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Wortmann will wild sein

Andrea Horakh12. Mai 2012

Mit seinem neuen Film "Das Hochzeitsvideo" kehrt der Regisseur zu seinen Wurzeln zurück. Nach Historiendramen und Sportfilmen ist er jetzt wieder dort, wo er einmal angefangen hat. Halbwegs gelungen.

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Regisseur Sönke Wortmann bei der Arbeit, im Hintergrund Lisa Bitter (Foto: Constantin Film)
Bild: 2012 Constantin Film Verleih GmbH

Ein nackter Mann hockt auf einem Couchtisch und denkt, er sei eine Art Huhn. Ein anderer Mann, nicht nackt, sondern mit bärtig zugewachsenem Gesicht, genannt "Bierchen", hockt hinter dem Steuer seines Chevrolets, öffnet eine Bierdose nach der anderen mit den Zähnen und macht seinem Namen dabei alle Ehre. Eine Szene aus "Der bewegte Mann", die andere aus "Kleine Haie". Zwei Klassiker der deutschen Filmgeschichte. Mit ihnen beginnt in den frühen Neunzigern, was zum deutschen Komödienboom heranwächst. Undenkbar ohne Regisseur Sönke Wortmann. Bis zu diesem Zeitpunkt waren ein Großteil der Kritiker und das Publikum davon ausgegangen, Humor und deutsches Kino, das passe partout nicht zusammen. Und dann landet plötzlich ein Ex-Fußballer aus Nordrhein-Westfalen, dessen Vorbild Mittelstürmer Günter Netzer ist, unerwartet einen Treffer, "aus der Tiefe des Raumes" gewissermaßen.

Eine Szene aus dem Film "Der bewegte Mann" (Foto: Constantin Film")
Eine Szene mit Kultstatus: Til Schweiger in "Der bewegte Mann"Bild: picture-alliance/dpa

Ein Kinohit, über den sich sechs Millionen Deutsche ausschütten vor Lachen. Wortmanns "Der bewegte Mann" - ein Einschnitt, nicht nur in der Film-, sondern auch in der Mentalitätsgeschichte der Deutschen. Plötzlich amüsieren wir uns prächtig über unseren eigenen Alltag. Schwule, Feministinnen und Transvestiten werden durch Wortmann mehrheitsfähig. Vor allem der junge deutsche Mann in all seiner Verletzlichkeit, gequält von der Frauenemanzipation, kommt zu Leinwandehren. Aus den Outsider Comics eines schwulen Zeichners macht der 35-jährige Regisseur einen bis dahin nicht gekannten Massenerfolg, er trifft den Lebensnerv einer Generation.

Schriller Hochzeits-Alarm

Nach fast zwanzig Jahren kehrt Sönke Wortmann jetzt heim zur Komödie mit dem Film "Das Hochzeitsvideo". Erleichtert - nach der langwierigen und anstrengenden Produktion vom Historiendrama "Die Päpstin", das nicht gerade von durchschlagendem Erfolg gekrönt war.

Szene aus dem Film "Das Hochzeitsvideo" (Foto: Constantin Film)
Bisher hatte Regisseur Sönke Wortmann eigentlich ein Händchen für KomödienBild: 2012 Constantin Film Verleih GmbH

Die Geschichte von "Das Hochzeitsvideo" ist schnell erzählt: Pia und Sebastian heiraten und ihr Freund Daniel soll den schönsten Tag ihres Lebens mit der Kamera zu begleiten. Aber dann taucht Carlos auf, Pias Ex-Lover, unter Insidern nur "Carlos, die Keule" - sein Künstlername als Pornodarsteller. Der Junggesellenabend endet mit einer strippenden "Stewardess", die Junggesellinnen erbrechen sich auf dem Polizeirevier, die Braut renkt sich den Hals aus bei einer eindeutigen Handlung. Ein anderer Freund legt die üppige Kellnerin flach und die Ringe, natürlich Familienerbstücke, sind auch futsch. Kurzum - keine Zote wird ausgelassen in "Das Hochzeitsvideo". Was ja an und für sich kein Problem ist. Noch einmal versucht der Regisseur den Zeitgeist zu treffen, diesmal vor allem mit dem Format. Der Film tut so, als sei er ein wackelig gedrehter Amateurfilm, ein überlanger i-Phone-Clip. So peppt Wortmann die eher konventionelle Geschichte auf mit einem gewissen Youtube-Flair. Ob diese Rechnung beim Publikum aufgeht, muss sich zeigen.

