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PolitikNahost

Sudan: Demokratie am Scheideweg

Kersten Knipp | Cathrin Schaer | Emad Hassan
4. Januar 2022

Nach dem Rücktritt von Premier Abdullah Hamdok ist die Lage im Sudan offen. Hat die Demokratiebewegung noch eine Chance? Oder setzt das Militär seine Machtansprüche durch? Ein Kompromiss scheint unmöglich.

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Proteste Sudan
In Omdurman, der Zwillingsstadt der Hauptstadt Khartum, entzündeten Demonstrierende am 4. Januar ReifenBild: AFP

Die Protestbewegung im Sudan macht mobil. Am vergangenen Sonntag war Ministerpräsident Abdullah Hamdok zurückgetreten, nun rufen mehrere Bewegungen zu Demonstrationen gegen das Militär auf. An diesem Dienstag gingen erneut Tausende in der Hauptstadt Khartum auf die Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um die Demonstrierenden auseinanderzutreiben. Augenzeugen zufolge waren zahlreiche Soldaten und Polizisten sowie paramilitärische Einheiten rund um den Präsidentenpalast und das Armeehauptquartier stationiert.

Zwei Jahre lang war Hamdok das zivile Gesicht eines Landes, das seit dem Putsch Ende Oktober 2021 faktisch von den Militärs regiert wurde. Doch nun sah er offenbar keine Möglichkeiten mehr, den Sudan in Richtung eines demokratischen Rechtsstaats zu steuern. Darum hatte er am Sonntag sein Amt niedergelegt.

Sudan Khartum | Protest gegen Militärjunga, Ausschreitungen
Tränengas im Einsatz gegen Demonstrierende in KhartumBild: AFP/Getty Images

Es habe sein Bestes gegeben, um das Land vor dem Abgleiten in die Katastrophe  zu bewahren und weitere Opfer zu vermeiden, begründete er in einer Fernsehansprache seinen Schritt. Trotz aller Bemühungen sei ein demokratischer Konsens nicht zustande gekommen. Hamdok verwies auf die Konflikte zwischen den "Komponenten des Übergangs" - damit meinte er die zivilen und militärischen Mitglieder der Übergangsregierung. Nun befinde sich der Sudan an einem "gefährlichen Wendepunkt". Dieser bedrohe das Überleben des Landes.

Inzwischen hat General Abdel Fatah al-Burhan, als Vorsitzender des Souveränen Rates und Generalkommandant der sudanesischen Streitkräfte der starke Mann des Sudans, sich für die rasche Ernennung eines neuen Premiers ausgesprochen. Das Land brauche nun eine Technokratenregierung.

Unterdessen warnten die Europäische Union, die USA, Großbritannien und Norwegen, sie würden "keinen Premier und keine Regierung unterstützen", bei deren Ernennung die Zivilgesellschaft nicht einbezogen wurde.

Unruhige Monate nach dem Putsch

Der Ökonom Abdullah Hamdok, der unter anderem für die Vereinten Nationen gearbeitet hat, war nach dem Sturz des langjährigen autoritär regierenden Machthabers Omar al-Baschir im August 2019 zum Ministerpräsidenten der Übergangsregierung ernannt worden - eines Gremiums, das als historische Chance auf dem Weg zu einer Demokratie im Sudan gesehen wurde.

Ende Oktober 2021 hatte die sudanesische Armee unter Führung von General al-Burhan Hamdok und mehrere seiner Minister unter Hausarrest gestellt und den Ausnahmezustand verkündet.

Sudan Khartoum | Premierminister zurückgetreten | Abdullah Hamdok
War er nur das zivile Gesicht einer Militärregierung? Ministerpräsident Abdullah HamdokBild: Mohamed Khidir/Xinhua/Imago Images

Frieden und Sicherheit im Sudan seien bedroht gewesen, so hatte al-Burhan diesen Schritt damals begründet. Zugleich hatte er versichert, die Armee werde den demokratischen Kurs fortsetzen, bis die Macht an eine zivile gewählte Regierung übergehe. Auch die Wahlen im Juli 2023 sollten noch stattfinden.

Ende November setzen die Militärmachthaber Hamdok dann wieder ein, da sie es nicht geschafft hatten, eine ihnen genehme zivile Regierung zu bilden und weil gleichzeitig der Druck aus dem Ausland wuchs. Hamdok und Burhan unterzeichneten ein Abkommen, nach dem der Premier ein ziviles Kabinett zusammenstellen durfte. 

Als nun Hamdok am Sonntag endgültig das Handtuch warf, gingen trotz massiver Militärpräsenz Tausende von Demonstranten auf die Straße, um eine zivile Regierung zu fordern.

