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Super-Virus: kein Grund zur Panik

Brigitte Osterath6. März 2014

Ein Riesenvirus war 30.000 Jahre im sibirischen Permafrost eingefroren. Vermutlich schlummern dort noch viele andere Viren. Aber zur Panik gebe es keinen Anlass, sagen deutsche Wissenschaftler.

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Packeis vor der Küste der russischen Bolschewik Insel (Sibirien). (Foto:Hinrich/dpa).
Das größte Virus, das je gefunden wurde, verbrachte 30.000 Jahre im Kälteschlaf in SibirienBild: picture-alliance/dpa

Sie sind größer als alle Viren, die man kennt - und bringen damit ein Dogma durcheinander. Denn bis vor wenigen Jahren hat man Viren immer für winzig klein gehalten. Nicht aber die Riesenviren: Sie sind mit einem Mikrometer Durchmesser tausendmal so groß wie andere Viren und sind damit sogar unter dem Lichtmikroskop sichtbar.

Ein neues, bisher noch unbekanntes Riesenvirus hatte sich 30.000 Jahre im ewigen Eis versteckt. Es ist bei einer Bohrung mit den es umgebenden Erdschichten an die Oberfläche gelangt. Französische Forscher vom "Centre National de la Recherche Scientifique" in Marseille haben das Virus im Labor aufgetaut und wieder reaktiviert: Sie beobachteten wie es sich in einem Reagenzglas vermehrte und eine Amöbe infizierte, beschreiben sie im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Altersbestimmung bei Viren

Viren sind keine Lebewesen: Sie vermehren sich nicht selbstständig, und haben keinen eigenen Stoffwechsel. Sie schleusen nur ihr Erbmaterial in eine Wirtszelle ein, deren Zellapparat dann umprogrammiert wird und Viruspartikel in großer Zahl herstellt.

Da Viren nicht leben, können sie auch nicht sterben - wie viele Zeitungen in ihren Schlagzeilen schrieben.

Das Alter des Virus bestimmten die Forscher über die Erdschichten, die mit dem Viruspartikel auf der gleichen Höhe lagen. Diese wiesen ein Alter von 30.000 Jahren auf - nachweisbar über gängige Standardmethoden. Daher schließen sie darauf, dass auch das Virus etwa 30.000 Jahre alt sein müsste.

Riesenvirus, EM-Aufnahme (Foto: Julia Bartoli/Chantal Abergel/IGS/CNRS-AMU/dpa).
So sieht es aus: das neu entdeckte Virus unter dem ElektronenmikroskopBild: picture-alliance/dpa

Kein Grund zur Panik

Zwar ist das neu entdeckte Riesenvirus tausendmal so groß wie gewöhnliche Viren - aber das bedeutet keinesfalls, dass es auch tausendmal so gefährlich ist. "Besonders für den Menschen gefährliche Viren - wie das Hepatitis-B-Virus - sind winzig. Aus der Größe kann man keine besondere Gefährlichkeit ableiten", sagt Thomas Mertens von der Uniklinik Ulm und Präsident der Gesellschaft für Virologie im DW-Interview.

Tatsächlich gibt es derzeit keinerlei Hinweise darauf, dass das Riesenvirus dem Menschen gefährlich werden könnte, erklärt Mertens. Es befällt nur Wirbellose, darunter Einzeller wie Amöben und Pantoffeltierchen.

Krankheitserreger aus dem ewigen Eis

"Durch das Auftauen des Permafrostes sind zukünftige Bedrohungen für die menschliche und tierische Gesundheit aber nicht ausgeschlossen", schreiben Erstautor Matthieu Legendre und seine Kollegen. Sie spekulieren, dass in Zukunft durch die Erderwärmung weitere Virusarten aus dem Permafrost zum Vorschein kommen könnten, die dann nicht nur Amöben befallen.

Mertens kann diese Möglichkeit ebenfalls nicht ausschließen. "Prinzipiell ist so etwas möglich." Zumindest bei Grippeviren habe es einen ähnlichen Fall gegeben, erzählt er, bei den Opfern der Spanischen Grippe: "Bei der Exhumierung von Leichen, die im Permafrost gelagert wurden, hat man Teile des Virus molekularbiologisch nachgewiesen." Auch Krankheitserreger können demnach im Permafrost konserviert werden.

Krankenlager bei Spanischer Grippe (Foto: National Museum of Health and Medicine, Armed Forces Institute of Pathology, Washington, D.C., United States).
Bei Leichen aus Zeiten der Spanischen Grippe konnten Forscher Grippeviren nachweisenBild: National Museum of Health and Medicine, Armed Forces Institute of Pathology/Washington D.C./United States

Aber gleichzeitig weist Mertens darauf hin, dass in der Biologie sehr vieles möglich sei - aber trotzdem extrem unwahrscheinlich.

"Viren kommen nahezu überall vor und sind nur im Ausnahmefall Krankheitserreger", sagt auch Virologe Gerhard Jahn vom Universitätklinikum Tübingen. "Alleine im Ozean sind unzählige Viren und niemand hat eine schlüssige Idee was dies bedeutet."

Viren mögens kalt

Dass das Virus 30.000 Jahre im Permafrost lag und nach dem Aufwecken trotzdem noch immer infektiös war, erstaunt Thomas Mertens nicht: "Wenn wir Viren für lange Zeit aufbewahren wollen, dann benutzen wir dafür sogar flüssigen Stickstoff" - und damit Temperaturen von 196 Grad Celsius unter dem Nullpunkt.

Königspinguine (Foto: picture alliance/wildlife).
Königspinguine mögen Kälte, Viren auchBild: picture-alliance/Wildlife

Kälte macht Viren nichts aus - im Gegenteil: "Viren mögen es grundsätzlich kalt, dunkel und feucht." Um sie zu inaktivieren, braucht es hingegen Sonne, UV-Licht, Trockenheit und Hitze.

Nur indirekt vom Klima abhängig

Fast alle Lebewesen auf unserem Planeten haben sich auf ganz bestimmte klimatische Bedingungen spezialisiert: Kamele leben in der Wüste, Königspinguine in der Antarktis, es gibt Bakterien, die sich in heißen Tiefseequellen besonders wohlfühlen oder sich sogar in Atomkraftwerken besonders gut vermehren.

Viren hingegen sind nur von einem abhängig: ihrem Wirt. "Viren sind auch hochspezialisiert, sie können nämlich immer nur bestimmte Zielzellen infizieren", sagt Mertens. Daher können sie sich nur in einem Gebiet auf der Erde verbreiten, in dem sich auch ihre Wirte wohlfühlen, ob es nun Amöben, Menschen oder Mücken sind.

Durch eine Erderwärmung kann es also dazu kommen, dass Krankheitserreger Gebiete erobern, in denen sie bisher unbekannt waren, sagt Mertens - einfach weil sich ihre Wirte in wärmeren Gefilden wohler fühlen.