Leicht und locker - aber berechenbar

Als kleine Fingerübung für seinen aktuellen Film inszenierte Sönke Wortmann 2011 am legendären Berliner Grips-Theater eine Komödie von Lutz Hübner. Ein bittersüßes Stück für Eltern, Kinder und Jugendliche, in dem ein Elternabend entgleist und in der Forderung kulminiert: "Frau Müller muss weg". Besagte Lehrerin sei schließlich dafür verantwortlich, dass die eigenen Sprösslinge in der Schule versagen. Die Inszenierung wurde zum rasanten Erfolg in Berlin. Über das Theater schlich sich Wortmann wieder ran an die Komödie.

Szene aus Sönke Wortmanns Inszenierung "Frau Müller muss weg" am Berliner Grips-Theater (Foto: Grips Theater)
Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs: "Frau Müller muss weg" am Grips-Theater BerlinBild: davidbaltzer/bildbuehne.de

In gewisser Weise kann er es auch immer noch: "Das Hochzeitsvideo" kommt leicht und locker daher und nimmt im Laufe des Films ordentlich an Fahrt auf. Das Komödiengespür hat Wortmann nicht verlassen. Und doch wirkt "Das Hochzeitsvideo" streckenweise so berechenbar, dass sich ein herzhaftes Gähnen kaum unterdrücken lässt. Haben wir das nicht alles schon mal gesehen? Tatsächlich, gibt der Regisseur zu, Teile des Films seien "Zitate“, entlehnt aus Kassenschlagern des Genres "Hochzeitskomödie made in Hollywood" wie etwa "Hangover" oder "Brautalarm". Und leider fehlt Wortmann inzwischen die anarchistische Note. Statt Minoritäten und Randfiguren der Gesellschaft zu seinen Hauptfiguren zu machen, greift Wortmann zu Personal aus der Mitte der Gesellschaft.

Eins bleibt: neue Schauspielgesichter

Trotzdem kehrt Wortmann auch bei diesem Popcornfilm zu einem bewährten Prinzip seiner Frühzeit zurück. Schon 1992 besetzte er seine Filme "Kleine Haie", "Allein unter Frauen" und "Der bewegte Mann" mit Nobodies, mit Schauspielneulingen, die man bis dahin noch kaum auf der Leinwand gesehen hat: Jürgen Vogel, Kai Wiesinger; Thomas Heinze, Armin Rhode, Jennifer Nitsch, Meret Becker, Til Schweiger. Nahezu sein gesamter Stab, egal ob Haupt- oder Nebendarsteller, machte danach Karriere und gehört bis zum heutigen Tag zu den bekanntesten deutschen Darstellern.

Und jetzt "Hochzeitsvideo": Die Schauspieler entdeckte er in langen aufwändigen Castings, kaum ein Gesicht kommt einem bekannt vor. Fast durchgängig arbeitet er hier mit Theaterdarstellern, die ihre Arbeit von der Pike auf gelernt haben, gestählt durch die direkte Konfrontation mit dem Publikum. Marian Kindermann, Lisa Bitter, Martin Aselmann - diese Schauspieler werden uns sicherlich wieder begegnen. Doch Sönke Wortmanns Heimkehr in die Komödie ist trotzdem leider keine Rückkehr zu "Bierchen" und bewegten Männern geworden. Der wilde Wortmann - der kommt leider nicht zurück.

Sönke Wortmann # O-Töne # 10.05.2012 # für Kultur-Seite