Tourismustrends 2016
9. März 2016Susanne Eckes ist Referentin am Zukunftsinstitut, einem privaten Think Tank der Zukunftsforschung in Deutschland, und Autorin der Publikation "Tourismusreport 2015".
Deutsche Welle: Die Mehrzahl der Urlauber informiert sich mittlerweile über Soziale Medien, Blogs und Bewertungsportale über Reiseziele. Ihre Entscheidung zu buchen treffen viele aber wie bisher im Reisebüro. Wie werden Touristen das 2030 machen?
Susanne Eckes: Ich glaube nicht, dass Reisebüros aussterben. Denn Informieren ersetzt nie Beratung und Service. Beides bieten Reisebüros - online und offline. Das wird man in der Zukunft gar nicht mehr so unterscheiden. Garantiert wird sich die Zahl derer weiter erhöhen, die sich im Internet weiter über ihre Reiseziele und -wünsche informieren. Die reisefreudige ältere Zielgruppe verfügt über immer mehr Zugang zu Tablets und Smartphones und die jungen sowieso. 41Prozent der deutschen Bevölkerung haben im Internet auch schon eine Reise gebucht. Und ich glaube, die Zahl wird weiter steigen - Bahnreisen, Flüge, das müssen ja gar keine verrückten Sachen sein. Es wird zum Alltag gehören. Spannender wird es dann bei den Pauschalreisen: Möchte ich das in einzelnen Bausteinen mühsam abends online zusammensuchen oder doch lieber komplett über ein Reisebüro online buchen? Wenn man sich auf Kompetenzen verlassen kann, macht man das auch zukünftig sicher gerne.
Globetrotter, Individualreisende, All-inclusive- oder Strandurlauber: Gibt es die alten Urlaubstypen noch? Welche neue Spezies ist in Sicht?
In absoluten Zahlen hat sich nicht so viel verändert, etwa Strandurlaub in Spanien ist bei Deutschen immer noch sehr beliebt. Ein neues Phänomen ist hingegen der "Normtrotter". Die Bezeichnung beschreibt am ehesten den übergeordneten gesellschaftlichen Wandel, nämlich dass 0815-Pauschalreisen eine Zeit lang verpönt waren. Dann kam der Individualtourismus auf, das war chicer, das haben aber nicht alle gemacht. Und jetzt sehen wir eine Vermischung von beidem: Man möchte das Gefühl individueller Erlebnisse vor Ort oder individueller Behandlung statt standardisiertem Urlaub haben. Ich kann etwa nach Schweden reisen, ohne einen anstrengenden, selbstgeplanten Backpacker-Urlaub machen zu müssen. Stattdessen werde ich komfortabel durch Skandinavien geführt, bekomme alles vorher gebucht und muss mich nicht mehr vorab oder vor Ort um alle Einzelheiten kümmern. Nichtsdestotrotz habe ich aber das Gefühl einer individuellen Erlebnisreise - auch wenn der Absicherungsmodus wie bei einer Pauschalreise ist.
Wie kommen Sie auf die Bezeichnung "Normtrotter"?
Das Wort steht für "Norm", also Durchschnitt und "Trotter" von Globetrotter. Es ist aber auch angelehnt an die Fashionbewegung "Normcore": Man trägt die simpelsten Sachen wie blaue Jeans und einfaches weißes T-Shirt, ohne tausend Accessoires - also Vereinfachung als Gegenreaktion zu dem wahnsinnigen Individualisierungstrend.
Welche neuen Phänomene können Sie bei Reisenden noch beobachten?
Früher haben nur die gut betuchteren, älteren Reisenden ihre Kinder beziehungsweise Enkelkinder mit auf Reisen genommen, etwa auf Kreuzfahrten. Das kommt jetzt in der Mitte der Gesellschaft an und wird zum Trend. Geschuldet auch der Tatsache, dass Familien heute oft an verschiedenen Orten leben und sich nicht so oft sehen. "Multigenerational travel" ist vor allem in den USA schon stark mit Zahlen belegt. Was den gesellschaftlichen Wandel allgemein anbelangt, stehen die Vorzeichen gut, dass es zum "multigenerational travel" auch hier zukünftig mehr zu sehen und zu hören gibt.
Stichwort USA: Dort brummen Festivals als neue Form des Kurzurlaubs.
In den USA, aber auch in Europa sind Festivals aktuell ein Modephänomen. Dabei geht es um kurzfristige Gemeinsamkeit: Man kommt zusammen, tauscht Erlebnisse aus, fühlt sich kurzzeitig miteinander verbunden. Das ist ein typischer Trend in der vernetzten Generation. Dazu gehört auch eine große Freiwilligenkultur, etwa was die Organisation der Festivals angeht. Der Reiz ist das Abtauchen in eine Parallelwelt, räumlich und zeitlich begrenzt, die komplett der eigenen Gesinnung entspricht oder etwas Neues, Experimentelles verspricht. Beispielsweise beim "Burning Man Festival" in Nevada: Alle verkleiden sich, es werden Phantasie-Fahrzeuge gebaut und das mitten in der Wüste. Die Gemeinschaft ist dabei der Hauptevent. Und die Zahlen steigen: 1994 kamen 2000 Besucher, 2004 35.000, 2014 66.000 zum "Burning Man".
Europa ist laut der weltweiten Tourismusorganisation UNWTO das beliebteste Reiseziel global - mit sinkender Tendenz: Kamen 1980 noch 64 Prozent aller Touristen nach Europa, waren es 2013 nur noch 52 Prozent. Wie wird sich das bis 2030 verändern und wer hat die Nase dann vorn?
