Türken protestieren in Paris gegen Gesetz zur Leugnung des Völkermords an Armeniern (Bild: dapd)
Türken protestieren in Paris gegen das GesetzBild: AP

Entsprechend protestierte Ankara seit Monaten vehement gegen ein französisches Genozid-Gesetz. Die Türkei sah darin vor allem ein wahltaktisches Manöver der Regierung Sarkozy, um sich im Kampf um die Präsidentschaft die Stimmen der knapp 500.000 armenisch-stämmigen Franzosen zu sichern. Auch sein Herausforderer, François Hollande, hatte unlängst bekräftigt, sich im Falle seiner Wahl um die Belange der Armenier besonders kümmern zu wollen.

Sarkozy kündigt neuen Anlauf an

Sarkozy beauftragte unterdessen seine Regierung, einen neuen Gesetzestext auszuarbeiten, der die Einwände des Verfassungsgerichts berücksichtigt. Dazu wird es wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Mai und den Parlamentswahlen im Juni allerdings wohl nicht kommen. Das erklärte der Chef der konservativen Regierungspartei UMP, Jean-François Copé, am Mittwoch (29.02.2012) in Paris, und äußerte sein Bedauern. Präsident Sarkozy kündigte an, sich demnächst mit Vertretern der armenisch-stämmigen Bevölkerung in Frankreich treffen zu wollen.

Sarkozy und Armeniens Präsident Sarkisian am Genozid-Denkmal in Eriwan (Bild: AP)
Sarkozy und Armeniens Präsident Sarkisian am Genozid-Denkmal in EriwanBild: AP

Der türkische Außenminister Davutoglu warnte Sarkozy vor einem erneuten Anlauf für ein Gesetz zur Leugnung von Völkermorden. Das wäre sonst eine "Kriegserklärung" an das französische Recht und an den französischen Rechtsstaat, sagte er dem Sender TRT. In Frankreich haben Ende Januar mehr als 60 Abgeordnete verschiedener Parteien zwei Anträge beim Verfassungsrat eingebracht, weil sie das geplante Gesetz für verfassungswidrig halten. Bei einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldbuße bis zu 45.000 Euro sollte es nicht nur die Leugnung des Völkermords an den Armenieren, sondern auch an anderen Genoziden untersagen – darunter den Holocaust im Dritten Reich.

Diplomatie verhindert klare Einordnung der Geschehnisse

Seit 1965 haben 22 Staaten die durch den osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915 bis 1917 offiziell als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 anerkannt. Einige weitere, darunter Deutschland, vermeiden in diesem Zusammenhang den Begriff "Völkermord". So wich die deutsche Bundesregierung in einer Stellungnahme zu einer Kleinen Anfrage der Linken im Bundestag im Januar 2010 aus: "Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Forschungen sollte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorbehalten bleiben. Dabei ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Aufarbeitung der tragischen Ereignisse von 1915/16 in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder Türkei und Armenien ist."

Autor: Tobias Oelmeier
Redaktion: Johanna Schmeller