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'Die da Oben - wir da Unten'

Das Interview führte Pablo Walden6. Mai 2007

Bei G8-Gipfeln geht es auch um die Inszenierung. Wie wichtig ist Symbolik? Und werden auch negative Symbole vermittelt? Ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli.

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Ulrich Sarcinelli
Ulrich SarcinelliBild: Ulrich Sarcinelli

DW-WORLD.DE: Vor dem G8-Gipfel Anfang Juni ist weniger von Inhalten die Rede als vom Umbau des Tagungsortes Heiligendamm. Ist es für die gastgebende Bundeskanzlerin kritisch, wenn das Bild der Öffentlichkeit von Sicherheitsvorkehrungen und Tagungskosten dominiert wird?

Ulrich Sarcinelli: Die Debatte über die Kosten halte ich für typisch deutsch. Jeder Gastgeber will sich und sein Land von der besten Seite zeigen. So etwas kostet schlicht Geld und man lässt es sich in jeder Hinsicht etwas kosten. Die Möglichkeit, weltweit eine Nation und eine spezielle Region zu präsentieren, hat einen großen Werbeeffekt. Insofern muss man aufpassen, dass man nicht zu kleinkariert diskutiert.

Der Bürger wird aus Heiligendamm ausgesperrt. Hat das Auswirkungen auf die öffentliche Meinung?

Eine wichtige Frage ist, wie das Treffen selbst tatsächlich abläuft: Ob es gelingt, den Eindruck einer hermetisch abgeschotteten Veranstaltung, bei der es keinen Kontakt zum normalen Leben, zur politischen Alltagswelt der Menschen gibt, durch eine entsprechende Veranstaltungsdramaturgie, durch entsprechende Gesten, Inszenierungen und Symbole abzuwenden.

Steht die Symbolik bei einem G8-Gipfel etwa im Vordergrund - vor möglichen Ergebnissen?

Die Frage ist, wie substanziell die Ergebnisse sind. Da gibt es zunächst einmal messbare Ergebnisse in Abkommen oder in bestimmten Stellungnahmen, die in der Regel vorher schon diplomatisch ausgehandelt wurden. Das ist gleichsam der Nennwert des Ereignisses. Die Gefahr besteht, dass je geringer die eigentliche politische Substanz eines solchen Treffens ist, desto stärker so etwas wie Ersatzpolitik im Vordergrund steht: Die Inszenierung, der bloße Schein des Politischen. Aber generell muss man aufpassen, dass man symbolische Politik nicht gleichsetzt mit Ersatzpolitik oder einem Placebo. Alles politische Handeln hat immer zwei Dimensionen: Eine substanzielle und eine darstellende. Die Frage ist eben welche Beziehung diese zueinander haben, wie stark der Symbolwert auf den tatsächlichen Nennwert des Ereignisses verweist

Was symbolisiert ein G8-Gipfel?

Zum einen natürlich die Bedeutung der beteiligten Nationen. Es wird deren Kooperationsbereitschaft verdeutlicht und die besondere Rolle der beteiligten Akteure - vor allem der Staats- und Regierungschefs - hervorgehoben. Je nach Funktion, Rolle und aktueller politischer Konstellation kann Unterschiedliches erreicht werden. Der Gastgeber oder im aktuellen Falle die gastgebende Kanzlerin kann dabei besondere Akzente setzen, indem sie den Rahmen vorgibt und politische Initiativen starten kann.

Der G8-Gipfel erscheint manchem als Symbol für die Arroganz der Macht.

Ja, dieser Eindruck kommt auf. Es ist ein exklusiver Gipfel, das heißt der Kreis derjenigen die beteiligt sind, der Staatsvertreter, Staats- und Regierungschefs ist in der Tat sehr eingegrenzt. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, was für ein Verhältnis haben eigentlich diese Industriestaaten zu den Staaten die nicht beteiligt sind. Hinzu kommt, dass die wachsende Bedeutung nichtstaatlicher Akteure bei solchen Treffen noch nicht hinreichend in Organisation und Ablauf zum Ausdruck kommt. Insgesamt existiert dadurch eine polarisierende Wahrnehmung: Die da Oben - Wir da Unten. Daneben erweckt natürlich schon der in den letzten Jahren enorm gewachsene Sicherheitsaufwand den Eindruck, dass sich hier etwas Abgekapseltes - von der Bevölkerung Isoliertes - abspielt. Das schürt zusätzlich Ressentiments.

Ist der Anteil des Symbolischen in der Politik in den letzten Jahren gewachsen?

Ich würde diese These nicht unterstützen. Unser modernes Mediensystem und insbesondere die Bildmedien vermitteln uns zwar den Eindruck, als sei politisches Handeln in hohem Maße symbolisches Handeln. Aber man muss wissen, dass symbolische Politik schon immer betrieben wurde: Wenn man sich etwa das Hofzeremoniell mittelalterlicher Regime, von neuzeitlichen Monarchien oder auch die bürgerschaftlichen Bräuche traditionsreicher Städte anschaut, dann erkennt man seit Jahrhunderten eingeübte hochgradig ritualisierte Praktiken, Symbolisierungen und inszeniertes Verhalten. Symbolische Politik hat es also schon immer gegeben.

Worin besteht denn der Unterschied zur symbolischen Politik heute?

Der Unterschied zu heute ist die Reichweite solcher Darstellungsweisen. Früher war symbolische Politik in der Regel einer Elite, einem Hofstaat, ausgewählten Adligen und nur in Ausnahmefällen zu besonderen Anlässen dem gemeinen Volk zugänglich. Heute ist symbolische Politik gleichsam demokratisiert: Jeder kann sie wahrnehmen. Dabei wird die Art und Weise der Inszenierung und Ritualisierung, wird also symbolische Politik nicht nur von den handelnden Akteuren bestimmt, sondern in hohem Maße durch die Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie beeinflusst. Es gibt eine wachsende Konkurrenz um das knappe Gut Aufmerksamkeit. Das führt nicht selten dazu, dass mit möglichst spektakulärem Handeln seitens der Politik oder entsprechend dramatisierender Darstellung seitens der Medien versucht wird, die Aufmerksamkeitsbarrieren des Publikums zu überspringen. Das alles sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass symbolische Politik immer schon zentraler Bestandteil politischen Handelns war. Politik ist nicht zum Nennwert zu haben.

Ulrich Sarcinelli ist Professor der Politikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau. Er ist Experte für Politikvermittlung und symbolische Politik.