Ganz klar ist Asien der Gewinner. Das liegt einerseits daran, dass die Europäer Asien für sich entdeckt haben. Aber auch viele Asiaten reisen in der eigenen Region - dank des wirtschaftlichen Aufschwungs in ihrem Land. Die UNWTO prognostiziert für 2030 eine Steigerung auf 30 Prozent für Asien und den Pazifikraum und nur noch 41Prozent der internationalen Ankünfte für Europa. Ich bin bei solchen Zukunftsprognosen allerdings immer etwas vorsichtig, weil sich manchmal die Vorzeichen ganz schön schnell ändern. Ich denke aber, China wird stark bleiben, weil dort viele Menschen mittlerweile zur Mittelschicht gehören und auch individueller reisen möchten.
Die Chinesen haben den Reiseweltmeister Deutschland seit zwei Jahren überholt. Ihr Lieblingsziel ist Europa in der Gruppenreise. Wird das so anhalten?
Laut aktueller Statistik einer Marketingagentur kommen 9 von 10 Chinesen enttäuscht von ihrer Europa-Reise zurück. Sie wollen nicht mehr wie 0815-Reisende behandelt werden, sondern auch hier sind Themen wie Wellness und der eigene Geschmack gefragt - gerade bei den jüngeren. Ganz im Sinne des "Normtrotters". In Hotels wünschen sich die chinesischen Individualreisenden zum Beispiel Tee oder Nudelsuppe auf dem Zimmer oder eine Frühstücksabteilung für chinesisches Frühstück und chinesisches Fernsehen. Regionen in Europa tun sich hier nicht hervor, eher bestimmte Hotelgruppen.
Herausforderung Klimawandel: Inseln gehen unter, Polkappen schmelzen. Jetzt hat die UNWTO 2017 zum Jahr des nachhaltigen Reisens erklärt. Ist nachhaltiger Tourismus eine Lösung?
Ich glaube, nachhaltig verreisen im Sinne von den CO2-Fußabdruck gering halten ist derzeit leider kein Treiber. Aber Nachhaltigkeit muss wichtig werden. Wie kann man ohne schlechtes Gewissen verreisen? Denn wir wollen ja trotzdem reisen. Dafür müssen innovative Ideen gefunden werden. Es gibt Beispiele wie das Volunteering, wo Touristen in ihrem Urlaub der Natur und dem Menschen vor Ort helfen. Aber unser Wunsch, in unberührte Natur zu reisen, geht meist auf Kosten der Natur.
Sie sprechen in Ihrer Publikation in diesem Zusammenhang vom Trend "Zero Waste". Könnten Sie das bitte erläutern?
Wir müssen uns als Teil der Natur sehen und in ganzen Kreisläufen denken. In der Natur gibt es keinen Müll, dort fließt alles wieder in den Kreislauf ein. Der Umweltforscher Michael Braungart nennt das in seinem neuen Buch "intelligente Verschwendung", auf englisch "cradle to cradle". Und das kriegen wir noch nicht wirklich hin. Wir trennen ein paar Sachen und verwenden sie ein, zweimal wieder, Upcycling, Downcycling, aber dann ist Schluss. Darüber dürften sich auch die Hotels Gedanken machen, weil sie geschlossene Kreisläufe haben, in denen sie das mal erproben könnten.
Welche Beispiele gibt es denn schon, wo das Zero-Waste-Prinzip in den Tourismus einfließt?
Im Moment gibt es vor allem Zero-Waste-Restaurants. Die versuchen sich alles selbst herzustellen, mit lokalen Anbietern zusammen zu arbeiten, Verpackungen wegzulassen. Ein ganz anderes Beispiel ist eine Sightseeing-Tour in Kerala in Indien, auf der man unter anderem ein allein von Frauen organisiertes Zero-Waste-Zentrum besucht. Dort wird alles, was nicht mehr gebraucht wird, hingebracht. Die Menschen vor Ort sortieren die Sachen, verwenden sie wieder und verkaufen sie sehr erfolgreich - auch an Hotels. Hotels lassen dort sogar mittlerweile produzieren. Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass jegliche Art von Abfall wiederverwertbar gemacht wird.
Zero-Waste-Tourismus - ein Trend für 2030?
Ich glaube nicht, dass man Zero-Waste-Urlaub machen wird. Urlaub ist vor allem Sehnsucht, ich möchte das erleben, wozu ich im Alltag nicht komme. Aber die Frage ist doch: Wie kann man dem Menschen das schlechte Gewissen nehmen? Ich glaube, wir müssen ganz stark in Innovationen in diesem Sinn denken.
Was ist für Sie der verrückteste denkbare Reisetrend der Zukunft?
Kopter im Tourismus, also Drohnen. Erst gab’s das Selfie, dann den Selfiestick und zukünftig fliegt eben die Drohne mit, um einen beim Mountainbiken zu filmen. Oder eine Drohne begleitet mich im Urlaub und schneidet mir dann einen Film davon zusammen. Psychologisch ist das gut möglich, denn die Leute stellen sich selbst gerne dar und der Selfiestick ist nicht unendlich lang. Und auch, dass man mit Drohnen in Regionen oder auf Ausgrabungen blickt, die nicht zugänglich sind, wird sicher ein Teil der Zukunft im Tourismus werden.