Kehrtwende bei Stromautobahn
2. August 2014Der Termin bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg war lange geplant, und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte den brisanten Satz fast beiläufig: "Natürlich wird der jetzige Korridor nicht kommen. Wenn der Staat versuchen würde, das mit gesetzlichen Mitteln durchzusetzen, haben wir jahrelanges Theater und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht."
Mit dem Korridor meint der Vizekanzler den bisher fest geplanten Verlauf der neuen Gleichstromtrasse, die von Sachsen-Anhalt nach Bayern führen soll - sollte, muss man nun sagen. 450 Kilometer lang hätte die Trasse werden sollen, breite Schneisen wären durch schöne Wälder geschlagen worden. Der Protest in den betroffenen Regionen war massiv und letztlich erfolgreich: Die Regierung will jetzt nach Alternativen suchen. Ein Sieg des Bürgerwillens über die Politik?
Protest auch von der CSU
Die Trasse ist, zusammen mit zwei weiteren geplanten Leitungen weiter westlich in Deutschland, wesentlicher Teil der Energiewende. Deutschland will seinen Anteil an erneuerbarem Strom stetig ausbauen. Den gibt es vor allem in Norden, wo der Wind am stärksten weht. Der Süden hat die meiste Industrie, also muss der Öko-Strom über große neuen Leitungen von Nord nach Süd gebracht werden. Für mehr Wind-und Sonnenstrom sind die meisten Bürger, für mehr Klimaschutz auch, riesige Strommasten aber will niemand vor der Haustür haben.
Das erkannte bei Zeiten auch die bayerische CSU: Ministerpräsident Horst Seehofer schloss sich dem Bürgerprotest an und wetterte gegen die Ost-Trasse. "Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir diese wunderschöne Landschaft beschädigen oder zerstören würden", sagte Seehofer schon im April. Und fügte hinzu: Mit der Leitung werde gar kein Ökostrom transportiert, sondern dreckiger Braunkohlestrom aus Sachsen-Anhalt.
Regierung prüft Alternativen
Was plant die Regierung jetzt? Erst einmal wird ein alternativer Trassenverlauf geprüft, wo genau, ist noch unklar. Weite Teile der Leitungen sollen in die Erde verlegt werden, was sie Sache zwar massiv verteuert, aber den Bürgerunwillen abschwächt. "Mann kann nicht ein kleines Dorf mit einer 380-Kilovolt-Freileitung einkreisen", sagte Gabriel jetzt dazu, der genau dieses Argument der Bürger lange ignoriert hatte. Und die Leitung soll künftig möglichst nicht in Sachsen-Anhalt beginnen, sondern weiter oben in Norddeutschland, in Mecklenburg - Vorpommern. Dort könnte sie dann mit einem Seekabel etwa mit Norwegen verbunden werden: Weht einmal kein Wind in Deutschland, könnte Ökostrom aus Skandinavien eingespeist werden.
Der jetzt aufgegeben Leitungsverlauf war lange Jahre geplant und hatte viele politische Instanzen überwunden. Beobachter bewerteten Gabriels Einlenken deshalb zwiespältig: "Die Entwicklung ist ein schlechtes Signal für die gesamte Energiewende. Der Umbau des Energieversorgungssystems hat ja erst gerade richtig begonnen. Wenn Rückzieher á la Gabriel zum Standard werden, wird das Projekt noch teurer, noch schwerer kalkulierbarer. Das kann niemand wollen, auch Gabriel nicht", kommentierte das "Handelsblatt" aus Düsseldorf.