Syriens Geheimdienste: Im Geist der Nazis und der Stasi
12. Dezember 2024Es sind entsetzliche Bilder, die nach der Befreiung des fünf Stockwerke tief in die Erde gebauten Saidnaja-Gefängnisses im Netz kursieren. Zu sehen sind abgemagerte Menschen, andere, die in völlig überfüllten Zellen stehen. Viele der Häftlinge müssen aus dem Gefängnis getragen werden. Die Befreier haben auch einen Raum gefilmt, in dem im Halbdunkel schreiende Menschen kauern, die durch Folter offenbar schwere psychische Schäden davongetragen haben. Auch fand man die Leichen zahlreicher durch Folter getöteter Personen. In einem anderen Raum sind Berge von Schuhen zu sehen. Allein in diesem Lager sollen am Tag der Befreiung Medienberichten zufolge tausende Personen inhaftiert gewesen sein.
Einem Berichtder Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden in dem Gefängnis zwischen September 2011 und Dezember 2015 bis zu 15.000 Personen außergerichtlich hingerichtet.
In Sozialen Netzwerken stellen einige Nutzer einen direkten Bezug zu den Nationalsozialisten her, insbesondere zu dem 1954 nach Syrien geflohenen SS-Hauptsturmführer Alois Brunner. Dieser gilt als einer der wichtigsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns, mitverantwortlich für die Verfolgung, Vertreibung, Deportation und Ermordung von sechs Millionen Juden.
Lehrgänge in Damaskus
Allerdings war Brunner nicht der einzige SS- oder Wehrmachtsangehörige in Syrien, sagt Noura Chalati vom Leibniz Zentrum Moderner Orien. "Viele von ihnen waren direkt beim syrischen Generalstab mit einjährigen Verträgen angestellt und haben die Armee und eben auch den Militärgeheimdienst beraten." Aus Akten gehe hervor, dass der Generalstab sich vor allem deshalb für sie interessierte, weil sie keine Staatsangehörigkeit mehr hatten, aus einem Land kamen, das angeblich keine Kolonialgeschichte hatte - und natürlich, weil sie aktive Kriegserfahrungen mitbrachten, die unter anderem Massenvernichtungsmethoden beinhalteten. "Man schätzte sie wegen ihrer praktischen Erfahrungen", so Chalati, die insbesondere zu den Beziehungen zwischen dem Staatsicherheitsdienst (Stasi) der ehemaligen DDR und den syrischen Geheimdiensten geforscht hat.
Alois Brunner, 1953 in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt, kam 1954 mit falscher Identität nach Syrien. Schon bald, so der israelische Historiker Danny Orbach in seinem Buch "Fugitives" über geflohene Nationalsozialisten, war Brunner im Schmuggel westlicher Waffen in arabische Länder engagiert. 1959 ließ der damalige Leiter eines der syrischen Geheimdienste Brunner unter Spionageverdacht verhaften und drohte ihm mit lebenslangem Gefängnisaufenthalt. Darauf gab dieser seine wahre Identität zu erkennen und stellte sich in den Dienst der syrischen Geheimdienste. In den folgenden Jahren bildete er deren Mitarbeiter in Spionageabwehr und Befragungstechniken aus. An seinen Lehrgängen nahmen berüchtigte Chefs der syrischen Geheimdienste teil - so etwa General Ali Haidar, 26 Jahre lang Leiter der syrischen Spezialkräfte; Ali Dubsa, Leiter des Militärgeheimdienstes, ebenso Mustafa Tlass der Verteidigungsminister des späteren Assad-Regimes, verantwortlich für die Niederschlagung des Aufstands der Muslimbrüder 1982 in Hama mit bis zu 30.000 Todesopfern.
"Der deutsche Stuhl"
Ein bis in die jüngste Gegenwart eingesetztes Folterelement des Assad-Regimes war der so genannte "Deutsche Stuhl", bei dem den Opfern durch Überdehnung das Rückgrat gebrochen wurde. Immer wieder wurde die Vermutung geäußert, die Erfindung gehe auf Brunner zurück. Das sei durchaus möglich, schreibt Danny Orbach - bewiesen sei es nicht. Allerdings: "Er half dabei, ausgeklügelte Folterinstrumente zu schaffen." Und womöglich, so Orbach, eben auch den "Deutschen Stuhl".
Dem seit 1970 regierenden Diktator Hafis Al-Assad leistete Brunner wertvolle Dienste. "Er wusste bestens, wie man Informationen gewinnt und einsetzt, wie man Menschen manipuliert, worauf es bei den Aktivitäten von Geheimdiensten ankommt", schreibt Brunners Biograf Didier Epelbaum ("Alois Brunner. La haine irréductible"). "Er weiß mehr als jeder syrische Offizier. Daher begleitet er die Umstrukturierung des Geheimdienstes."
Dank seines Wissens habe Brunner sich in den höchsten Kreisen des politischen Establishments halten können, sagte der Investigativ-Journalist Hedi Aouidj 2017 dem Radiosender France Inter. "Der Deal war: Schutz gegen Nazi-Know-how. Brunner hat den Nazi-Geheimdienst ausgebildet, den ersten Kreis um Hafis al-Assad", so Aouidj, der 2017 Licht in Brunners letzte Lebensjahre als Gefangener des Assad-Regimes bis zu seinem Tod mutmaßlich im Jahr 2002 gebracht hat.
Hilfestellung von der Stasi
Doch die syrische Staatsspitze ließ sich nicht nur von geflohenen Nationalsozialisten helfen. Ebenso nahmen sie die Dienste der Staatssicherheit der damaligen DDR entgegen. Politisch passte das in die Logik des Kalten Krieges, denn in den 1960-er Jahren war Syrien zwar blockfrei, näherte sich unter der Baath-Regierung aber zunehmend dem Ostblock an. Die ersten entsprechenden Kontakte gingen auf eine syrische Anfrage im Jahr 1966 zurück, sagt Noura Chalati. In Damaskus habe man sich für alles interessiert, für Waffentechnik ebenso wie den Aufbau und Struktur von Geheimdiensten und politischen Institutionen. "Allerdings hat sich das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) recht zurückhaltend gezeigt", sagt Chalati. Nachweise seien aber schwierig, da der Geheimdienst der DDR die entsprechenden Akten im Zuge seiner Auflösung im Jahr 1989 vernichtet habe.
"Das Schlimmste aus beiden Welten"
Generell sei es schwierig, einen direkten Einfluss der Nationalsozialisten wie auch des MfS nachzuweisen, sagt Chalati. "Aber in der Summe ergibt sich ein Bild, das ziemlich gut auf das passt, was wir derzeit in Syrien sehen." So zeigten etwa die nun überall entdeckten Akten an, wie sehr der syrische Geheimdienst von einer überbordenden Bürokratie geprägt gewesen sei. "Dieses Phänomen kennen wir aus der DDR und von der Stasi. Ich kann nicht behaupten, dass es da einen direkten kausalen Zusammenhang gebe. Aber das Phänomen ist doch auffällig. . Möglicherweise ist es auch eine Charakteristik von Geheimdiensten im Allgemeinen – dazu ist noch mehr Forschung nötig. Zugleich war der syrische Geheimdienst ein Unterdrückungs- und Folterinstrument des Regimes und hat schlimmste Menschenrechtsverbrechen begangen." Dieses Vorgehen ähnele weniger dem der Stasi als dem der Nationalsozialisten und der Gestapo. "Wir haben im Grunde ein Regime und einen Geheimdienstkomplex, die das Schlimmste aus beiden Welten verbinden."