"Kaum eine andere Wahl als Rücktritt"

Hamdoks Rücktritt kam für manche Beobachter nicht überraschend. Er habe kaum eine andere Wahl gehabt habe, sagt Christine-Felice Röhrs, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Khartum. Nach der Einigung mit den Militärs im November hatte Hamdok erklärt, er wolle weiteres Blutvergießen in dem durch den Putsch hochgradig aufgewühlten Land verhindern. "Eben das ist ihm aber nicht gelungen", so Röhrs im DW-Interview. "Das Militär hat seine Reaktion auf die Massenproteste noch eskaliert." Es habe das Internet und das Telefonnetz gesperrt und die Nilbrücken mit Containern blockiert, um die Bewegungsfreiheit der Demonstranten einzuschränken. Zudem habe es seit Beginn der Proteste im Oktober auch den Tod von mehr als 50 Demonstranten in Kauf genommen.

Sudan politische Krise | Proteste in Khartum
Protest gegen Militärgewalt: Sudanesen mit den Bildern getöteter Demonstranten, 30.12.2021Bild: AFP/Getty Images

Hamdok hatte sich außerdem bemüht, eine breite zivile Front hinter seiner Regierung zu versammeln. Aber viele Menschen hätten ihm vorgeworfen, mit dem Abkommen mit dem Militär im November den vorangegangenen Putsch zu legitimieren, sagt Röhrs. Entsprechend gering sei die Unterstützung gewesen. "All das dürfte ihn zu der Erkenntnis gebracht haben, dass sein politischer Handlungsspielraum ausgeschöpft ist und er zurücktreten sollte."

"Zivilbevölkerung den Putschisten unterworfen"

Die Unterstützung Hamdoks in der Protestbewegung sei zuletzt enorm zurückgegangen, betont die junge Sudanesin Fatima. Sie engagiert sich in der Demokratiebewegung, möchte ihren ganzen Namen aber aus Angst vor Repressionen nicht öffentlich nennen.

Zwar habe sie selbst es für gut gehalten, dass Hamdok im November wieder an die Macht kam. "Aber wie viele andere auch war ich der Meinung, dass wir ein besseres Abkommen hätten bekommen können, wenn er nur ein paar Tage länger gewartet und etwas mehr Druck gemacht hätte", so Fatima gegenüber der DW. "So aber wurden das Kabinett und die Zivilbevölkerung im Wesentlichen den Putschisten unterworfen."

Das Militär als einigendes Feindbild 

Offen ist, wie es jetzt weitergeht im Sudan. Entscheidend sei, ob sich die vielen, oft untereinander zerstrittenen prodemokratischen Gruppen unter dem Eindruck von Hamdoks Rücktritt dazu entschließen könnten, sich zu einen und ein Gegengewicht zum Militär zu bilden, erklärt Christine-Felice Röhrs von der Ebert-Stiftung.

Sudan politische Krise | Abdel Fattah al-Burhan
Der Machthaber: General Abdel Fatah al-Burhan, Vorsitzender des Souveränen Rats und de facto StaatsoberhauptBild: Mahmoud Hjaj/AA/picture alliance

Tatsächlich habe der Rücktritt Hamdoks die Dinge in gewisser Weise vereinfacht, glaubt die Aktivistin Fatima. "Es dürfte nun viel einfacher sein, eine einheitliche zivile Front zu haben, da wir jetzt alle nur noch wollen, dass das Militär geht." Die jungen Sudanesen seien fest entschlossen, das Land voranzubringen, das Militär in die Kasernen zurückzudrängen und eine demokratische Gesellschaft aufzubauen. "Das hat eine Eigendynamik, die niemand aufhalten kann. Wir sind jetzt wieder voll im Revolutionsmodus. Und der größte Teil der Bevölkerung steht hinter uns."

Wenig Chancen für eine Zivilregierung

Dass sich im Sudan eine ausschließlich zivile Regierung etablieren kann, hält der Politologe Theodore Murphy vom European Council on Foreign Relations für unwahrscheinlich. "Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft eine solche Forderung für realistisch hält. Darum dürfte sie darauf drängen, dass die ursprüngliche Partnerschaft zwischen Militärs und Zivilisten wieder hergestellt wird - auch, um zu verhindern, dass das Militär Hamdoks Rücktritt ausnutzt, um den Staatsstreich zu vollenden." 

Es bestehe allerdings die Gefahr, dass das Militär pro forma einige Zivilisten einsetze, die jedoch tatsächlich vom Militär dominiert werden. "Allerdings dürfte sich die Protestbewegung darauf kaum einlassen. Sie würde in diesem Fall weiter demonstrieren."

Eine Forderung nach einer ausschließlich zivilen Regierung sei allerdings riskant, sagt Christine-Felice Röhrs - das Militär könnte sie als Steilvorlage für einen weiteren Putsch nehmen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika