Syrien-Krieg spaltet Drusen
29. November 2012Über Nacht, erzählt Shefaa Abu Jabal, erscheint auf dem Dorfplatz von Majdal Shams manchmal wie aus dem Nichts ein riesiges Poster von Baschar al-Assad. Tagelang hängt "der Diktator", wie sie ihn nennt, dann über den Köpfen der Menschen. Herunter nimmt ihn keiner, erzählt die junge Frau. In ihre Stimme schleicht sich ein Hauch Bitterkeit: Die Mehrheit der Bewohner des größten drusischen Dorfes auf den Golanhöhen unterstützt Assad - das weiß die Studentin aus eigener Erfahrung.
"Seit Tag Zwei des Aufstandes" organisiert sie mit einer Gruppe von Freunden Demonstrationen gegen Assad, telefoniert fast täglich mit Aktivisten in Damaskus und Homs und postet auf Facebook und Twitter Neuigkeiten über die Kämpfe. "Die religiösen Führer im Dorf haben uns ganz klar gesagt: tut das nicht. Wenn ihr weitermacht, dann werden wir euch bestrafen." Sie haben trotzdem weitergemacht. Die Bestrafung, sagt Shefaa, war soziale Ausgrenzung: Rund 20.000 Drusen leben auf den Golanhöhen, jeder kennt jeden – und weiß, in wessen Wohnzimmer ein Bild von Assad hängt, wer das Regime im Nachbarland unterstützt und wer eben nicht.
Die ursprünglich syrischen Golanhöhen wurden 1967 von Israel annektiert, seitdem überwachen Blauhelmsoldaten den Frieden. Die Mehrheit der Bewohner sind Drusen, fast alle sehen sich aber noch immer als Syrer. In Syrien leben rund 400.000 Drusen, "sie sind eine so kleine Minderheit, dass sie sich verletzlich fühlen", erklärt der libanesische Journalist Michael Young. Bereits jetzt hat der Bürgerkrieg von Syrien mehrmals auf die Golanhöhen übergegriffen, erst vor einigen Tagen schlugen Schüsse aus Syrien in der Nähe von israelischen Militäreinrichtungen ein.
Viele Drusen halten zu Assad
Schon kurze Zeit nach Beginn ihrer Aktionen wurde Assad-Gegnerin Shefaa als Verräterin beschimpft, manche Freunde reden nicht mehr mit ihr. Zweimal wurden sie bei Demonstrationen von Assad-Unterstützern angegriffen und mit Eiern und Schuhen beworfen. Manchen jungen Menschen sei die Revolution ziemlich egal, sagt Shefaa. Vor allem ältere Menschen gehen Shefaa und ihren Freunden aus dem Weg. "All das tut natürlich weh, aber so langsam haben wir uns daran gewöhnt", erzählt die 27-jährige Studentin.
Sie hatte erwartet, dass immer mehr Menschen sich der Gruppe von etwa 100 Anti-Assad-Aktivisten, fast alle sind Studenten, anschließen würden. Doch das passierte nicht. Zwar sind unter den Anführern der syrischen Revolution auch etliche prominente Drusen, doch die Mehrheit der Drusen unterstütze Assad - aus Angst, erzählt der Journalist Michael Young: "Die Drusen haben Angst, dass radikale Sunniten aus der syrischen Revolution als Sieger hervorgehen und sie verfolgen."
Syrisches Regime schürt Ängste der Minderheiten
Die Drusen, deren religiöse Praktiken weitgehend geheim gehalten werden, sind ein Ableger des schiitischen Islams. Ähnlich wie die Christen, haben sie relative Freiheiten unter dem Assad-Regime genossen. Etliche Drusen hätten über die Jahre wichtige Positionen innerhalb der syrischen Baath-Partei eingenommen, erklärt Eyad Abu Shakra. Der libanesisch-britische Journalist glaubt, dass das Assad-Regime gezielt die Ängste der Minderheiten schürt. "Er erzählt den Alawiten, dass sie um ihr Leben kämpfen und den Drusen, dass die Muslimbrüder aus der Revolution hervorgehen werden und sie als Gottlose verfolgen werden."
Ähnliche Argumente hört auch Shefaa immer wieder, wenn sie versucht zu erklären, warum sie gegen das Assad-Regime ist. Viele Menschen hätten außerdem Angst, dass ein mögliches neues Regime nicht auf die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien pochen würde, wie das Assad-Regime es tut. Etwa der Arzt Wasef Khaled, der glaubt, dass "Assad das beste für das syrische Volk ist." Schließlich hätten andere arabische Staaten mit Israel Frieden geschlossen. Viele Drusen, wie die 27-jährige Shefaa, sind noch nie in Syrien gewesen – die Grenzen sind seit 1967 nicht passierbar. Trotzdem würden fast alle eine Rückkehr nach Syrien fordern, bestätigt der Journalist Michael Young.
Die Hoffnung auf die Rückkehr nach Syrien
Auch der Arzt Khaled hofft, dass eines Tages die Grenze aufgelöst wird. Er ist überzeugt, dass nur das Assad-Regime die Drusen wieder ins Nachbarland eingliedern wird. Khaled sträubt sich gegen ein neues Regime, dem die Golanhöhen vielleicht egal sein könnten. Ausländische Mächte, allen voran die USA, Deutschland, aber auch Katar, ist er sich sicher, würden die Aufstände organisieren, zumindest finanzieren.
Mittlerweile hat Shefaa solche Vorwürfe so oft gehört, dass sie sogar darüber lachen kann. Ihre Eltern, die ebenfalls gegen Assad sind, hätten vor kurzem ein neues Haus gebaut. "Die Leute haben uns doch tatsächlich vorgeworfen, dass wir das Haus mit Geld gebaut haben, das wir aus Katar bekommen, um die Revolution zu unterstützen." Jetzt witzelt sie, dass Katar auch ihre neuen Schuhe finanziert hat – und sammelt Geld von ihren Freunden, um syrische Flüchtlingscamps zu unterstützen.
Shefaa aber wird schnell ernst, wenn es um die Frage geht, wie ihr Kampf gegen Assad weitergehen soll. Sie weiß es nicht: Sie ist sich nicht sicher, ob sie noch für eine Revolution demonstrieren mag, die zum Bürgerkrieg geworden ist. Sie twittert aber weiter, sagt sie. Obwohl manche ihrer ehemaligen Freunde sie auch dort beschimpfen und bedrohen.