Super Mario und die neue Normalität
9. April 2016Der Ort könnte kaum schöner sein. Wundervoll gelegen am Comer See unweit von Mailand liegt die Villa d‘ Este in einem zehn Hektar großen Landschaftsgarten. Seit 2001 ist der Renaissancepalast Uncesco Weltkulturerbe. Unauffällig patrouillieren die Boote der italienischen Wasserschutzpolizei auf dem See. Die Motoren sind leise. Die hochkarätigen Gäste sollen bei ihren Gesprächen nicht gestört werden.
Der Wirtschaftsberater von US-Präsident Obama ist da, ein Mitglied der europäischen Zentralbank, ein EU-Kommissar, Unternehmenschefs, Politiker, Banker und Top-Ökonomen aus China, Europa, den USA und Japan. 130 Personen, exklusiv eingeladen von Italiens Nr.1-Think Tank "The European House - Ambrosetti".
Valerio De Molli, Managing Partner von Ambrosetti, ist stolz darauf, dass sein Netzwerk so erfolgreich ist. Er sieht es irgendwo zwischen dem Global Institute von Mc Kinsey und dem Weltwirtschaftsforum. Zum Nachdenken und zur Diskussion will man anregen, Lösungsvorschläge zu wirtschaftlichen Problemen aufzeigen. Gerade wurde eine Studie präsentiert, wonach Italien dringend die Digitalisierung vorantreiben müsse, um die Schattenwirtschaft auszutrocknen.
Es gibt weniger schöne Konferenzorte als die Villa d'Este, aber für die glitzernde Sonne auf dem Comer See haben die Teilnehmer nur einen kurzen Blick während der Kaffeepause übrig. Drinnen wird heftig diskutiert. Über den Zustand der Weltwirtschaft, die europäische Krise, die Probleme Chinas und darüber, wie es mit der Weltwirtschaft wieder aufwärts gehen kann. Es sind nur wenige Journalisten zugelassen, und diese müssen sich an die sogenannten "Chatham House Rules" halten, das heißt, es darf nicht direkt zitiert werden, und wenn, dann nur mit ausdrücklicher Genehmigung. Damit soll gewährleistet werden, dass offen diskutiert wird.
Italiens Ex-Premier hat Sorgen
Von April 2013 bis Februar 2014 war Enrico Letta italienischer Ministerpräsident. Heute lebt er in Paris und blickt kritisch auf sein Heimatland und Europa. Italienischen Journalisten gibt er keine Interviews, er will sich nicht zu kritisch über Matteo Renzi, seinen Nachfolger als Ministerpräsident, äußern. Im Gespräch mit der DW fordert Letta eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurozone. "Wir müssen erreichen, dass die Eurozone steuerlich und politisch integriert wird. Das ist der einzige Weg, Europa und die Eurozone positiv zu verändern. Die europäische Union wird weiter existieren, aber die Eurozone muss viel enger zusammen wachsen. Und das ist eine Aufgabe für Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich." Lettas Idee eines europäischen Finanzministers findet allerdings bei Jens Spahn, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, keine Zustimmung: "Das wir tatsächlich einen Finanzminister haben in Europa, der den anderen sagt, wie sie ihren Haushalt aufzustellen haben, halte ich politisch für schwer durchsetzbar."
Super-Mario kann es allein nicht richten
Für Letta ist klar, dass Europa mehr Wirtschaftswachstum braucht. Die Lösung könne aber nicht allein von der europäischen Zentralbank kommen. "Mario Draghi und die EZB taten, was nötig war, und Mario Draghi ist wirklich Super-Mario, er hat die europäische Wirtschaft gerettet. Die monetäre Lockerung oder expansive Geldpolitik war entscheidend, aber es ist nicht die Aufgabe von Mario Draghi und der EZB, wie er ja auch selber richtig sagt, die europäische Wirtschaft anzukurbeln."
Einflussreicher US Banker sieht Geldpolitik kritisch
Die Rolle der Zentralbanken und Dominanz in der öffentlichen Wahrnehmung sieht auch ein anderer kritisch. Jacob A.Frenkel ist heute Chairman von JP Morgan Chase, der größten US-Bank. Er war neun Jahre lang Chef der israelischen Zentralbank. Gegenüber der DW betont er, dass die Zentralbanken keinesfalls alle wirtschaftlichen Probleme angehen könnten.
"Die meisten der heutigen Probleme können nicht mit Geldpolitik gelöst werden. Wir haben demographische Fragen, bei den Sparanlagen oder allgemeine Spannungen. Für solche Aufgaben müssen die Regierungen ihren eigenen politischen Instrumenten finden."
Die neue Normalität
Aber was sind denn unsere Probleme? Am Comer See spricht man von der "neuen Normalität" (the new normal). Das heißt niedriges Wachstum und geringere Produktivität und damit auch weniger Beschäftigung. "Ist das wirklich die neue Normalität oder müssen wir eine Lösung finden, damit sich die Wirtschaft doch besser entwickelt. Wahrscheinlich ist beides richtig", sagt Jacob Frenkel mit einem Achselzucken.
Eine offene und schonungslose Analyse kann zumindest helfen, ebenso wie der Blick über den Tellerrand. Das versuchen sie hier am Comer See. Wenn Chinas Top-Ökonom mit dem Chef von Bitcoin spricht und europäische Banker mit dem Wirtschaftsberater von US-Präsident Obama, dann hat Valerio de Molli von Ambrosetti sein erstes Ziel erreicht: den Wissenstransfer.