Ständige Bedrohung an den Grenzen
17. August 2012Die Attacke kommt unerwartet. Die Polizisten eines Reviers im ägyptischen Teil der Stadt Rafah sitzen zu Tisch beim allabendlichen Fastenbrechen des Ramadan. Im Schusswechsel mit den islamischen Extremisten sterben Anfang August 16 Polizeibeamte. Die Sicherheitslage auf der Sinai-Halbinsel ist prekär. Nachdem sich die Attacken im letzten Jahr häuften, wird auf israelischer Seite der etwa 300 Kilometer langen Grenze ein Hochsicherheitszaun errichtet.
Veränderte Sicherheitslage birgt Gefahren
30 Jahre bereitete die Südgrenze Jerusalem kaum Sorgen, heute sind die negativen Auswirkungen des arabischen Frühlings vor Israels Haustür angekommen. Noch bekennt sich die neue ägyptische Regierung zum 1979 abgeschlossenen Friedensvertrag. Der jüdische Nachbar verfolgt die Entwicklung mit Argusaugen. Der Bau der neuen Grenzbefestigungen soll in etwa sechs Monaten abgeschlossen sein. "Leider ist keine Grenze zu 100 Prozent sicher", kommentiert der Pressesprecher der israelischen Armee Major Arye Shalicar. "Es wird immer Versuche geben sie zu durchdringen. Wir entwickeln neue Technologien und auch die Terroristen."
In Ägypten ist der Umsturz vollzogen, im Nachbarland Syrien in vollem Gange: De facto ist dort ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Israel hält die Golan-Höhen, die es 1967 im Sechs-Tage-Krieg von Syrien erobert hatte, besetzt. Diplomatische Beziehungen zwischen den Ländern, die sich offiziell immer noch im Kriegszustand befinden, gibt es nicht. Jerusalem kann nur abwarten und ist besorgt, dass Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen fallen und gegen die eigene Zivilbevölkerung eingesetzt werden könnten.
Verteidigungsminister Ehud Barak denkt laut über eine militärische Intervention nach, um das Arsenal an Chemie- und Biowaffen in diesem Fall zu sichern. Von der Hochebene des Golan beobachten die israelischen Späher die Entwicklung im Nachbarland, noch ist der Krieg nicht an der Grenze angekommen. "Wir hoffen, dass es ruhig bleibt im Norden", mehr möchte Major Shalicar zur angespannten Lage an diesem Grenzabschnitt nicht sagen.
Krieg an mehreren Fronten droht
Syrien ist Alliierter Irans. Sollte es zu einem Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen kommen, ausgeführt von Israel oder den USA, könnte die Situation eskalieren. Direkt hinter der anderen Grenze im Norden sitzt die Terrororganisation Hisbollah im südlichen Libanon, die ebenfalls vom Iran unterstützt wird und Israel immer wieder attackierte. Experten vermuten, dass die Hisbollah ihr Waffenarsenal seit dem letzten Krieg mit Israel im Sommer 2006 auf 50.000 Raketen aufstockte. Die Extremisten werden kaum ruhig halten bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit dem Iran. Ein Krieg an mehreren Fronten droht.
Der 33-jährige Bezalel Raviv aus Tiberias am See Genezareth kann sich gut an die Ereignisse vor sechs Jahren erinnern: "Ich war in Mailand und schwamm gerade im Pool, als ich einen Anruf meiner Schwester erhielt. Sie erzählte mir, dass Tiberias unter Raketenbeschuss stand." Er packte seine Koffer und machte sich auf den Weg in die Heimatstadt, obwohl ihm sein Bruder davon abriet, da manche Straßen in den Norden gesperrt waren. Doch Raviv wollte bei seiner Familie sein, ihnen in der schweren Stunde beistehen. "Ich sprach mit meinem Neffen, der damals neun Jahre alt war, und realisierte, dass er kein Kind mehr war. Das erschütterte mich. Ich erkannte, dass ich dorthin gelangen müsse ohne mich selbst in Gefahr zu bringen." Letztendlich tragen die Menschen die Konsequenzen von politischen und militärischen Entscheidungen.
Kein Frieden in Sicht
Israels Grenzen sind fragil. Das kleine Land mit knapp acht Millionen Einwohnern ist einer ständigen Bedrohung ausgesetzt und eine Lösung der Konflikte im Nahen Osten ist in naher Zukunft nicht abzusehen. "Tagtäglich spielen wir alle möglichen Szenarien durch", erklärt Major Shalicar. Die israelische Armee, die für die Verteidigung der Grenzen verantwortlich ist, müsse stets auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. "Es ist kein Geheimnis, dass wir in dieser Region viele Feinde haben, die uns überrennen würden, wenn sie die Chance dazu bekämen."